The Project Gutenberg EBook of Mitteilungen aus den Memoiren des Satan V2 by Wilhelm Hauff (#7 in our series by Wilhelm Hauff) Copyright laws are changing all over the world. Be sure to check the copyright laws for your country before downloading or redistributing this or any other Project Gutenberg eBook. This header should be the first thing seen when viewing this Project Gutenberg file. Please do not remove it. Do not change or edit the header without written permission. Please read the "legal small print," and other information about the eBook and Project Gutenberg at the bottom of this file. Included is important information about your specific rights and restrictions in how the file may be used. 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Angenehm ist es dem Herausgeber, wenn die Leser des ersten sich darüber gewundert, am angenehmsten, wenn sie sich darüber geärgert haben; es zeigt dies eine gewisse Vorliebe für die schriftstellerischen Versuche des Satan, die nicht nur ihm, sondern auch seinem Herausgeber und Übersetzer erwünscht sein muß. Die Schuld dieser Verspätung liegt aber weder in der zu heißen Temperatur des letzten Spätsommers, noch in der strengen Kälte des Winters, weder im Mangel an Zeit oder Stoff, noch in politischen Hindernissen; die einzige Ursache ist ein sonderbarer Prozeß, in welchen der Herausgeber verwickelt wurde und vor dessen Beendigung er diesen zweiten Teil nicht folgen lassen wollte. Kaum war nämlich der erste Teil dieser Memoiren in die Welt versandt und mit einigen Posaunenstößen in den verschiedenen Zeitungen begleitet worden, als plötzlich in allen diesen Blättern zu lesen war eine W a r n u n g v o r B e t r u g „Die bei Fr. Franckh in Stuttgart herausgekommenen Memoiren des Satan sind nicht von dem im Alten und Neuen Testament bekannten und durch seine Schriften: Elixiere des Teufels, Bekenntnisse des Teufels, als Schriftsteller berühmten Teufel, sondern gänzlich, falsch und unecht, was hiemit dem Publikum zur Kenntnis gebracht wird." Ich gestehe, ich ärgerte mich nicht wenig über diese Zeilen, die von niemand unterschrieben waren. Ich war meiner Sache so gewiß, hatte das Manuskript von niemand anders als dem Satan selbst erhalten, und nun, nach vielen Mühen und Sorgen, nachdem ich mich an den infernalischen Chiffern beinahe blind gelesen, soll ein solcher anonymer Totschläger über mich herfallen, meine literarische Ehre aus der Ferne totschlagen und besagte Memoiren für unecht erklären? Während ich noch mit mir zu Rate ging, was wohl auf eine solche Beschuldigung des B e t r u g e s zu antworten sei, werde ich vor die Gerichte zitiert und in Kenntnis gesetzt, daß ich einer Namensfälschung, eines literarischen Diebstahls angeklagt sei, und zwar--vom Teufel selbst, der gegenwärtig als Geheimer Hofrat in persischen Diensten lebe. Er behauptete nämlich, ich habe seinen Namen Satan mißbraucht, um ihm eine miserable Scharteke, die er nie geschrieben, unterzuschieben; ich habe seinen literarischen Ruhm benützt, um diesem schlechten Büchlein einen schnellen und einträglichen Abgang zu verschaffen; kurz, er verlange nicht nur, daß ich zur Strafe gezogen, sondern auch, daß ich angehalten werde, ihm Schadenersatz zu geben, „dieweil ihm ein Vorteil durch diesen Kniff entzogen worden". Ich verstehe so wenig von juridischen Streitigkeiten, daß mir früher schon den Name Klage oder Prozeß Herzklopfen verursachte; man kann sich also wohl denken, wie mir bei diesen schrecklichen Worten zu Mute ward. Ich ging niedergedonnert heim und schloß mich in mein Kämmerlein, um über diesen Vorfall nachzudenken. Es war mir kein Zweifel, daß es hier drei Fälle geben könne. Entweder hatte mir der Teufel selbst das Manuskript gegeben, um mich nachher als Kläger recht zu ängstigen und auf meine Kosten zu lachen; oder irgendein böser Mensch hatte mir die Komödie in Mainz vorgespielt, um das Manuskript in meine Hände zu bringen, und der Teufel selbst trat jetzt als erbitterter Kläger auf; oder drittens, das Manuskript kam wirklich vom Teufel, und ein müßiger Kopf wollte jetzt den Satan spielen und mich in seinem Namen verklagen. Ich ging zu einem berühmten Rechtsgelehrten und trug ihm den Fall vor. Er meinte, es sei allerdings ein fataler Handel, besonders weil ich keine Beweise beibringen könne, daß das Manuskript von dem echten Teufel abstamme, doch er wolle das Seinige tun und aus der bedeutenden Anzahl von Büchern, die seit Justinians _Corpus juris_ bis auf das neue birmanische Strafgesetzbuch über solche Fälle geschrieben worden seien, einiges nachlesen. Das juridische Stiergefecht nahm jetzt förmlich seinen Anfang. Es wurde, wie es bei solchen Fällen herkömmlich ist, so viel darüber geschrieben, daß auf jeden Bogen der Memoiren des Satan ein Ries Akten kam, und nachdem die Sache ein Vierteljahr anhängig war, wurde sogar auf Unrechtskosten eine neue Aktenkammer für diesen Prozeß eingeräumt; über der Türe stand mit großen Buchstaben: „Acta in Sachen des persischen G. H. R. T e u f e l s gegen _Dr._ H----f, betreffend die Memoiren des Satan." Ein sehr günstiger Umstand für mich war der, daß ich auf dem Titel nicht „Memoiren des Teufels", sondern „des Satan" gesagt hatte. Die Juristen waren mit sich ganz einig, daß der Name T e u f e l in Deutschland sein F a m i l i e n n a m e sei, ich habe also wenigstens diesen nicht zur Fälschung gebraucht; Satan hingegen sei nur ein angenommener, willkürlicher; denn niemand im Staate sei berechtigt, zwei Namen zu führen. Ich fing an, aus diesem Umstand günstigere Hoffnungen zu schöpfen; aber nur zu bald sollte ich die bittere Erfahrung machen, was es heiße, den Gerichten anheimzufallen. Das Referat in Sachen des _et cetera_ war nämlich dem berühmten Justizrat Wackerbart in die Hände gefallen, einem Manne, der schon bei Dämpfung einiger großen Revolutionen ungemeine Talente bewiesen hatte und neuerdings sogar dazu verwendet wurde, bedeutende Unruhen in einem Gymnasium zu schlichten. Stand nicht zu erwarten, daß ein solcher berühmter Jurist meine Sache nur als eine _cause célèbre_ ansehen und sie also handhaben werde, daß sie, gleichviel wem von beiden Recht, ihm am meisten Ruhm einbrächte? Hierzu kam noch der Titel und Rang meines Gegners; Wackerbart hatte seit einiger Zeit angefangen, sich an höhere Zirkel anzuschließen; mußte ihm da ein so wichtiger Mann, wie ein persischer Geheimer Hofrat, nicht mehr gelten als ich Armer? Es ging, wie ich vorausgesehen hatte. Ich verlor meine Sache gegen den Teufel. Strafe, Schadenersatz, aller mögliche Unsinn wurde auf mich gewälzt; ich wunderte mich, daß man mich nicht einige Wochen ins Gefängnis sperrte oder gar hängte. Man hatte hauptsächlich folgendes gegen mich in Anwendung gebracht: E n t s c h e i d u n g s = G r ü n d e zu dem vor dem Kriminalgericht Klein=Justheim, unter dem 4. Dezember 1825 gefällten Erkenntnis in der Untersuchungssache gegen den _Dr_. .....f w e g e n B e t r u g e s. 1. Es ist durch das Zugeständnis des Angeklagten erhoben, daß er keine Beweise beizubringen weiß, daß die von ihm herausgegebenen Memoiren des Satan wirklich von dem bekannten echten Teufel, so gegenwärtig als Geheimer Hofrat in persischen Diensten lebt, herrühren. Ferner hat der Angeschuldigte .....f zugegeben, daß die in öffentlichen Blättern darüber enthaltene Ankündigung mit seinem Wissen gegeben sei. 2. Die letztgedachte Ankündigung ist also abgefaßt, daß hieraus die Absicht des Verfassers, die Lesewelt glauben zu machen, daß „die Memoiren des Satan" von dem wahren, im Alten und Neuen Testament bekannten und neuerdings als Schriftsteller beliebten Teufel geschrieben seien, nur allzu deutlich hervorleuchten tut. 3. Durch diese Verfahrungsart hat sich der Angeklagte .....f eines Betruges, alldieweilen solcher im allgemeinen in jedweder aus impermissen Kommodum für sich oder Schaden anderer gerichteten unrechtlichen Täuschung anderer, entweder, indem man falsche Tatsachen mitteilt oder wahre dito nicht angibt--besteht; oder, um uns näher auszudrücken, da hier die Sprache v o n e i n e r W a r e u n d g e d r u c k t e m B u c h ist--einer F ä l s c h u n g schuldig gemacht; denn durch den Titel „Memoiren des Satan" und die Anpreisung des Buches wurde der Lesewelt falsch vorgespiegelt, daß das Buch ausdrücklich von dem unter dem Namen Satan bekannten, k. persischen Geheimen Hofrat Teufel verfaßt sei, was beim Verkauf des Werkes verursachte, daß es schneller und in größerer Quantität abging, als wenn das Büchlein unter dem Namen des Herrn .....f, so dem Publiko noch gar nicht bekannt ist, erschienen wäre, und wodurch die, so es kauften, in ihrer schönen Erwartung, ein echtes Werk des Teufels in Händen zu haben, schnöde betrogen wurden. 4. Wenn der Herr _Dr_. .....f, um sich zu entschuldigen, dagegen einwendet, daß der Name Satan in Deutschland nur ein angenommener sei, worauf der Teufel, wie man ihn gewöhnlich nennt, keinen Anspruch zu machen habe, so bemerken wir Kriminalleute von Klein=Justheim sehr richtig, daß sich .....f auf den Gebrauch jenes angenommenen, übrigens bekanntermaßen den Teufel sehr wohl bezeichnenden Namens nicht beschränkt, sondern in dem Werke selbst überall durchblicken läßt, namentlich in der Einleitung, daß der Verfasser derjenige Teufel oder Satan sei, welcher dem Publiko, besonders dem Frauenzimmer, wie auch denen Gelehrten durch frühere Opera, z. B. die Elixiere des Teufels _et cetera_ rühmlichst bekannt ist, wodurch wohl ebenfalls niemand anderes gemeint ist als der Geheime Hofrat Teufel. 5. Man muß lachen über die Behauptung des Inkulpaten, daß das in Frage stehende Opuskulum, wie auch nicht destoweniger seine Anzeige, eigentlich eine Satire auf den Teufel und jegliche Teufelei jetziger Zeit sei! Denn diese Entschuldigung wird durch den Inhalt der Schrift selbst widerlegt; ja, jeder Leser von Vernunft muß das auch wohl eher für eine etwas geringe Nachäffung der Teufeleien als für--eine Satire auf dieselben erkennen. Wäre aber auch, was wir Juristen nicht einzusehen vermögen, das Werk dennoch eine Satire, so ist durchaus kein günstiger Umstand für .....f zu ziehen, weil derjenige Käufer, der etwas E c h t e s, vom Teufel Verfaßtes kaufen wollte, erst nach dem Kauf entdecken konnte, daß er betrogen sei. 6. Außer der völlig rechtswidrigen Täuschung der Lesewelt, Leihbibliotheken _et cetera_, ist in der vorliegenden Defraudation auch ein Verbrechen gegen den begangen, dessen Name oder Firma mißbraucht worden, nämlich und spezialiter gegen den Geheimen Hofrat Teufel, welcher sowohl als Gelehrter und Schriftsteller, als von wegen des Honorars seiner übrigen Schriften sehr dabei interessiert ist, daß nicht das Geschreibsel anderer als von ihm niedergeschrieben, wie auch erdacht, angezeigt und verkauft werde. 7. Wenn endlich der Angeklagte behauptet, daß er das Buch arglos herausgegeben, ohne das Klein=Justheimer Recht hierüber zu kennen, daß ihn auch bei der Fälschung durchaus keine gewinnsüchtigen Absichten geleitet hätten, so ist uns dies gleichgültig und haben nicht darauf Rücksicht zu nehmen; denn Fälschung ist Fälschung, sei es, ob man englische Teppiche nachahmt und als echt verkauft, aber Bücher schreibt unter falschem Namen; ist alles nur verkäufliche Ware und kann den Begriff des Vergehens nicht ändern, weil immer noch die Täuschung und Anschmierung der Käufer restiert und zwar ebenfalls nichts destominder auch alsdann, wenn die Memoiren des Satan gleichen Wert mit den übrigen Büchern des Teufels hätten (was wir Klein=Justheimer übrigens bezweifeln, da jener Geheimer Hofrat ist), weil dem Ebengedachten schon das Unterschieben eines fremden Machwerkes unter seinem Namen ein Schaden in juridischem Sinne sein tut. Es ist daher, wie man getan hat, erkannt worden usw. usw. (Gez.) Präsident und Räte des Kriminalgerichts zu Klein=Justheim. Hast du, geneigter Leser, nie die berühmten Nürnberger Gliedermänner gesehen, so, kunstreich aus Holz geschnitzelt, ihre Gliedlein nach jedem Druck bewegen? Hast du wohl selbst in deiner Jugend mit solchem Männlein gespielt und allerlei Kurzweil mit ihm getrieben und probiert, ob es nicht schöner wäre, wenn er z. B. das Gesicht im Nacken trüge und den Rücken hinunterschaue, oder ob es nicht vernünftiger wäre, wenn ihm die Beine ein wenig umgedreht würden, daß er vor= und rückwärts spaziere, wie man es haben wolle? Das hast du wohl versucht in den Tagen deiner Kindheit, und es war ein unschuldiges Spiel; denn dem Gliedermann war es gleichgültig, ob ihm die Beine über die Schulter herüberkamen oder nicht, ob er den Rücken herabschaute oder vorwärts; er lächelte so dumm wie zuvor; denn er hatte ja kein Gefühl, und es tat ihm nicht weh im Herzen; denn auch dieses war ja aus Holz geschnitzelt und wahrscheinlich aus Lindenholz. Aber selbst ein solcher Gliedermann sein zu müssen in den täppischen Händen der Klein=Justheimer Kriminalen! Sie renkten und drehten mir die Glieder, setzten mir den Kopf so oder so, wie es ihnen gefällig, oder auch nach Vorschrift des Justinian, drehten und wendeten mein Recht, bis der Kadaver vor ihnen lag auf dem grünen Sessionstisch, wie sie ihn haben wollten, mit verrenkten Gliedern, und sie nun anatomisch aufnotieren konnten, was für Fehler und Kuriosa an ihm zu bewerfen, nämlich, daß er das Gesicht im Nacken, die Füße einwärts, die Arme verschränkt _et cetera_ trage, ganz gegen alle Ordnung und Recht. Ware, Ware! nannten sie deine Memoiren, o Satan, Ware! Als würde dergleichen nach der Elle aus dem Gehirn hervorgehaspelt, wie es jener Schwarzkünstler und Eskamoteur getan, der Bänder verschluckte und sie herauszog, Elle um Elle aus dem Rachen. Warenfälschung, Einschwärzen, Defraudation, o welch herrliche Begriffe, um zu definieren, was man will! Und rechtswidrige Täuschung des Publikums? Wer hat denn darüber geklagt? Wer ist aufgestanden unter den Tausenden und hat Zeter geschrien, weil er gefunden, daß das Büchlein nicht von dem Schwarzen selbst herrühre, daß er den Missetäter bestraft wissen wolle für diese rechtswidrige Täuschung? O Klein=Justheim, wie weit bist du noch zurück hinter England und Frankreich, daß du nicht einmal einsehen kannst, Werke des Geistes seien kein nachgemachter Rum oder Arrak und gehören durchaus nicht vor deine Schranken. Traurig musterte ich das Manuskript des zweiten Teiles, der nun für mich und das Publikum verloren war; ich dachte nach über das Hohngelächter der Welt, wenn der erste nur ein Torso, ein schlechtes abgerissenes Stück, verachtet auf den Schranken der Leihbibliotheken sitze, trübselig auf die hohe Versammlung der Romane und Novellen allerart herabschaue und ihnen ihre abgenützten Gewänder beneide, die den großen Furor, welchen sie in der Welt machen, beurkunden, wie er seine andere Hälfte, seinen Nebenmann, den zweiten, herbeiwünsche, um verbunden mit ihm schöne Damen und Herren zu besuchen, was ihm jetzt, als einem Invaliden, beinahe unmöglich war. Da wurde mir eines Morgens ein Brief überbracht, dessen Aufschrift mir bekannte Züge verriet. Ich riß ihn auf und las: „Wohlgeborener, sehr verehrter Herr! Durch den Oberjustizrat Hammel, der vor einigen Tagen das Zeitliche gesegnet und an mein Hoflager kam, erfuhr ich zu meinem großen Ärger die miserablen Machinationen, die gegen Euch gemacht wurden. Bildet Euch nicht ein, daß sie von mir herrühren. Mit großem Vergnügen denke ich noch immer an unser Zusammentreffen in den drei Reichskronen zu Mainz, und in meiner jetzigen Zurückgezogenheit und bei meinen vielen Geschäften im Norden komme ich selten dazu, eine deutsche Literaturzeitung zu lesen; aber einige Rezensenten, welche ich sprach, versichern mich, mit welchem Eifer Ihr meine Memoiren herausgegeben habt und daß das Publikum meine Bemühungen zu schätzen wisse. Der Prozeß, den man Euch an den Hals warf, kam mir daher um so unerwarteter. Glaubet mir, es ist nichts als ein schlechter Kunstgriff, um mich nicht als Schriftsteller aufkommen zu lassen, weil ich ein wenig über ihre Universitäten schimpfte und die ästhetischen Tees, und Euch wollen sie nebenbei auch drücken. Lasset Euch dies nicht kümmern, Wertester; gebet immer den zweiten Teil heraus, im Notfall könnet Ihr gegenwärtige Schreiben jedermann lesen lassen, namentlich den Wackerbart; saget ihm, wenn er meine Handschrift nicht kenne, so kenne ich um so besser die seinige. Ich kenne diese Leutchen, sie sind Raubritter und Korsaren, die jeden berühmten Prozeß, der ihnen in die Hände fällt, für g u t e P r i s e erklären, und wenn sie ihn festhaben in den Krallen, so lange deuteln und drehen, bis sie ihn dahin entscheiden können, wo er ihnen am meisten Ruhm nebst etzlichem Golde einträgt. Was war bei Euch von beidem zu erheben? Ihr, ein armseliger Doktor der Philosophie und Magister der brotlosen Künste, was seid Ihr gegen einen persischen Geheimen Hofrat? Denket also, die Sache sei ganz natürlich zugegangen, und grämet Euch nicht darüber. Was den persischen Geheimen Hofrat betrifft, der meine Rolle übernommen hat, so will ich bei Gelegenheit ein Wort mit ihm sprechen. Hier lege ich Euch noch ein kleines Manuskriptchen bei, ich habe es in den letzten Pfingstfeiertagen in Frankfurt aufgeschrieben, es ist im ganzen ein Scherz und hat nicht viel zu bedeuten; doch schaltet Ihr es im zweiten Teile ein; es gibt vielleicht doch Leute, die sich dabei freundschaftlich meiner erinnern. Gehabt Euch wohl; in der Hoffnung, Eure persönliche Bekanntschaft bald zu erneuern, bin ich Euer wohlaffektionierter Freund, d e r S a t a n." Man kann sich leicht denken, wie sehr mich dieser Brief freute. Ich lief sogleich damit zu dem wackern Mann, der meine Sache geführt hatte; ich zeigte ihm den Brief, ich erklärte ihm, appellieren zu wollen an ein höheres Gericht und den Originalbrief beizulegen. Er zuckte die Achseln und sprach: „Lieber, sie wohnen zusammen in e i n e r Hausmiete, die Kriminalen; ob Ihr um eine Treppe höher steigen wollet, aus dem Entresol in die Beletage zu den Vornehmeren, das ist einerlei; Ihr fallet nur um so tiefer, wenn sie Euch durchfallen lassen. Doch an mir soll es nicht fehlen." So sprach er und focht für mich mit erneuerten Kräften; doch--was half es? Sie stimmten ab, erklärten den persischen für den echten, alleinigen Teufel, der allein das Recht habe, Teufeleien zu schreiben, und der Prozeß ging auch in der Beletage verloren. Da faßte mich ein glühender Grimm; ich beschloß, und wenn es mich den Kopf kosten sollte, doch den zweiten Teil herauszugeben, ich nahm das Manuskript unter den Arm, raffte mich auf und----erwachte. Freundlich strahlte die Frühlingssonne in mein enges Stübchen, die Lerchen sangen vor dem Fenster, und die Blütenzweige winkten herein, mich aufzumachen und den Morgen zu begrüßen. Verschwunden war der böse Traum von Prozessen, Justizräten, Klein=Justheim und alles, was mir Gram und Ärger bereitete, verschwunden, spurlos verschwunden. Ich sprang auf von meinem Lager, ich erinnerte mich, den Abend zuvor bei einigen Gläsern guten Weins über einen ähnlichen Prozeß mit Freunden gesprochen zu haben; da war mir nun im Traume alles so erschienen, als hätte ich selbst den Prozeß gehabt, als wäre ich selbst verurteilt worden von Kriminalrichtern und Klein=Justheimer Schöppen. Ich lächelte über mich selbst. Wie pries ich mich glücklich, in einem Lande zu wohnen, wo dergleichen juridische Exzesse gar nicht vorkommen, wo die Justiz sich nicht in Dinge mischt, die ihr fremd sind, wo es keine Wackerbarte gibt, die einen solchen Fund für gute Prise erklären, das Recht zum Gliedermann machen und drauflos hantieren und drehen, ob es biege oder breche, wo man Erzeugnisse des Geistes nicht als Ware handhabt und Satire versteht und zu würdigen weiß, wo man weder auf den Titel eines persischen Geheimen Hofrats, noch auf irgend dergleichen Rücksicht nimmt. So dachte ich, pries mich glücklich und verlachte meinen komischen Prozeßtraum. Doch wie staunte ich, als ich hintrat zu meinem Arbeitstisch! Nein, es war keine Täuschung, da lag er ja, der Brief des Satans, wie ich ihn im Traume gelesen, da lag das Manuskript, das er mir im Brief verheißen. Ich traute meinen Sinnen kaum, ich las, ich las wieder, und immer wurde mir der Zusammenhang unbegreiflicher. Doch ich konnte ja nicht anders, ich mußte seinen Wink befolgen und seinen „Besuch in Frankfurt" dem zweiten Teile einverleiben. Ich gestehe, ich tat es ungern. Ich hatte schon zu diesem Teile alles geordnet; es fand sich darin eine Skizze, die nicht ohne Interesse zu lesen war, ich meine die Szene, wie er mit Napoleon eine Nacht in einer Hütte von Malojaroßlawez zubrachte und wie von jenen Augenblicken an so vieles auf geheimnisvolle Weise sich gestaltet im Leben jenes Mannes, dem selbst der Teufel Achtung zollen mußte. vielleicht--weil er ihm nicht beikommen konnte, doch--vielleicht ist es möglich, dieses merkwürdige Aktenstück dem Publikum an einem andern Orte mitzuteilen. Noch war ich mit Durchsicht und Ordnen der Papiere beschäftigt, da wurde die Türe aufgerissen, und mein Freund Moritz stürzte ins Zimmer. „Weißt du schon?" rief er. „Er hat ihn verloren." „Wer? Was hat man verloren?" „Nun, von was wir gestern sprachen, den Prozeß gegen Clauren meine ich, wegen des M a n n e s i m M o n d e!" „Wie? Ist es möglich!" entgegnete ich, an meinen Traum denkend. „Unser Freund, der Kandidatus Bemperlein? Den Prozeß?" „Du kannst dich drauf verlassen; soeben komme ich vom Museum, der Verleger sagte es mir, soeben wurde ihm das Urteil publiziert." „Aber wie konnte dies doch geschehen, Moritz? War er etwa auch in Klein=Justheim anhängig?" „Klein=Justheim? Du fabelst, Freund!" erwiderte der Freund, indem er besorgt meine Hand ergriff. „Was willst du nur mit Klein=Justheim, wo gibt es denn einen solchen Ort?" „Ach," sagte ich beschämt, „du hast recht; ich dachte an--meinen Traum." * * * * * MEIN BESUCH IN FRANKFURT. 1. WEN DER SATAN AN DER _TABLE D'HÔTE_ IM WEISSEN SCHWAN SAH. Kommt man um die Zeit des Pfingstfestes nach Frankfurt, so sollte man meinen, es gebe keine heiligere Stadt in der Christenheit; denn sie feiern daselbst nicht, wie z. B. in Bayern eineinhalb oder, wie im Kalender vorgeschrieben, zwei Festtage, sondern sie rechnen vier Feiertage; die Juden haben deren sogar fünf; denn sie fangen in Bornheim ihre heiligen Übungen schon am Samstag an, und der Bundestag hat sogar acht bis zehn. Diese Festtage gelten aber in dieser Stadt weniger den wunderbaren Sprachkünsten der Apostel als mir. Was die berühmtesten Mystiker am Pfingstfeste morgens den guten Leutchen ans Herz gelegt, was die immensesten Rationalisten mit moralischer Salbung verkündet hatten, das war so gut als in den Wind gesprochen. Die Fragen: „Ob man am Montag oder am Dienstag, am zweiten oder dritten Feiertag ins W ä l d c h e n gehen, ob es nicht anständiger wäre, ins Wilhelmsbad zu fahren, ob man am vierten Feiertag nach Bornheim oder ins Vauxhall gehen sollte, oder beides," diese Fragen scheinen bei weitem wichtiger als jene, die doch für andächtige Feiertagsleute viel näher lag: „Ob die Apostel damals auch Englisch und Plattdeutsch verstanden haben?" Muß ein so aufgeweckter Sinn den Teufel nicht erfreun, der an solchen Tagen mehr Seelen für sich gewinnt als das ganze Judenquartier in einer guten Börsenstunde Gulden? Auch diesmal wieder kam ich zu Pfingsten nach Frankfurt. Leuten, die, von einem berühmten Belletristen verwöhnt, alles bis auf kleinste Detail wissen wollen, diene zur Nachricht, daß ich im Weißen Schwanen auf Nr. 45 recht gut wohnte, an der großen _Table d'hôte_ in angenehmer Gesellschaft trefflich speiste; den Küchenzettel mögen sie sich übrigens von dem Oberkellner ausbitten. Schon in der ersten Stunde bemerkte ich ein Seufzen und Stöhnen, das aus dem Zimmer nebenan zu dringen schien. Ich trat näher, ich hörte deutlich, wie man auf gut deutsch fluchte und tobte, dann Rechnungen und Bilanzen, die sich in viele Tausende beliefen, nachzählte, und dann wieder wimmerte und weinte wie ein Kind, das seiner Aufgabe für die Schule nicht mächtig ist. Teilnehmend, wie ich bin, schellte ich nach dem Kellner und fragte ihn, wer der Herr sei, der nebenan so überaus kläglich sich gebärde? „Nun," antwortete er, „das ist der stille Herr." „Der stille Herr? Lieber Freund, das gibt mir noch wenig Aufschluß. Wer ist er denn?" „Wir nennen ihn hier im Schwan den stillen Herrn oder auch den Seufzer; er ist ein Kaufmann aus Dessau, nennt sich sonst Zwerner und wohnt schon seit vierzehn Tagen hier." „Was tut er denn hier? Ist ihm ein Unglück zugestoßen, daß er gar so kläglich winselt?" „Ja, das weiß ich nicht," erwiderte er, „aber seit dem zweiten Tag, daß er hier ist, ist sein einziges Geschäft, daß er zwischen zwölf und ein Uhr in der neuen Judenstraße auf= und abgeht, und dann kommt er zu Tisch, spricht nichts, ißt nichts, und den ganzen Tag über jammert er ganz stille und trinkt Kapwein." „Nun, das ist keine schlimme Eigenschaft," sagte ich, „setzen Sie mich doch heute mittag in seine Nähe." Der Kellner versprach es, und ich lauschte wieder auf meinen Nachbar. „Den zwölften Mai," hörte ich ihn stöhnen, „Metalliques 83 3/4, österreichische Staatsobligationen 87 3/8, Rothschildische Lotterielose, der Teufel hat sie erfunden und gemacht! 132, preußische Staatsschuldscheine 81! O Rebekka! Rebekka! Wo will das hinaus! 81! Die Preußen! Ist denn gar keine Barmherzigkeit im Himmel?" So ging es eine Zeitlang fort; bald hörte ich ihn ein Glas Kapwein zu sich nehmen und ganz behaglich mit der Zunge dazu schnalzen; bald jammerte er wieder in den kläglichsten Tönen und mischte die Konsols, die Rothschildschen Unverzinslichen und seine Rebekka auf herzbrechende Weise untereinander. Endlich wurde er ruhiger. Ich hörte ihn sein Zimmer verlassen und den Gang hinabgehen; es war wohl die Stunde, in welcher er durch die neue Judenstraße promenierte. Der Kellner hatte Wort gehalten. Er wies, als ich in den Speisesaal trat, auf einen Stuhl: „Setzen sich der Herr Doktor nur dorthin," flüsterte er, „zu Ihrer Rechten sitzt der Seufzer." Ich setzte mich, ich betrachtete ihn von der Seite. Wie man sich täuschen kann! Ich hatte einen jungen Mann von melancholischem, gespenstischem Aussehen erwartet, wie man sie heutzutage in großen Städten und Romanen trifft, etwas bleichschmachtend und fein wie Eduard, von der Verfasserin der Ourika, oder von schwächlichem, beinahe liederlichem Anblick wie einige Schopenhauersche oder Pichlersche Helden. Aber gerade das Gegenteil; ich fand einen untersetzten, runden jungen Mann mit frischen, wohlgenährten Wangen und roten Lippen, der aber die trüben Augen beinahe immer niederschlug und um den hübschen Mund einen weinerlichen Zug hatte, welcher zu diesem frischen Gesicht nicht recht paßte. Ich versuchte, während ich ihm allerlei treffliche Speisen anbot, einigemal mit ihm ins Gespräch zu kommen, aber immer vergeblich; er antwortete nur durch eine Verbeugung, begleitet von einem halbunterdrückten Seufzer. In solchen Augenblicken schlug er dann wohl die Augen auf, doch nicht, um auf mich zu blicken; er warf nur einen scheuen, finstern Blick geradeaus und sah dann wieder seufzend auf seinen Teller. Ich folgte einem dieser Blicke und glaubte zu bemerken, daß sie einem Herrn gelten mußten, der uns gegenüber saß und schon zuvor meine Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatte. Er war gerade das Gegenteil von meinem Nachbar rechts. Seine schon etwas kahle, gefurchte Stirne, sein bräunliches, eingeschnurrtes Gesicht, seine schmalen Wangen, seine spitze, weit hervortretende Nase deuteten darauf hin, daß er die fünfundvierzig Jährchen, der er haben mochte, etwas s c h n e l l verlebt habe. Den auffallendsten Kontrast mit diesen verwitterten, von Leidenschaften durchwühlten Zügen bildete ein ruhiges, süßliches Lächeln, das immer um seinen Mund schwebte, die zierliche Bewegung seiner Arme und seines Körperchens, wie auch seine sehr jugendliche und modische Kleidung. Es saßen etwa fünf oder sechs junge Damen an der Tafel, und nach den zärtlichen Blicken, die er jeder zusandte, dem süßen Lächeln, womit er seine Blicke begleitete, zu urteilen, mußte er mit allen in genauen Verhältnissen stehen. Dieser Herr hatte, wenn er mit der abgestorbenen, knöchernen Hand einen Spargel zum Munde führte und süßlich dazu lächelte, die größte Ähnlichkeit mit einem rasierten Kaninchen, während mein Nachbar rechts wie ein melancholischer Frosch anzusehen war. Warum übrigens der Seufzer das Kaninchen mit so finstern Augen maß, konnte ich nicht erraten. Endlich, als die Blicke meines Nachbars düsterer und länger als gewöhnlich auf jenem ruhten, fing das Kaninchen an, die Schultern und Arme graziös hin und her zu drehen, den Rücken auf künstliche Art auszudehnen und das spitzige Köpfchen nach uns herüber zu drehen; mit süßem Lächeln fragte er: „Noch immer so düster, mein lieber Monsieur Zwerner? Etwa gar eifersüchtig auf meine Wenigkeit?" An dem zarten Lispeln, an der künstlichen Art, das r wie gr auszusprechen, glaubte ich in ihm einen jener adeligen Salonmenschen zu erkennen, die von einer feinen, leisen Sprache Profession machen. Und so war es; denn mein Nachbar antwortete: „Eifersüchtig, Herr Graf?--Auf S i e in keinem Fall." Graf Rebs--so hörte ich ihn später nennen--faltete sein Mäulchen zu einem feinen Lächeln, drückte die Augen halb zu, bog die Spitznase auf komische Weise seitwärts, strich mit der Hand über sein langes, knöchernes Kinn und kicherte: „Das ist schön von Ihnen, lieber Monsieur Zwerner; also gar nicht eifersüchtig? Und doch habe ich die schöne Rebekka erst gestern abend noch in ihrer Loge gesprochen. Ha, ha! Sie standen im Parterre und schauten mit melancholischen Blicken herauf. Darf ich Sie um jenes Ragout bitten, mein Herr?" „Ich war allerdings im Theater, habe aber nur vorwärts aufs Theater und nicht rückwärts gesehen, am wenigsten mit melancholischen Blicken." „Herr Oberkellner," lispelte der Graf, „Sie haben die Trüffeln gespart. Aber nein! Monsieur Zwerner, wie man sich täuschen kann! Ich hätte auf Ehre geglaubt, Sie schauten herauf in die Loge mit melancholischen Blicken. Auch Rebekka mochte es bemerken und Fräulein von Rothschild; denn als ich auf Sie hinabwies--Kellner, ich trinke heute lieber roten Ingelheimer, ein Fläschchen--ja, wollte ich sagen-- das ist mir nun während des Ingelheimers gänzlich entfallen; so geht es, wenn man so viel zu denken hat." Meinem Nachbar mochte das unverzeihlich schlechte Gedächtnis des Grafen nicht behagen; obgleich er vorhin das Kaninchen ziemlich barsch abgewiesen hatte, so schien ihm doch dieser Punkt zu interessant, als daß er nicht weiter geforscht hätte. „Nun, auch Fräulein von Rothschild hat bemerkt, daß ich melancholisch hinaussah?" fragte er, indem er seine bitteren Züge durch eine Zutat von Lächeln zu versüßen suchte; „freilich, diese hat ein scharfes Gesicht durch die Lorgnette--". „Richtig, das war es," erwiderte Rebs, „das war es; ja, als ich auf Sie hinabwies und Rebeckchen Ihre Leiden anschaulich machte, schlug sie mich mit ihrem Jocofächer auf die Hand und nannte mich einen Schalk." Mein Nachbar wurde wieder finster, seine roten Wangen röteten sich noch mehr, und die ansehnliche Breite seines Gesichtes erweiterte sich noch durch wilden Trotz, der in ihm wütete. Er zog den Kopf tief in die Schultern und blitzte das Kaninchen hin und wieder mit einem grimmigen Blicke an. Er hatte nie so große Ähnlichkeit mit einem angenehmen Froschjüngling, der an einem warmen Juniabend trauernd auf dem Teichel sitzt, als in diesem Augenblicke. Graf Rebs bemerkte dies. Mit angenehmer Herablassung, wobei er das r noch mehr schnurren ließ als zuvor, sprach er: „Werter Monsieur Zwerner, Sie dürfen aus dem Schlag mit dem Jocofächer keine argen Folgerungen ziehen. Es ist nur eine _façon de parler_ unter Leuten von gutem Ton. Wegen meiner dürfen Sie ruhig sein. Zwar solange man jung ist," fuhr er fort, indem er den Halskragen höher heraufzog und schalkhaft daraus hervorsah, wie das Kaninchen aus dem Busch, „zwar so lange man jung ist, macht man sich hie und da ein Späßchen. Aber ein ganz anderer Gegenstand fesselt mich jetzt, Liebster! Haben Sie schon die Nichte des englischen Botschafters gesehen, die seit drei Tagen hier in Frankfurt ist?" „Nein," antwortete mein Nachbar, leichter atmend. „O, ein deliziöses Kind! Augenbrauen wie, wie--wie mein Rock hier, einen Mund zum Küssen und in dem schönen Gesicht so etwas Pikantes, ich möchte sagen so viel englische Rasse. Nun, wir sind hier unter uns; ich kann Sie versichern, es ist auffallend, aber wahr, ich sollte es nicht sagen, es beschämt mich, aber auf Ehre, Sie können sich darauf verlassen, obgleich es ein ganz komischer Fall ist, übrigens hoffe ich, mich auf Ihre Diskretion verlassen zu können, nein, es ist wirklich auffallend, in drei Tagen ..." „Nun, so bitte ich Sie doch um Gottes willen, Herr Graf, was wollen Sie denn sagen?" Es war ein eigener Genuß, das Kaninchen in diesem Augenblicke anzusehen. Ein Gedanke schien ihn zu kitzeln; denn er kniff die Äuglein zu, sein Kinn verlängerte sich, seine Nase bog sich abwärts nach den Lippen, und sein Mund war nur noch eine dünne, zarte Linie; dazu arbeitete er mit dem zierlich gekrümmten Rücken und den Schulterblättern, als wolle er anfangen zu fliegen, und mit den abgelebten Knöcheln seiner Finger fuhr er auf dem Tisch umher. Noch einmal mußte der Seufzer ihn ermuntern, sein Geheimnis preiszugeben, bis er endlich hervorbrachte: „Sie ist in mich verliebt! Sie staunen; ich kann es Ihnen nicht übelnehmen; auch mir wollte es anfangs sonderbar bedünken, in so kurzer Zeit; aber ich habe meine sicheren Kennzeichen, und auch andere haben es bemerkt." „Sie Glücklicher!" rief der Seufzer nicht ohne Ironie. „Wo Sie nur hintippen, schlagen Ihnen Herzen entgegen; übrigens rate ich, diese Engländerin ernstlicher zu verfolgen; bedenken Sie, eine so solide Partie--" „Merke schon, merke schon," entgegnete Rebs mit schlauem Lächeln, „es ist Ihnen um Rebekka, Sie wollen, ich solle dort gänzlich aus dem Felde ziehen. Solide Partie! Sie werden doch nicht meinen, daß ich schon heiraten will? Gott bewahre mich! Aber wegen Rebeckchen dürfen Sie ruhig sein; ich ziehe mich gänzlich zurück. Und sollte vielleicht eine vorübergehende Neigung in dem Mädchen--Sie verstehen mich schon-- das wird sich bald geben; ich glaube nicht, daß sie mich ernstlich geliebt hat." „Ich glaube auch nicht," entgegnete der Seufzer mit einem Ton, in welchem sich bittere Ironie mit Grimm mischte. Die Gesellschaft stand auf, wir folgten. Graf Rebs tänzelte lächelnd zu den Damen, welchen er während der Tafel so zärtliche Blicke zugeworfen; ich aber folgte dem unglücklichen Seufzer. * * * * * 2. TROST FÜR LIEBENDE. „Was war doch dies für ein sonderbarer Herr?" fragte ich meinen Nachbar, indem ich mich dicht an ihn anschloß. „Findet er wirklich bei den Damen so sehr Beifall, oder ist er ein wenig verrückt?" „Ein Geck ist er, ein Narr!" rief der Seufzende, indem er mit dem Kopf aus den Schultern herausfuhr und die Arme umherwarf. „Ein alter Junggeselle von fünfundvierzig, und spielt noch den ersten Liebhaber. Eitel, töricht, glaubt, jede Dame, die er aus seinen kleinen Äuglein anblinzelt, sei in ihn verliebt, drängt sich überall an und ein--" „Nun, da spielt dieser Graf Rebs eine lächerliche Rolle in der Gesellschaft, da wird er wohl überall verhöhnt und abgewiesen?" „Ja, wenn die Damen dächten, wie Sie, wertgeschätzter Herr! Aber so lächerlich dieser Gnome ist, so töricht er sich überall gebärdet, so-- oh--Rebekka! der Teufel hat die Weiberherzen gemacht." „Ei, ei," sagte ich, indem ich schnell Nr. 45 aufschloß und den Verzweifelnden hineinschob, „ei! lieber Herr Zwerner, wer wird so arge Beschuldigungen ausstoßen? Und auf Fräulein Rebekka--setzen Sie sich doch gefälligst aufs Sofa--auf das Fräulein sollte er auch Eindruck gemacht haben, dieser Gliedermann?" „Ach, nicht er, nicht er. Sie sieht, daß er lächerlich ist und geckenhaft, und doch kokettiert sie mit ihm. Nicht mit ihm, sondern mit seinem Titel. Es schmeichelt ihr, einen Grafen in ihrer Loge zu sehen oder auf der Promenade von ihm begrüßt zu werden; vielleicht, wenn sie eine Christin wäre, hätte sie einen solidern Geschmack." „Wie, das Fräulein ist eine Jüdin?" „Ja, es ist ein Judenfräulein. Ihr Vater ist der reiche Simon in der neuen Judenstraße. Das große gelbe Haus neben dem Herrn von Rothschild, und eine Million hat er, das ist ausgemacht." „Sie haben einen soliden Geschmack. Und wie ich aus dem Gespräch des Grafen bemerkt habe, können Sie sich einige Hoffnung machen?" „Ja," erwiderte er ärgerlich, „wenn nicht der Satan das Papierwesen erfunden hätte. So stehe ich immer zwischen Türe und Angel. Glaube ich heute einen festen Preis, ein sicheres Vermögen zu haben, um vor Herrn Simon zu treten und sagen zu können: ‚Herr, wir wollen ein kleines Geschäft machen miteinander; ich bin das Haus Zwerner u. Komp. aus Dessau, stehe so und so, wollen Sie mir Ihre Tochter geben?' Glaube ich nun so sprechen zu können, so läßt auf einmal der Teufel die Metalliques um zwei, drei Prozent steigen, ich verliere, und meinem Schwiegerpapa, der daran gewinnt, steigt der Kamm um so viele Prozente höher, und an eine Verbindung ist dann nicht mehr zu denken." „Aber kann denn nicht der Fall eintreten, daß S i e gewinnen?" „Ja, und dann bin ich so schlecht beraten wie zuvor. Herr Simon ist von der Gegenpartei. Gewinne ich nun durch das Sinken dieser oder jener Papiere, so verliert er ebensoviel, und dann ist nichts mit ihm anzufangen; denn er ist ein ausgemachter Narr und reif für das Tollhaus, wenn er verliert. Ach, und aus Rebeckchen, so gut sie sonst ist, guckt auf allen Seiten der jüdische Geldteufel heraus." „Wie, sollte es möglich sein, eine junge Dame sollte so sehr nach Geld sehen?" „Da kennen Sie die Mädchen, wie sie heutzutage sind, schlecht," erwiderte er seufzend. „Titel oder Geld, Geld oder Titel, das ist es, was sie wollen. Können sie sich durch einen Leutnant zur gnädigen Frau machen lassen, so ist er ihnen eben recht, hat ein Mann wie ich Geld, so wiegt dies den Adel zur Not auf, weil derselbe gewöhnlich keines hat." „Nun, ich denke aber, das Haus Zwerner u. Komp. in Dessau hat Geld; woher also Ihr Zweifel an der Liebe des Fräuleins?" „Ja, ja!" sagte er etwas freundlicher, „wir haben Geld, und so viel, um immer mit Anstand um eine Tochter des Herrn Simon zu freien; aber Sie kennen die Frankfurter Mädchen nicht; werter Herr! Ist von einem angenehmen, liebenswürdigen jungen Manne die Rede, so fragen sie: Wie steht er? Steht er nun nicht nach allen Börsenregeln solid, so ist er in ihren Augen ein Subjekt, an das man nicht denken muß." „Und Rebekka denkt auch so?" „Wie soll sie andere Empfindungen kennen lernen in der neuen Judenstraße? Ach, ihre Neigung zu mir wechselt nach dem Cours der Börsenhalle! Man weiß hier, daß ich mich verführen ließ, viele Metalliques und preußische Staatsschuldscheine zu kaufen. Mein Interesse geht mit dem der hohen Mächte und mit dem Wohl Griechenlands Hand in Hand. Verliert die Pforte, so gewinne ich und werde ein reicher Mann. Gewinnt der Großtürke und sein Reis=Effendi, so bin ich um zwanzigtausend Kaisergulden ärmer und nicht wehr würdig, um sie zu freien. Das weiß nun das liebenswürdige Geschöpf gar wohl, und ihr Herz ist geteilt zwischen mir und dem Vater. Bald möchte sie gerne, daß die Pforte das Ultimatum annehme, um mein Glück zu fördern; bald denkt sie wieder, wieviel ihr Vater durch diese Spekulation des Herrn von Metternich verlieren könnte, und wünscht dem Effendi soviel Verstand als möglich. Ich Unglücklicher!" „Aber, lieben Sie denn wirklich dieses edle Geschöpf?" fragte ich. Tränen traten ihm in die Augen, ein tiefer Seufzer stahl sich aus seiner Brust. „Wie sollte ich sie nicht lieben?" antwortete er. „Bedenken Sie, fünfzigtausend Taler Mitgift, und nach des Vaters Tod eine halbe Million, und wenn Gott den Israelchen zu sich nimmt, eine ganze. Und dabei ist sie vernünftig und liebenswürdig, hat so was Feines, Zartes, Orientalisches; ein schwarzes Auge voll Glut, eine kühn geschwungene Nase, frische Lippen; der Teint, wie ich ihn liebe, etwas dunkel und dennoch rötlich. Ha! und eine Figur! Herr! Wie sollte man solches Geschöpf nicht lieben?" „Und haben Sie keinen Rival als den Gnomen, den Grafen Rebs?" „O, einige Judenjünglinge, bedeutende Häuser, buhlen um sie, aber ihr Sinn steht nach einem soliden Christen. Sie weiß, daß bei uns alles nobler und freier geht als bei ihrem Volk, und schämt sich, in guter Gesellschaft für eine Jüdin zu gelten. Daher hat sie sich auch den Frankfurter Dialekt ganz abgewöhnt und spricht Preußisch. Sie sollten hören, wie schön es klingt, wenn sie sagt: ‚Ißßt es möglich?' oder: ‚Es jinge wohl, aber es jeht nich.'" Der Seufzer gefiel mir. Es ist ein eigenes, sonderbares Volk, diese jungen Herren vom Handelsstand. Sie bilden sich hinter ihrem Ladentisch eine eigene Welt von Ideen, die sie aus den trefflichsten Romanen der Leihbibliotheken sammeln. Sie sehen die Menschen, die Gesellschaft nie, es sei denn, wenn sie abends durch die Promenade gehen, oder Sonntags, gekleidet wie Herren _comme il faut_, auf Kirchweihen oder sonstigen Plätzen sich amüsieren. Reisen sie hernach, so dreht sich ihr Ideengang um ihre Musterkarte und die schöne Wirtin der nächsten Station, welche ihnen von einem Kameraden und Vorgänger empfohlen ist, oder um die Kellnerin des letzten Nachtlagers, die, wie sie glauben, noch lange um den schönen, wohlgewachsenen jungen Mann weinen wird. Sie haben irgendwo gelesen oder gehört, daß der Handelsstand gegenwärtig viel zu bedeuten habe; drum sprechen sie mit Ehrfurcht von sich und ihrem Wesen, und nie habe ich gefunden, daß einer von sich sagte: „Kaufmann oder Bänderkrämer", sondern: „Ich reise in Geschäften des Hauses Bäuerlein oder Zwierlein", und fragt man, in welchen Artikeln, so kann man unter zehn auf neun rechnen, sie ganz bescheiden antworten zu hören: „Knöpfe, Haften und Haken, Tabak, Schnupf= und Rauch=, und dergleichen bedeutende Artikel." Haben sie nun gar im Städtchen ihrer Heimat ein Schätzchen zurückgelassen, so darf man darauf rechnen, sie werden, wenn von Liebe die Rede ist, ihre sehr interessante Geschichte erzählen, wie sie Fräulein Jettchen beim Mondschein kennen gelernt haben, sie werden die Brieftasche öffnen und unter hundert Empfehlungsbriefen, Annoncen von Gasthöfen usw. ein Seidenpapier hervorziehen, das ein Pröbchen Haar von der Stirne der Geliebten enthält. Glückliche Nomaden! Ihr allein seid noch heutzutage die fahrenden Ritter der Christenheit. Und wenn es euch auch nicht zukömmt, mit eingelegter Lanze _à la_ Don Quichotte eurer Jungfrauen Schönheit zu verteidigen, so richtet ihr doch in jeder Kneipe nicht weniger Verwüstung an, wie jener mannhafte Ritter, und seid überdies meist euer eigener Sancho Pansa an der Tafel. Eine solche liebenswürdige Erziehung, aus Kontorspekulationen, Romanen, Mondscheinliebe und Handelsreisen zusammengesetzt, schien nun auch mein Nachbar Seufzer genossen zu haben. Nur etwas fehlte ihm, er war zu ehrlich. Wie leicht wäre es für einen Mann von Zweimalhunderttausend gewesen, Kuriere nicht von H ö c h s t oder von L a n g e n, sondern von W i e n, sogar mit a u t h e n t i s c h e n Nachrichten kommen zu lassen, um seinem Glücke aufzuhelfen. Ist denn auf der Erde nicht alles um Geld feil? Und wenn Rothschild mit Geld etwas machen kann, warum sollte es ein anderer nicht auch können, wenn sein Geld ebensogut ist als das des großen Makkabäers? Zwar e i n solcher Sperling wagt keinen Sommer. E i n e solche Handelsseele mehr oder weniger mein, kann mir nicht nützen. Doch die Nuancen ergötzen mich, jenes bunte Farbenspiel, bis ein solcher Hecht ins Netz geht, und darum beschloß ich, ihm zu nützen, ihn zu fangen. „Ich bin," sagte ich zu ihm, „ich bin selbst einigermaßen Papierspekulant; daher werden Sie mir vergeben, wenn ich Ihre bisherigen Verfahrungsarten etwas sonderbar finde." „Wie meinen Sie das?" fragte er verwundert. „Als ich in Dessau war, ließ ich mir nicht jeden Posttag den Kurszettel schicken? Und hier, gehe ich nicht jeden Tag in die Börsenhalle? Gehe ich nicht jeden Tag in die neue Judenstraße, um das Neueste zu erfragen?" „Das ist es nicht, was ich meine. Ein Genie wie Sie, Herr Zwerner (er verbeugte sich lächelnd), das heißt, ein Mann mit diesen Mitteln, der etwas wagen will, muß s e l b s t eingreifen in den Lauf der Zeiten." „Aber mein Gott," rief er verwunderungsvoll, „das kann ja jetzt niemand als der Rothschild, der Reis=Effendi und der Herr von Metternich. Wie meinen Sie denn?" „Über Ihr Glück, Sie geben es selbst zu, kann ein einziger Tag, eine einzige Stunde entscheiden. Zum Beispiel, wenn die Pforte das Ultimatum verwirft, die Nachricht schnell hierher kommt, kann eine Krisis sich bilden, die Sie stürzt. Ebenso im Gegenteil können Sie durch eine solche Nachricht sehr gewinnen, weil dann Ihre Papiere steigen?" „Gewiß, gewiß," seufzte er. „Aber ich sehe nur noch nicht recht ein--" „Nur Geduld. Wer gibt nun diese Nachricht, wer bekommt sie? Das Ministerium in Wien oder ein guter Freund, der sehr nahe hingehorcht und dem g r o ß e n P o r t i e r ein Stück Geld in die Hand gedrückt hat, läßt noch in der Nacht einen Kurier aufsitzen. Der reitet und fährt und fliegt nach Frankfort und bringt die Depesche--wem?" „Ach, dem Glücklichsten, dem Vornehmsten!" „Nein, dem, der am besten zahlt. Einen solchen Kurier kann ich Ihnen um Geld auch verschaffen, ich habe Konnexionen in Wien. Man kann dort mancherlei erfahren, ohne gerade der österreichische Beobachter zu sein. Kurz, wir lassen einen Brief mit der Nachricht einer wichtigen Krisis, eines bedeutenden Vorfalles kommen--" „Etwa, der Sultan habe einen Schlag bekommen, oder der Kaiser von Rußland sei plötzlich--" „Nichts davon, das ist zu wahrscheinlich, als daß es die Leute glauben! Unwahrscheinliches, Überraschendes muß auf der Börse wirken!"-- „Also etwa, der Fürst von M. sei ein Türke geworden, habe dem Islam geschworen?" „Ich sage Ihnen ja, nichts Wahrscheinliches. Nein, geradezu, die Pforte habe das Ultimatum angenommen. Bekommen Sie nun diese Nachricht mit allem möglichen geheimnisvollen Wesen, lassen Sie den Kurier sogleich ein paar Stationen weiter reisen, lassen Sie den Brief einige Geheimniskrämer lesen, gehen kurze Zeit darauf in die Börsenhalle, so kann es nicht fehlen, Sie sind ein wichtiger Mann und setzen Ihre Papiere mit Gewinn ab." „Aber, lieber Herr," erwiderte der Kaufmann von Dessau kläglich, „das wäre ja denn doch erlogen, wie man zu sagen pflegt, eine Sünde für einen rechtlichen Mann; bedenken Sie, ein Kaufmann muß im Geruch von Ehrlichkeit stehen, will er Kredit haben." „Ehrlichkeit, Possen! Geld, Geld, das ist es, wonach er riechen muß, und nicht nach Ehrlichkeit. Und was nennen Sie am Ende Ehrlichkeit? Ob Sie Ihre Kunden bei einem Pfund Kaffee betrügen, ob Sie einem alten Weibe ihr Lot Schnupftabak zu leicht wiegen, oder ob Sie dasselbe Experiment im großen vornehmen, das ist am Ende dasselbe." „Ei, verzeihen Sie, da muß ich denn doch bitten; an der Prise, die das Weib zu wenig bekommt, stirbt sie nicht, wie man zu sagen pflegt; aber wenn ich einen solchen Kurier kommen lasse, so kann er durch seine falsche Nachricht ein Nachrichter der ganzen Börse werden; viele Häuser können fallieren, andere wanken und den Kredit verlieren, und das wäre dann meine Schuld!" „So, mein Herr?" sagte ich mit mitleidigem Lächeln zu der schwachen Seele. „So, Sie schämen sich nicht, die Moral, das Herrlichste, was man auf Erden hat, so zu verhunzen? Also wegen der Folgen wollen Sie nicht? Nicht vor dem Beginnen an sich, als einem unmoralischen, beben Sie zurück? Wer den Anfang einer Tat nicht scheut, darf auch ihr Ende nicht scheuen, ohne für eine kleine Seele zu gelten. Oder glauben Sie, eine Rebekka könne man dadurch verdienen, daß man im Weißen Schwanen wohnt und seufzt, daß man zur Tafel geht und mit dem Kaninchen, dem Grafen Rebs, grollt?" „Aber, mein Herr," rief der Seufzer etwas pikiert, „ich weiß gar nicht, was Sie mir, als einem ganz Fremden, für eine Teilnahme erzeigen; ich weiß gar nicht, wie ich das nehmen soll?" „Mein Herr, das haben Sie sich selbst zuzuschreiben; Sie haben mir Ihre Lage entdeckt und mich gleichsam um Rat gefragt; daher meine Antwort. Übrigens bin ich ein Mann, der reist, um überall das Treffliche und Erhabene kennen zu lernen. In Ihnen glaubte ich gleich auf den ersten Anblick solches gefunden zu haben;--" „Bitte recht sehr, eine so ganz gewöhnliche Physiognomie wie die meine--" „Das können Sie nicht so beurteilen wie ein anderer; auf Ihrer Stirne thront etwas Freies, Mutiges, um Ihren Mund weht ein anziehender Geist--" „Finden Sie das wirklich?" rief er, indem er lächelnd meine Hand faßte und verstohlen nach dem Spiegel blickte. „Es ist wahr, man hat mir schon dergleichen gesagt, und in Stuttgart hat man mich sogar versichert, ich sei dem berühmten Dannecker auf der Straße aufgefallen, und er sei eigens deswegen einigemal in den König von England gekommen, um von mir etwas für seinen Johannes abzusehen." „Nun sehen Sie, wie muß es nun einen Mann, wie ich bin, überraschen, so wenig Mut, so wenig Entschluß hinter dieser freien Stirne, diesem mutigen Auge zu finden!" „Ach, Sie nehmen es auch zu strenge; ich habe ja Ihren Vorschlag durchaus nicht verworfen, nur einiges Bedenken, einige kleine Zweifel stiegen in mir auf, und--nun Sie haben wahrlich nicht unrecht, ich fühle einen gewissen Mut, eine gewisse Freiheit in mir, es ist ein gewisses Etwas, ja--so gut es ein anderer tun kann, will ich es auch versuchen. Es sei, wie Sie sagten, ich will es daranrücken und einen Kurier kommen lassen; wir wollen die Metalliques steigern!" * * * * * 3. EIN SCHABBES IN BORNHEIM. Der einzige Zweifel, der den seufzenden Dessauer noch quälte, war die Furcht, den Vater seiner Geliebten in bedeutenden Verlust zu stürzen, wenn er seine Operation nach meinem Plane einrichte. Doch auch dafür wußte ich ein gutes, sehr einfaches Mittel. Er mußte den Herrn Simon in der neuen Judenstraße auf seine Seite bringen, mußte ihm bedeutende Winke von der nahenden Krisis geben; entweder nahm dann der Jude an dem ganzen Unternehmen unbewußt teil und gewann zugleich mit dem Dessauer, oder er war wenigstens gewarnt und mußte einige Achtung vor dem Manne bekommen, der so genau die politischen Wendungen zu berechnen wußte, der seine Kombinationen so geschickt zu machen verstand. Dem Kaufmann leuchtete dies ein. Er kam von selbst auf den Gedanken, noch an diesem Tage mit dem alten Simon zu sprechen und lud mich ein, mit ihm nach B o r n h e i m zu fahren, wo der Schabbes heute die noble Welt des alten Judenquartiers, der neuen Judenstraße, überhaupt alle Stämme Israels versammelt habe. Wir fuhren hinaus, der Seufzer schien ein ganz anderer Mensch geworden zu sein. Sein trübseliges Gesicht leuchtete freundlich vom Glanze der Hoffnung, sein Auge hob sich freier, um seine Stirn, seinen Mund war jede Melancholie verschwunden, sein großer, runder Kopf steckte nicht mehr zwischen den Schultern, er trug ihn freier, erhabener, als wollte er sagen: „Seht, ihr Frankfurter und Bornheimer, ich bin es, das Haus Zwerner und Komp. aus Dessau, nächstens eine bedeutende Person an der Börse, und, wenn es gut geht, Bräutigam der schönen Rebekka Simon in der neuen Judenstraße!" Aus dem Garten des Goldenen Löwen in Bornheim tönten uns die zitternden Klänge von Harfen und Gitarren und das Geigen verstimmter Violinen entgegen; das Volk Gottes ließ sich vormusizieren im Freien, wie einst ihr König Saul, wenn er übler Laune war. Wir traten ein; da saßen sie, die Söhne und Töchter Abrahams, Isaaks und Jakobs, mit funkelnden Augen, kühn gebogenen Nasen, fein geschnittenen Gesichtern, wie aus einer Form geprägt, da saßen sie vergnügt und fröhlich plaudernd und tranken Champagner, aus saurem Wein, Zucker und Mineralwasser zubereitet, da saßen sie in malerischen Gruppen unter den Bäumen, und der Garten war anzuschauen, als wäre er das gelobte Land Kanaan, das der Prophet vom Berge gesehen und seinem Volke verheißen hatte. Wie sich doch die Zeiten ändern durch die Aufklärung und das Geld! Es waren dies dieselben Menschen, die noch vor dreißig Jahren keinen Fuß auf den breiten Weg der Promenade setzen durften, sondern bescheiden den Nebenweg gingen; dieselben, die den Hut abziehen mußten, wenn man ihnen zurief: „Jude, sei artig, mach' dein Kompliment!" Dieselben, die von dem Bürgermeister und dem hohen Rat der freien Stadt Frankfurt jede Nacht eingepfercht wurden in ihr schmutziges Quartier. Und wie so ganz anders waren sie jetzt anzuschauen! Überladen mit Putz und köstlichen Steinen saßen die Frauen und Judenfräulein; die Männer, konnten sie auch nicht die spitzigen Ellbogen und die vorgebogenen Knie ihres Volkes verleugnen, suchten sie auch umsonst den ruhigen, soliden Anstand eines Kaufherrn von der Zeile oder der Million zu kopieren, die Männer hatten sich sonntäglich und schön angetan, ließen schwere, goldene Ketten über die Brust und den Magen herabhängen, streckten alle zehn Finger, mit blitzenden Solitärs besteckt, von sich, als wollten sie zu verstehen geben: Ist das nicht was ganz Solides? Sind wir nicht das auserwählte Volk? Wer hat denn alles Geld, gemünzt und in Barren, als wir? Wem ist Gott und Welt, Kaiser und König schuldig, wem anders als uns? „Dort sitzt sie, die Taube von Juda, dort sitzt sie, die Gazelle des Morgens," rief der Seufzer in poetischer Ekstase und zerrte mich am Arm; „schauen Sie dort, unter dem Zelt von hölzernem Gitterwerk. Der mit dem runden Leib, der langen Nase und den grauen Löckchen am Ohr ist der Vater, Herr Simon aus der neuen Judenstraße, die dicke Frau rechts mit den schwarzseidenen Locken und dem rotbraunen Gesicht ist die Tante; eine fatale Verwandtschaft, aber man weiß sich in Zukunft zu separieren nach und nach." „Aber wo ist denn die Gazelle, die Taube? Ich sehe sie noch nicht--" „Geduld! Noch bedeckt die neidische Wolke, die Tante, das Gestirn des Aufgangs; fassen wir ein Herz, treten wir näher. Doch eben fällt mir bei, ich muß Sie vorstellen; wie nenne ich Sie, mein lieber Freund und Ratgeber?" „Ich bin der k. k. Legationsrat Schmälzchen aus Wien," gab ich ihm zur Antwort, „reise in Geschäften meines Hofes nach Mainz." „Ah," rief er, nachdem er schon bei dem kaiserlich königlich an den Hut gegriffen hatte, „Le--Legationsrat, wirklicher, und nicht bloß Titular ums liebe Geld? Das freut mich, dero werte Bekanntschaft zu machen. Hätte es mir gleich vorstellen können, Sie haben einen gar tiefen Blick in die Staatsaffären. Wahrhaftig, hätte es Ihnen gleich ansehen können; haben so etwas Diplomatisches, Kabinettsmäßiges in dero Visage." „Bitte, bitte, keine Komplimente. Gehn wir zum Juden, ich hoffe Ihnen nützlich sein zu können." Wir traten zu dem Zelt aus hölzernem Gitterwerk. Mein Begleiter errötete tiefer, je näher er trat; seine Wangen liefen vom Hellroten ins Dunkelrote, von da ins bläulich Schattierte an, und als wir vor dem Herrn Simon standen, war er anzusehen wie eine schöne dunkelrote Herzkirsche. Die Tante, „das neidische Gewölk", erhob sich, und nun ward auch das Gestirn des Morgens sichtbar. Das Schickselchen, die Kalle, ich meine Rebekka, des Juden Tochter, war nicht übel.--Sie hatte, um mich wie Graf Rebs auszudrücken, viel Rasse, und ihre Augen konnten den Seufzer wohl bis auf Herz durchbrennen, obgleich er zur Vorsicht und aus Eleganz drei Westen angetan hatte. Nachdem mich mein Freund, der als solides Haus aus Dessau bei der Familie wohl gelitten schien, vorgestellt hatte, machte er sich an die Taube von Juda und überließ es mir, den alten Simon zu unterhalten. Mein Titel schien ihm einigen Respekt eingeflößt zu haben. „Haben da ein schönes Fach erwählt, Herr von Schmälzlein," bemerkte er wohlgefällig lächelnd; „habe immer eine Inklination für die Diplomatik gehabt, aber die Verhältnisse wollten es nicht, daß ich ein Gesandter oder dergleichen wurde. Man weiß da gleich alles aus der ersten Hand! Man kann viel komplizieren und dergleichen; was ließen sich da für Geschäfte machen!" „Sie haben recht, mein Herr! Man lernt da die verwickeltsten Verhältnisse kennen. Allein aber schauen's, das Ding hat auch seinen Haken. Man weiß oft eigentlich zu viel, es geht einem wie ein Rad im Kopf umher." Der Jude rückte näher. Mit einem Wiener Diplomaten, mochte er denken, nehme ich es auch noch auf. „Zeviel?" sagte er. „Ich für meinen Teil kann nie zeviel wissen. Was die Papiere betrifft, da kann ein Fingerzeig, ein halber, ein Viertelsgedanke oft mehr tun, als eine lange Rede im Frankfurter Museum. Nu, S i e stehen solide in Wien, Ihr Staat ist ein gemachtes Haus trotz einem; was Herr von M. auf dem Flageolett vorpfeift, das singen die Staren nach." „Die Staren vielleicht, aber nicht die Zaren!" „Gut, _très bien, bon_! Gut gegeben, hi! hi! hi! _à propos_, wissen Sie Neues aus daher?" Er rückte mir noch näher und wurde verfänglicher. „Herr Simon," sagte ich mit Artigkeit ausweichend, „Sie wissen, es gibt Fälle--" „Wie?" rief er erschrocken. „Gotts Wunder! Neue Fallissements, waas! Ist nicht die Krisis vom letzten Winter schon ein Strafgericht des Herrn gewesen? Waas?" „Um Jottes willen, Papa!" schrie Rebekka, indem sie den Arm des zärtlichen Seufzers zurückstieß und aufsprang. „Doch kein Unglück? Mein Jott! Doch nich hier in Frankfort?" „Beruhigen Sie sich doch, gnädiges Fräulein, ich sprach mit Ihrem Herrn Papa über Politik und rechnete einige Fälle auf, und er hat mich holter nicht recht verstanden." Sie preßte mit einem zärtlichen, hinsterbenden Blick auf den erschrockenen Dessauer ihre Hand auf das Herz und atmete tief. „Nee! was ich erschrocken bin jeworden, da machen Sie sich keenen Bejriff von!" lispelte sie. „Mein Herz pocht schrecklich! Na, erzählen Sie man weiter; was sachte der Graf? Sie hätten ins Parterre jestanden und wären melancholisch jewesen?" Das Geflüster der Liebenden wurde leiser und leiser; die Blicke des Seufzers wurden feuriger, er zog, als „das Gewölke" ein wenig im Garten auf und ab ging, die niedliche Hand der Jüdin an die Lippen und gestand ihr, wenn ich anders recht gehört habe, daß nächstens die Metalliques und die .... um drei Prozente steigen würden. „Herr von Schmälzlein," sagte der Alte, nachdem er einigen koscheren Wein zu sich genommen hatte, „Sie haben mir da einen Schreck in den Leib gejagt, den ich nie vergesse. Fallen, Fälle, wie kann man auch nur dies Wort in Gesellschaft aussprechen? Nun, Sie wollten sagen--?" „Es gibt Affären," fuhr ich fort, „wo der Diplomat schweigen muß. Über das Nähere meiner Sendung z. B. werden Sie selbst mich nicht befragen wollen; nur so viel kann ich Ihnen, aber, mein Herr Simon, im engsten Vertrauen--" „Der Gott meiner Väter tue mir dies und das," rief er feierlich, „so ich nur meinem Nachbar oder seinem Weib oder seinem Sohn oder seiner Tochter das Geringste--" „Schon gut! Ich traue auf Ihre Diskretion; kurz, so viel kann ich Ihnen sagen, daß nächstens eine bedeutende Krisis eintreten wird; g a n z zu allernächst. F ü r oder g e g e n wen darf ich nicht sagen, doch Herr von Zwerner--" „V o n Zwerner?" „Nun, ich nenne ihn so, man weiß ja nicht, was geschieht; an ihn war ich besonders empfohlen vom Fürsten, und ich glaube, wenn ich anders richtig schließe, er muß in den nächsten Tagen Kuriere aus Wien bekommen." „Der Zwerner? Ei, ei! Wer hätte das gedacht! Zwar ich sagte immer, hinter dem steckt etwas; geht so tiefsinnig, kalkulierend umher, hat wahrscheinlich nicht umsonst so unsinnig viele Metalliques gekauft. Ei, sehe doch einer! Hält sich Kuriere mit Wien! Und wenn man fragen darf, es handelt sich wohl um das Ultimatum mit der Pforte?" „Ja." „Ei darf man fragen? Wie ist es ausgefallen? Hat er eingewilligt, der Effendi? Hat er?" „Mein Herr Simon, ich bitte--" „O, ich verstehe, ich verstehe, Sie wollen es nicht sagen, aus Politik, aus Politik, aber er hat, er hat?" „Trauen Sie auf nichts, ich w a r n e Sie, auf keine Nachricht trauen Sie, als auf authentische. Der Herr dort weiß vielleicht mancherlei und hat nicht das drückende Stillschweigen eines Diplomaten zu beobachten." „Ei, hätte ich das in meinem Leben gedacht, Kuriere von Wien, und der Zwerner aus Dessau; zwar er ist ein solides Haus, das ist keine Frage, aber denn doch nicht so außerordentlich. Ob sich wohl was mit ihm machen ließe?" setzte er tiefer nachsinnend hinzu, indem er seine Nase herunter gegen den Mund bog und das lange Kinn aufwärts drückte, daß sich diese beiden reichen Glieder begegneten und küßten. Das war der Moment, wo er anbeißen mußte, denn er nagte schon am Köder. Ich gab dem Seufzer aus Dessau einen Wink, sich dem Papa zu nähern, und nahm seinen Platz bei der Gazelle des Morgenlandes ein. * * * * * 4. DAS GEBILDETE JUDENFRÄULEIN. Wie war sie graziös, das heißt geziert, wie war sie artig, nämlich honett, wie war sie naiv, andere hätten es lüstern genannt. „Ich liebe die Tiplomattiker," sagte sie unter anderem mit feinem Lächeln und vielsagendem Blick. „Es is so etwas Feines, Jewandtes in ihren Manieren. Man sieht ihnen den Mann von jutem Jeschmack schon von die Ferne an, und wie angenehm riechen sie nach _Eau de Portugal_!" „O gewiß, auch nach _Fleur d'Orange_ und dergleichen. Wie nehmen sich denn die hiesigen Diplomaten? Kommen sie viel unter die Leute?" „Nun, sehen Sie, wie das nun jeht, die älteren Herren haben sechs bis sieben Monate Ferien und reisen umher. Die jüngeren aber, die indessen hier bleiben und die Geschäfte treiben, sie müssen Pässe visieren, sie müssen Zeitungen lesen, ob nichts Verfängliches drein is, sie müssen das Papier ordentlich zusammenlegen für die Sitzungen. Nun, was nun solche junge Herren Tiblomen sind, das sein janz scharmante Leute, wohnen in die _Chambres garnies_, essen an die _Tables d'hôte_, jehen auf die Promenade schön ausstaffiert _comme il faut_, haben zwar gewöhnlich kein Jeld nicht, aber desto mehr Ansehen." „Da haben Sie einen herrlichen Schal umgelegt, mein Fräulein, ist er wohl echt?" „Ah, jehen Sie doch! Meinen Sie, ich werde etwas anderes anziehen, als was nicht janz echt ist? Der Schal hat mir jekostet achthundert Gulden, die ich in die Rothschildischen Los gewunnen. Und sehen Sie, dieses Kollier hier kostet sechzehnhundert Gulden und dieser Ring zweitausend. Ja, man jeht sehr echt in Frankfort, das heißt, Leute von den jutem Ton, wie unsereine." „Ach, was haben Sie doch für eine schöne, gebildete Sprache, mein Fräulein! Wurden Sie etwa in Berlin erzogen?" „Finden Sie das och?" erwiderte sie anmutig lächelnd. „Ja, man hat mir schon oft das Kompliment vorjemacht. Nee, in Berlin drein war ich nie, ich bin hier erzogen worden; aber es macht, ich lese viel und bilde auf diese Art meinen Jeist und mein Orkan aus." „Was lesen Sie, wenn man fragen darf?" „Nu, Bellettres, Bücher von die schöne Jeister. Ich bin abonniert bei Herrn Döring in der Sandjasse, nächst der Weißen Schlange, und der verproviantiert mich mit Almanachs und Romancher." „Lesen Sie Goethe, Schiller, Tieck und dergleichen?" „Nee, das tu ich nich. Diese Herren machen schlechte Jeschäfte in Frankfort. Es will sie keen Mensch, sie sind zu studiert, nich natürlich jenug. Nee, den Jöthe lese ich nie wieder! Das is was Langweiliges. Und seine Wahlverwandtschaften! Ich werde rot, wenn ich nur daran denke. Wissen Sie, die Szene in der Nacht, wo der Baron zu die Baronin,--ach, man kann's jar nicht sagen, und jedes stellt sich vor--" „Ich erinnere mich, ich erinnere mich. Aber es liegt gerade in diesem Gedanken eine erstaunliche Tiefe--ein Chaos von Möglichkeiten--" „Nu, kurz, den mag ich nicht; aber wer mein Liebling ist, das is der Clauren. Nee, dieses Leben, diese Farben, dieses Studium des Herzens und namentlich des weiblichen Jemüts, ach, es is etwas Herrliches. Und dabei so natürlich! Wenn mir die andern alle vorkommen wie schwere vierhändige Sonaten mit tiefen Baßpartien, mit zierlichen Solos, mit Trillern, die kein Mensch nich verstehen und spielen kann, so wie der Mozart, der Haydn, so kommt mir der Clauren akkerat so vor wie ein anjenehmer Walzer, wie ein Hopswalzer oder Galopp. Ach, das Tanzen kommt einem in die Beene, wenn man ihn liest. Es ist etwas Herrliches!" „Fahren Sie fort, wie gerne höre ich Ihnen zu. Auch ich liebe diesen Schriftsteller über alles. Diese andern, besonders ein Schiller, wie wenig hat er für das Vergnügen der Menschheit getan. Man sollte meinen, er wolle moralische Vorlesungen halten. Er ist, um mich eines andern Gleichnisses zu bedienen, schwerer, dicker Burgunder, der mehr melancholisch als heiter macht. Aber dieser Clauren! Er kommt mir vor wie Champagner und zwar wie unechter, den man aus Birnen zubereitet. Der echte verdunstet gleich; aber dieser unechte, setzt er auch im Grunde viele Hefen an, so 'brüsselt' er doch mit allerliebsten tanzenden Bläschen auf und ab eine Stunde lang, er berauscht, er macht die Sinne rege, er ist der wahre Lebenswein." „O sehen Sie, da kann ich Ihnen ja gleich unsern Clauren vormachen mit Bornheimer Champagner. Man nimmt fremden Wein, so etwa die Hälfte, jießt Mineralwasser dazu, und nun jeben Sie acht. Ich werfe Zucker in das Janse, und unser Clauren ist fertig. Sehen Sie, wie es siedet, wie es sprudelt und brüsselt, wie anjenehm schmeckt es nich und ist ein wohlfeiles Jetränke. Nee, ich muß sagen, er ist mein Liebling. Und das Anjenehmste is das, man kann ihn so lesen, ohne viel dabei zu denken, man erlebt es eigentlich, es is, meine ich, mehr der Körper, der ins Buch schaut, als der Jeist. Und wie angenehm läßt es sich dabei einschlafen!" „Ich glaube gar, ihr seid in einem gelehrten Gespräch begriffen," rief lachend der alte Jude, indem er, den Dessauer an der Hand, zu uns trat. „Nicht wahr, Herr Legationsrat, ich habe da ein gelehrtes Ding zur Tochter? Sie spricht auch wie ein Buch und liest den ganzen Tag." „Nun, und Sie, Papa, und Herr Zwerner haben wohl tiefe Handelsjeheimnisse abjemacht? Darf man auch davon hören. Wie werden sie in der nächsten Woche stehen, die Metalliques? Recht hoch? Hab' ich es erraten?" „Stille, Kind, stille! Kein Wort davon! Muß alles geheim gehalten werden! Muß einen großen Schlag geben. Ist ein Goldmännchen, der Herr von Zwerner. Setzen Sie sich zu ihr hin und klären ihr alles auf. Sie ist auf diesem Punkt ein verständiges Kind und weiß zu rechnen, die Rebeckchen." Was schlich denn jetzt durch das Gras? Was hüpfte auf zierlichen Beinchen heran? Was lächelte schon von weitem so freundlich nach der Kalle des Herrn Simon? War es nicht das Gräfchen Rebs, das alte, freundliche Kaninchen, das in alle Damen verliebt ist und alle bezaubert? Er war es, er kam hereingeschwänzelt. Er schnaufte und ächzte, als er heran war, und doch konnte er auch in dem Zustand höchster Erschöpfung, in welchem er zu sein schien, sein liebliches süßes Lächeln nicht unterdrücken. Er warf sich ermattet neben Rebekka in einen Sessel, streckte die dünnen Beinchen, so mit zierlichen Spörnchen zum Spazierengehen beschlagen, heftete den matten, sterbenden Blick auf die schöne Jüdin und sprach: „Habe die Ehre, vergnügten Abend zu wünschen. Ich sterbe, mit mir geht's aus!" „Mein Jott! Herr Israels! Graf Rebs, was haben Sie doch? Ihre Wangen sind ja janz einjeschnurrt, Ihre Augen bleiben stehen. Er antwortet nich! Herr Tiplomat, _Eau de Cologne_! Haben Sie keines bei sich in die Tasche?" So rief das schöne Judenkind und beschäftigte sich um den Ohnmächtigen mit zarter Sorgfalt. Da ich keine _Eau de Cologne_ bei mir trug, so begann sie etwas weniges verzweifeln zu wollen und verlangte von dem Dessauer, er solle ihm Tabaksrauch in die Nase blasen. Doch der Vater wußte bessern Rat: „Da geht einer," rief er freudig, „da geht ein charmanter junger Herr, ist in Kondition nicht weit von uns, der trägt beständig etzliches Kölner Wasser in seiner Rocktasche!" Wie ein Pfeil schoß er auf den jungen Mann zu und war, als er ihm mit schrecklichen Gebärden das _Eau de Cologne_= Fläschchen abforderte, anzusehen wie Sir John Falstaff, als er die Krämer beraubt. Maria Farinas Lebenstropfen brachten das arme Kaninchen wieder zu sich. Er schlug die Augen auf, seufzte tief und lächelte. „Mich gehorsamst zu bedanken," lispelte er mit zitternder Stimme, „für die gütigst geleistete Hilfe. War mir aber recht elend zu Mut; fast als hätte ich mehr Bier getrunken als dienlich." „Sind Sie oft solchen Zufällen unterworfen?" fragte Rebekka, ihn etwas mißfällig betrachtend. „Mitnichten und im Gegenteil," erwiderte er, indem er den Rücken zierlich wendete und drehte, mit den Schultern über die Brust herausfuhr und mannhaft mit den Spörnchen klirrte. „Mitnichten, habe sonst eine überaus starke Konstitution. Aber der dicke Pfarrer, der dicke Pfarrer...." Die Juden schwiegen, und Rebekka schlug die Augen nieder, wie immer, wenn von christlichen Pfarrern oder Zeremonien oder auch von Schweinefleisch in ihrer Nähe gesprochen wurde. Der Seufzer aber, dem die Erscheinung des Grafen etwas lästig schien, fragte ihn ziemlich boshaft, ob er etwa im Goldenen Brunnen gewesen, sich allda etwas betrunken und nachher mit dem ehrsamen Pastor Münster Streit und kirchlichen Skandal angefangen nach seiner Gewohnheit. „Nach meiner Gewohnheit?" rief das Kaninchen erschrocken. „Ich ein Unruhstifter oder Säufer, ich in dem Goldenen Brunnen, ich, der ich nur die allernobelsten Hotels, den Pariser und den Englischen Hof, den Weidenbusch, in welchem ich logiere, und den Weißen Schwan mit meinem Besuch beehre? Nein, er ist mir begegnet, der Pfarrer, und als er an mir vorbeiging, sah er mich mit schrecklichen Augen an und sagte: „Das ist auch so ein S t e i n d e s A n s t o ß e s, auch so ein Mystiker." „Herr Pfarrer," sagte ich, „guten Abend, aber ein Mystiker bin ich nicht und will auch für keinen gelten, am wenigsten öffentlich, auf der Chaussee nach Bornheim." „Sie wollen keiner sein?" antwortete er, indem er näher auf mich zutrat, so daß sein Bauch und das Cachet seiner Uhr mir gerade auf die Brust zu sitzen kamen und mich heftig drückte. „Wollen keiner sein? Warum kommen Sie denn nicht mehr ins Museum? Warum haben Sie an öffentlichen Wirtstafeln, im Pariser, Weiden= und anderen Höfen geschimpft über mich, daß ich ein gewisses Gedicht von Langbein in besagter Gesellschaft vorgelesen?" Es ist wahr, ich hatte mich ziemlich stark darüber ausgesprochen, aber nicht aus Mystizismus, sondern weil ich glaubte, es könne zarte Damenohren und weiche Gemüter unangenehm berühren, jenes Gedicht. Aber er nahm keine Entschuldigung an. Ich schlüpfte ihm unter dem Bauch weg und wollte schnell weiter gehen; aber er setzte mir mit weiten Schritten nach, ging neben mir her und beschuldigte mich, seinem Gegenpart, dem mystischen Pfarrer, zu einer reichen Frau verholfen zu haben; er behauptete auch, daß ich mich jeden Morgen statt des Frühstücks magnetisieren lasse, und dergleichen. Und erst hier an der Gartentüre ließ er mit einer mürrischen Reverenz von mir ab." „Aber was hat denn dies alles zu bedeuten?" fragte ich. „Halten denn die Pfarrer hier auf der Landstraße Kirche, wie es Sitte war zur Zeit der Apostel?" „In Frankfurt," belehrte mich der Kaufmann aus Dessau, „in Frankfurt ist gegenwärtig ein großer Krieg zwischen den Pfarrern, und ihre Parteien befehden sich ebenfalls. Mystiker und Rationalisten schelten sie sich hin und her, der eine wirft dem andern vor, er predige nur Moral, der andere entgegnet, sein Gegner rede tiefen Unsinn. Nicht nur in den Kirchen, auf den Kanzeln, sondern auch in den Weinhäusern und Trinkstuben, auf Chausseen und in Kasinos wird gekämpft; und so konnte es leicht geschehen, daß der Herr Graf einem Eiferer der Vernunft in die Hände fiel.--Doch wie? Herr Graf, wenn ich nicht irre, so fährt dort der Lord und seine Nichte. Nicht so? Und sie halten vor dem Garten, sie steigen aus?" „Ah, sie hat mich bemerkt," rief das Kaninchen sehr freundlich, „sie schaut schon herüber und wedelt, wenn ich nicht irre, mit dem Taschentuch mir zu. Verzeihen allerseits, daß ich mich entferne. Miß Mary hat ein Auge auf mich geworfen, und Sie wissen selbst, bei solchen Affären--" Er schlüpfte unter diesen Worten aus dem Zelt und eilte mit zierlichen Sprünglein zu der Gartenpforte, wo er in dem Drang seines Herzens die junge Dame auf den glacierten Handschuh küßte. Es mochte ihr übrigens dieses Zeichen seiner Verehrung überaus komisch vorkommen; denn ihr Lachen drang bis zu uns herüber, und mit tiefem Baß begleitete sie der Lord, indem er dem Kaninchen das Pfötchen schüttelte. Das Gewölk, die Tante Simon, kam jetzt zurück und beklagte sich, daß es schon etwas kühl werde. Der Jude ließ daher seinen schönen Wagen vorfahren und verließ mit den Seinigen den Garten. Der Seufzer hatte das Glück, Rebeckchen in den Wagen heben zu dürfen, und kam mit ganz verklärtem Gesicht zurück. Sie hatte ihm unter der Türe noch die Hand gedrückt und gestanden, daß sie sich diesen Nachmittag janz fürtrefflich amüsiert habe, und der Alte hatte ihn eingeladen, morgen und alle Tage den Abend in seinem Hause zuzubringen. * * * * * 5. DER KURIER AUS WIEN KOMMT AN. Ich könnte dir, geneigter Leser meiner Memoiren, vieles Ergötzliche und Interessante erzählen, was ich in der freien Stadt Frankfurt erlebte. Nicht von früheren Zeiten her, wo ich oft hinter den Stühlen der Kurfürsten stand und den Kaiser wählen half, wo ich so oft unter guten Freunden im Römer und beim Römer saß, wenn das neue Haupt des vielgliedrigen Leibes, Deutsches Reich genannt, mit der Krone geschmückt worden war. Nein, von den heutigen Tagen könnte ich dir viel erzählen, von dem tiefen, geheimnisvollen Wesen der Diplomatie, von dem herrlichen Junitag, in welchem es niemals Abend oder Nacht wird, ich meine den deutschen Bundestag; von dem herrlichen Treiben und Blühen des Mystizismus und wie ich das Feuer anschürte zwischen seinen Anhängern und den Rationalisten, und wie es im Wirtshaus zum Goldenen Brunnen einigemal zu bedeutenden Raufereien kam zwischen beiden Parteien, das heißt--nur mit schneidenden Zungen und stechenden Blicken. Ich könnte dir erzählen, wie ich in einem Institut, woselbst man junge Fräulein für die Welt zustutzt, nützlichen Unterricht gab im Gitarrespielen und andern Kleinigkeiten, so eine junge Dame kennen muß, wenn sie in die Welt tritt. Ich könnte dir erzählen von jener Straße, Million genannt, wo meine speziellsten Freunde wohnen, deren der geringste über Millionen gebietet. Doch ich schweige von diesem allem, weil ich mir vorgenommen, dir einen kleinen Abriß zu geben von der Art, wie ich den ehrlichen, seufzenden Sohn Merkurs aus Dessau zu einem Teufelskind machte. Der erste Schritt vom ehrlichen Mann zum schlechten oder Betrüger ist an sich klein und dennoch bedeutend, weil man leicht, sozusagen, in Schuß kommt und unaufhaltsam bergab, bergab geht, anfangs im Trott, nachher im Galopp. Mein guter Seufzer hatte sein bedeutendes Vermögen mit einem ehrlichen Gemüt geerbt. Er ging in seinen Geschäften den geraden, ehrlichen Weg, nicht, weil er ihm angenehmer war, sondern weil er es unbequem finden mochte, Winkelzüge und Umwege zu machen. Es ist dies die Ehrbarkeit, die Tugend, die nie auf der Probe war und daher ein negativer Begriff, ein Nichts, auf jeden Fall keine Tugend ist. Nicht der Geldgewinn, er ist ziemlich zufrieden mit seinem Los, sondern die Liebe zu der schönen Kalle des alten Simon macht ihn straucheln, oder vielmehr, wie Gelegenheit Diebe macht, die süße Art, wie ich es ihm eingab. Jetzt ist er, um das Kind beim rechten Namen zu nennen, aus dem ehrlichen Mann ein Betrüger geworden. Er wird, weil es ihm diesmal leicht wird, zu betrügen, das nächste Mal ähnliches versuchen. Das Gewissen, die Ehrlichkeit, die Ruhe, die Selbstzufriedenheit ist ja doch schon zum Teufel; warum soll er sich also genieren? Der große Gewinn für mich liegt aber darin, daß die ersten Versuche des ehrlichen Mannes, ein Betrüger zu werden, gewöhnlich gut ausfallen und zur Wiederholung locken. Denn wer mit mir Geschäfte macht, kann, solange es tunlich ist, darauf rechnen, sie mit Glück zu machen, und unglückliche Spekulanten, von denen die Sage geht, daß sie sich erhängt oder ersäuft haben, hatten durch Reue und Selbstanklage den Kopf verloren, hatten mir zu wenig vertraut, und nicht ich war es, der sie verließ; sie hatten sich selbst verlassen. Doch, wo gerate ich hin? Habe ich mich von dem dicken Pfarrer anstecken lassen, zu moralisieren? Ist es denn mein Zweck, mit psychologischen Abhandlungen meine Leser zu ermüden oder sogar abzuschrecken? Oder wie, ließ ich mich etwa von den Winken einiger gelehrten Leute verführen, die behaupten, es liege zu wenig psychologische Teufelei oder teuflische Psychologie in meinen Memoiren, ich sei für einen deutschen Schriftsteller, als welchen ich mich im Leipziger Meßkatalogus einregistrieren lassen, nicht gründlich genug? Der Teufel soll es holen! möchte ich mir selbst zurufen. Sobald man vom Wege abgeht, gerät man immer mehr auf Abwege, so auch im Niederschreiben von Memoiren. Ich werde kurz sein. Ich hatte durch meine dienenden Kleinen erfahren, welche Gedanken der Reis=Effendi in einer Privatunterredung mit Herrn von Minciaky über das russische Ultimatum geäußert. Ja, um redlich zu sein, ich hatte selbst großen Anteil an jener Wendung der Dinge, weil mir dadurch das sogenannte Gleichgewicht etwas aus die Spitze gerückt zu werden schien und mehr Leben in das schlummernde Europa kommen konnte, das von Revolutionen und andern lustigen Artikeln nur t r ä u m t und im S c h l a f e s p r i c h t. Ich hatte diese Nachricht früher vernommen, als sie selbst nur nach Petersburg kommen konnte, und in meiner Hand lag es, die Papiere steigen oder fallen zu machen. Der Vater der schönen Rebekka hatte in den letzten Tagen auf meinen Rat und seine eigene Einsicht hin seine Papiere so umgesetzt, daß er beim geringsten Steigen der----auf großen Gewinn zählen konnte. Große Spannung herrschte in dem Hause des Herrn Simon in der neuen Judenstraße. Der Alte versicherte, seine Gebeine erzittern, so oft er ansetze, einen wichtigen Brief zu schreiben. Die Tante, „das neidische Gewölk", mochte ahnen, was vorging, und schlich trübe und ächzend im Hause umher. Die Kalle war die mutigste von allen. Zwar war auch sie in einiger Bewegung; denn sie las nicht mehr, weder in Clauren, noch in verschiedenen Almanachs, sogar das Modejournal wollte sie nicht ansehen; sie spielte auch nicht mehr auf der Harfe, aber doch trug sie das Köpfchen noch so hoch wie zuvor und ermutigte durch manche Rede die zagenden Bundestruppen. Der Seufzer war gänzlich von Verstand gekommen. Bald war er tiefsinnig und zweifelte an seinem Glück, besonders in der Nähe der schönen Jüdin, wenn er sich die Höhe seiner Seligkeit, den Besitz der lieblichen Kalle dachte. Dann war er wieder ausgelassen fröhlich und sprach allerlei verwirrtes Zeug, wie er ein Millionär zu werden gedenke, wie und wo er sich ein Haus bauen wolle, und was dergleichen überschwengliche Gedanken mehr waren; der Kalle aber flüsterte er ins Ohr, daß er sich wolle adeln lassen und sie zur gnädigen Frau Baronesse von Zwerner zu Zwernersheim machen, welcher Ort noch auf der Landkarte auszumitteln wäre. Endlich, es war am dritten Frankfurter Pfingstfeiertag, und die Mädchen und Frauen spazierten schon scharenweise hinaus an den Main, um sich übersetzen zu lassen nach dem Wäldchen, und die Männer riefen ihnen nach, nur einstweilen alles zuzurüsten daselbst, weil sie nur noch auf die Börse gingen und bald nachkämen, indem heute nichts Bedeutendes vorkomme, und auch die alte Baubo, die schnöde Hexe, zog hinaus, doch diesmal nicht auf dem Mutterschwein, sondern in einem eleganten Wagen. Sie hatte ihre schönen Stieftöchter bei sich und nickte mir freundlich zu, als wollte sie sagen: „Dich kenne ich wohl, Satan, obgleich du jetzt in schwarzem Frack und seidenen Strümpfen einherzuwandeln beliebst und meiner Elise, dem allerliebsten Kind, praktische Gitarrestunden gibst, dich kenne ich wohl; komm aber nur hinaus ins Wäldchen, da sprechen wir wohl wieder ein Wort zusammen." Da fuhr sie hin, die gute Alte, eine der ersten Palastdamen meiner Großmutter und sehr angesehen in Frankfurt und auf dem Brocken in der Walpurgisnacht, da fuhr sie hin und viele tausend und wieder tausend fromme Frankfurter Seelen ihr nach, die alle das Gebot in feinem Herzen trugen: „Du sollst den Feiertag heiligen und an Pfingsten auch den dritten und vierten." Jetzt war es Zeit, zu operieren. Den Tag zuvor hatte man sich allgemein mit dem Gerücht getragen, daß die Pforte das Ultimatum nicht annehmen werde, und man erwartete von heute nichts Besonderes. Da jagte um elf Uhr ein Kurier durch das Tor, ganz mit Schweiß und Staub bedeckt; er sprengte, greulich auf dem Posthorn blasend, durch die Straße, Million genannt, und in einem Umweg durchs neue Judenquartier; die Leute rissen die Fenster auf und fuhren mit den Köpfen heraus, um zu schauen nach dem schrecklichen Trompeten= und Straßenlärm. „Wo kümmt Er här? Wo will Er hin?" riefen sie. „In Weißen Schwan," schrie er, „ich habe den Weg verfehlt, wo geht's in Weißen Schwan?" „Der Herr is wohl ä Korrier?" „Freilich, nur schnell," rief er und zog einen Brief mit großem Siegel aus der Tasche, „das kömmt von Wien und ist an den Herrn Zwerner aus Dessau im Weißen Schwan." „Da an der Ecke gehts rechts, dann die Straße links, dann kömmt Er auf die Zeile, da reitet Er bis an die Hauptwache, und von dort ists nimmer weit." So riefen sie, schauten ihm nach, wie er mit der Peitsche knallend davonjagte und besprachen sich dann über die Straße hinüber, was wohl die Depesche aus Wien enthalten möchte. Der Kurier war aber niemand anders als einer meiner dienstbaren Geister, in die Uniform eines hessischen Postillons gekleidet. * * * * * 6. DER REIS=EFFENDI UND DER TEUFEL IN DER BÖRSENHALLE. Im Briefe stand mit dürren Worten, daß der Reis=Effendi dem Herrn v. Minciaky die vertrauliche, jedoch halb offizielle Mitteilung gemacht habe, daß die Pforte das Ultimatum, soweit es Rußland betreffe, annehmen werde. Der Seufzer bekam nun die nötige Instruktion, was er zu tun hatte. Er fuhr mit dem Briefe sogleich zu Papa Simon und mit diesem zu Herrn v. R-------, dem Papst der Börse, dem sichtbaren Oberhaupt der unsichtbaren papierenen Kirche. Dieser prüfte die Depesche genau. Er selbst hatte schon zu oft ähnliche Mittel angewendet, Pariser Kuriere aus Mainz, und Wiener aus Aschaffenburg kommen lassen, als daß er so leicht konnte hintergangen werden. Er ließ daher ein Licht bringen und prüfte zuerst Geruch und Flüssigkeit des Siegellacks. „Gott's Wunder!" sprach er, bedächtlich riechend, „Gott's Wunder! das ist echtes Kaisersiegellack, wie es nur in Wien selbst zubereitet wird und was Eingeweihte zu solchen Depeschen zu verwenden pflegen." Dann betrachtete er genau das Kuvert des Briefes und fand darauf die gedruckten Zeichen jeder Poststation von Wien bis Frankfurt, und keins fehlte. Er verglich sodann diese Zeichen mit der Liste der Postzeichen, die er zur Hand hatte, und--sie waren richtig. Hatte er zuvor den Herrn Zwerner, Handelsmann aus Dessau, als ein kleines Paarmalhunderttausendguldenmännchen so obenhin behandelt, wie der Löwe das Hündchen, so wuchs Letzt seine Achtung mit unglaublicher Schnelle. Er hätte zwar am liebsten selbst den Kurier bekommen, samt der inhaltsschweren Depesche, doch, da dies nicht mehr zu ändern war, machte er gute Miene zum bösen Spiel, dankte, daß man ihn sogleich von der wichtigen Nachricht avertiert habe und berechnete dabei, welche Summe dem Dessauer diese Nachricht gekostet haben könnte, indem er annahm, dieser Kaufmann müsse die Preise, die er in Wien für solche Winke bezahle, überboten haben. Es war Börsenzeit, er selbst fuhr mit auf die Börsenhalle. B ö r s e n h a l l e! Unter diesem Namen stellt sich wohl der Fremde, der diese Einrichtung noch nie gesehen, ein weitläufiges Gebäude vor, wie es der Stadt Frankfurt würdig wäre, mit weiten Sälen, Seitengängen, schönen Portalen und dergleichen. Wie wundert er sich aber und lächelt, wenn er in diese Börsenhalle tritt! Man stelle sich einen ziemlich kleinen, gepflasterten Hof, von unansehnlichen Gebäuden eingeschlossen, vor, wo man mit Bequemlichkeit Pferde striegeln, Wagen reinigen, waschen, Hühner und Gänse füttern und dergleichen solide häusliche Hantierungen verrichten könnte. Statt des ehrwürdigen Truthahns, statt der geschwätzigen Hühner und Gänse, statt des Stallknechts mit dem Besen in der Faust, statt der Küchendame, die hier ihren Salat wäscht--sieht man hier zwischen zwölf und ein Uhr mittags ein buntes Gedränge. Männer mit dunkelgefärbten, markierten Gesichtern, mit schwarzen Bärten und lauernden Augen, mit kühngebogenen Nasen und breiten Mäulern, mit schmutzigen Hemden und unsauberer Kleidung schleichen mit gebogenen, schlotternden Knien und spitzigen Ellbogen, den Hut tief in, den Nacken zurückgedrückt, umher und fragen einander: „Nu, wie stehen se heute?" Du wandelst staunend durch dieses Gewühl und fühlst einen kleinen unbehaglichen Schauer, wenn dich eine der unsauberen Gestalten im Vorübergehen anstreift. Du begreifst zwar, daß du dich unter den Kindern Israels befindest; aber zu welchem Zweck treiben sie sich hier unter freiem Himmel in einem Hühnerhof umher? Endlich wirst du eine Tafel, etwa wie ein Wirtshausschild anzusehen, gewahr. Dort steht mit goldenen Buchstaben deutlich zu lesen: „Börsenhalle." Also in der Börsenhalle der freien Stadt Frankfurt befindest du dich. Du hörst heute ein sonderbares Gemunkel und Geflüster. Die Leute gehen staunend umher, mehr mit Blicken als mit Worten fragend: „Ae Korrier aus Wien?" „Gott's Wunder!" „Wer hat'n gekriecht?" „Ae Fremder, der Zwerner von Dessau." „Wie? Kaner von unsere Lait? Nicht der Rothschild, der grauße Baron, nicht der Bethmann? Auch nicht der Metzler? Waas?" „Was hat'r gebracht, der Korrier! Abraham, wie stehen se?" „Wie werden se stehen! Wer kann's wissen, solange der Zwerner aus Dessau nicht ist auf der Börsenhalle!" „Levi! hat er's Oltemat'm angenommen, der Reis=Effendi? Hat er, oder hat er nicht? Wie werden se stehen?" „Ich hab's genug, 's is a viertel auf Eins, und noch will keiner verkaufen, aus Schrecke vor die Korrier. Wär' nur der Zwerner aus Dessau da! Auch der Rothschild bleibt so lang aus und der Simon von die neue Straße. Wirst sehen, 's wird geben ä grauße Operation! Der Herr wird verstockt haben das Herz des Effendi, daß er hat nicht angenomme das Oltematum von dem Moskeviter?" „Bethmannische Obligationen will man nicht kaufen, sind gefallen um Vertelpurzent!" „Wie steht's mit die Metalliques? Wie verkauft sie der Metzler? Wie stehen se, Abraham? Tu mer de Gefallen und sag', die Metalliques, wie stehen se?" „Aß ich der sag, ich weiß nicht, wo mer steht der Kopf, weiß heut keiner, wer is Koch oder Keller? Aß ich nicht kann riechen, wie se stehen, die Mettaliques!" Plötzlich entsteht ein Geräusch, ein Gedränge nach der Türe zu. Ein Wagen ist vorgefahren, die Leute stehen auf den Zehen, machen lange Hälse, um die Mienen der Kommenden zu sehen. Drei Männer arbeiten sich durch die Menge und stellen sich ernst und gravitätisch an ihren Platz zur Seite, wie es wohllöblicherweise auf anderen Börsen der Brauch ist, wo nur die Mäkler umherlaufen und sich drängen. Es war der große Baron, der an der Seite stand, zu seiner Rechten das Gestirn des Tages, der Kaufmann Zwerner aus Dessau, jetzt nicht mehr Seufzer zu nennen; denn sein Herz schien zu jubilieren und allerlei verliebte Streiche ausführen zu wollen, während er doch die Sinne bedächtlich und gesetzt beisammen behalten mußte, um sich nicht zu verrechnen. Zur Linken stand der Jude Simon, angetan mit seinem Sabbather Rock und einer schneeweißen Halsbinde, mit feierlicher, hochzeitlicher Miene, so daß sein Volk gleich sah, es müsse was ganz Außerordentliches sich zugetragen haben. Jetzt nahten die Käufer und Verkäufer und fragten nach den Preisen. Sie wurden bleich, sie sanken in die Knie und schlichen zitternd umher. Sie lamentierten schrecklich mit den Armen, sie steckten die Finger in den Mund, sie fluchten ebräisch und syrisch auf den Christen, der sich einen Kurier kommen lassen, auf den Vater, welcher den Kurier gezeugt, auf das Pferd, welches das Pferd des Kuriers zur Welt gebracht, auf seinen Kopf, auf seine vier Füße, kurz auf alles, selbst auf Sonne, Mond und Sterne und auf Frankfurt und die Börsenhalle. Jetzt merkte man, warum der schlaue Simon seine Papiere in den letzten Tagen umgesetzt habe; jetzt konnte man sich den Tiefsinn des Kaufmanns aus Dessau erklären! „Das Ultimatum ist angenommen," scholl es durch den Hof, „der Reis=Effendi hat zugesagt," hallte es durch die Ecken; und obgleich die drei wichtigen Männer nur entfernt auf ihren Brief anspielten, nur einige nähere Umstände angaben, nichts Bestimmtes aussprachen, so stiegen doch die österreichischen, die rothschildischen und wenige andere Papiere, von welchen durch Zwerners und des alten Simons Sorge gerade nicht sehr viele auf dem Platz waren, in Zeit von einer halben Stunde um vier und ein halbes Prozent. Mehrere Häuser, die sich nicht vorgesehen hatten, fingen an zu wanken, eines lag schon halb und halb und hatte es nur seiner nahen Seitenverwandtschaft mit dem regierenden (Börsen=) Hause zu verdanken, daß ihm noch einige Stützen untergeschoben wurden. Als man um ein Uhr auseinanderging, lautete der Kurszettel der Frankfurter Börsenhalle: Metalliques 87 5/8. Bethmännische 75 1/2. Rothschildische Lose 132. Preußische Staatsschuldscheine 84. An den übrigen war nichts geändert worden. * * * * * 7. DIE VERLOBUNG. Dieses kleine Börsengemetzel entschied über das Schicksal des Seufzers aus Dessau. In den zwei nächsten Tagen wirkte er durch die große Menge Metalliques, die er in Händen hatte, mächtig auf den Gang bei Geschäfte, und als einige Tage nachher Herr von Rothschild Privatmitteilungen aus Wien erhielt, wodurch seine Nachrichten vollkommen bestätigt werden, da drängte sich alles um den hoffnungsvollen, spekulativen Jüngling, um den genialen Kopf, der auf unglaubliche Weise die Umstände habe berechnen können. Seine Zurückgezogenheit zuvor galt nun für tiefes Studium der Politik, seine Schüchternheit, sein geckenhaftes Stöhnen und Seufzen für Tiefsinn, und jedes Haus hätte ihm freudig eine Tochter gegeben, um mit diesem sublimen Kopf sich näher zu verbinden. Da aber die Polygamie in Frankfurt derzeit noch nicht förmlich sanktioniert ist und das Herz des Dessauers an Rebekka hing, so schlug er mit großer Tapferkeit alle Stürme ab, die aus den Verschanzungen in der Zeile, aus den Trancheen der Million, selbst aus den Salons bei neuen Mainzer Straße mit glühenden Liebesblicken und Stückseufzern auf ihn gemacht wurden. Der alte Herr Simon, konnte sich auch der Dessauer in Hinsicht auf Geld und Glücksgüter ihm nicht gleichstellen, rechnete es sich dennoch zur besonderen Ehre, einen so erleuchteten Schwiegersohn zu bekommen. Ja, er sah es als eine glückliche Spekulation an, ihn durch Rebekka gefangen zu haben. Er sah ihn als eine prophetische Spekulationsmaschine an, die ihn in kurzer Zeit zum reichsten Manne Europas machen mußte; denn, wenn er immer mit seinem Schwiegersohn zugleich kaufte oder verkaufte, glaubte er nie fehlen zu können. Fräulein Rebekka ging ohne vieles Sträuben in die Bedingungen ein, die ihr der Zärtliche auferlegte; da er eine gewisse Abneigung verspürte, ein Jude zu werden, so hielt er es für notwendig, daß sie sich taufen lasse. Sie nahm schon folgenden Tages insgeheim Unterricht bei dem Herrn Pastor Stein und gab dafür auf einige Zeit ihre Klavierstunden auf, wobei, wie sie behauptete, noch etwas Erkleckliches profitiert würde, da sie dem Klaviermeister einen Taler für die Stunde hatte bezahlen müssen. Sie selbst legte dafür dem Dessauer die Bedingung auf, daß er sich für einige hundert Gulden in den Adelsstand erheben lassen und in dem „jöttlichen Frankfort" leben müsse. Er ging darauf freudig ein und überließ mir dieses diplomatische Geschäft. Um nun auch von mir zu reden, so traf pünktlich ein, was ich vorausgesehen hatte. Der Seufzer beschwichtigte fürs erste sein Gewissen, das ihm allerlei vorwerfen mochte, z. B. daß das ganze Geschäft unehrlich und nicht ohne Hilfe des Teufels habe zustande kommen können. Sobald er mit dieser Beschwichtigung fertig war, war auch seine Dankbarkeit verschwunden. Weil ihn alles als den sublimsten Kopf, den scharfsinnigsten Denker pries, glaubte er ohne Zaudern selbst daran, wurde aufgeblasen, sah mich über die Achsel an und erinnerte sich meiner sehr gütig als eines Menschen, mit welchem er im Weißen Schwan einigemal zu Mittag gespeist habe. Was mich übrigens am meisten freute, war, daß er die Strafe seines Undankes in sich und seinen Verhältnissen trug. Es war vorauszusehen, daß seine prophetische Kraft, sein spekulativer Geist sich nicht lange halten konnten. Mißglückten nur erst einige Spekulationen, die er, auf sein blindes Glück und seinen noch blinderen Verstand trauend, unternahm, verlor er erst einmal fünfzig= oder hunderttausend und zog seinen Schwiegerpapa in gleiche Verluste, so fing die Hölle für ihn schon auf Erden an. Rebeckchen, das liebe Kind, sah auch nicht aus, als wollte sie mit dem neuen Glauben auch einen neuen Menschen anziehen. War sie erst „Gnädige Frau von Zwerner", so war zu erwarten, daß die Liebesintrigen sich häufen würden; junge wohlriechende Diplomaten, alte Sünder, wie Graf Rebs, fremde Majors mit glänzenden Uniformen waren dann willkommen in ihrer Loge und zu Hause, und der Dessauer hatte das Vergnügen, zuzuschauen. Und wie wird dieser sanfte Engel Rebekka sich gestalten zur Furie, wenn die spekulative Kraft ihres Eheherrn nachläßt und damit zugleich sein Vermögen, wenn man das glänzende Hotel in der Zeile, die Loge im ersten Rang, die Equipage und die hungernden Liebhaber samt der köstlichen Tafel aufgeben, wenn man nach Dessau ziehen muß in den alten Laden des Hauses Zwerner und Komp., wenn die gnädige Frau herabsinkt aus ihrem geadelten Himmel und zur ehrlichen Kaufmannsfrau wird, wenn man den Gemahl statt mit Papieren, wie es nobel ist und groß, mit Ellenwaren und Bändern, ganz klein und unnobel handeln sieht! Welche Perspektive!! Doch am vierten Pfingstfeiertag 1826 dachte man noch nicht an dergleichen im Hause des Herrn Simon in der neuen Judenstraße. Da war ein Hin= und Herrennen, ein Laufen, ein Kochen und Backen; es wurde ungemein viel Gänseschmalz verbraucht, um koscheres Backwerk zu verfertigen; ein Hammel wurde „geschächt", um köstliche Ragouts zu bereiten. Der geneigte Leser errät wohl, was vorging in dem gesegneten Hause? Nämlich nichts Geringeres als die Verlobung des trefflichen Paares. Die halbe Stadt war geladen und kam. Hatte denn der alte Simon nicht treffliche alte Weine? Speiste man bei ihm, das Gänsefett abgerechnet, nicht trefflich? Hatte er nicht die schönsten jüdischen und christlichen Fräulein zusammengebeten, um die Gesellschaft zu unterhalten durch geistreiche Spiele und herrlichen Gesang? Auch Graf Rebs, das treffliche Kaninchen, war geladen, und nur das brachte ihn einigermaßen in Verlegenheit, daß nicht weniger als zwanzig Frauen und Fräulein zugegen waren, mit denen er schon in zärtlichen Verhältnissen gestanden hatte. Er half sich durch ausdrucksvolle Liebesblicke, die er allenthalben umherwarf, wie auch durch die eigene Behendigkeit seiner Beinchen, auf welchen er überall umherhüpfte und jeder Dame zuflüsterte, sie allein sei es eigentlich, die sein zartes Herz gefesselt. Die übergroße Anstrengung, zwanzig auf einmal zu lieben, da er es sonst nur auf fünf gebracht hatte, richtete ihn aber dergestalt zugrunde, daß er endlich elendiglich zusammensank und in seinem Wagen nach Hause gebracht werden mußte. Die Gesellschaft unterhielt sich ganz angenehm und bewies sich nach Herrn Simons Begriffen sehr gesittet und anständig; denn als er am Abend, nachdem alle sich entfernt hatten, mit seiner Tochter Rebekka das Silber ordnete und zählte, riefen sie einmütig und vergnügt: „Gott's Wunder! Gott's Wunder! Was war das für noble Gesellschaft, für gesittete Leute! Es fehlt auch nicht e i n Kaffeelöffelchen; kein Dessertmesserchen oder Zuckerklämmerchen ist uns abhanden gekommen! Gott's Wunder!" * * * * * DER FESTTAG IM FEGEFEUER. (Fortsetzung.) Am Horizont in diesem Jahr Ist es geblieben, wie es war. M. Claudius. 1. DER JUNGE GARNMACHER FÄHRT FORT, SEINE GESCHICHTE ZU ERZÄHLEN. Das Manuskript, aus welchem wir die infernalischen Memoiren dechiffrieren und ausziehen, fährt bei jener Stelle, die wir im ersten Teile notgedrungen abbrachen, fort, die Geschichte des jungen deutschen Schneider=Barons zu geben. Er ist aus seiner Vaterstadt Dresden entflohen, er will in die weite Welt, fürs erste aber nach Berlin gehen und erzählt, was ihm unterwegs begegnete. „Meine Herren," fuhr der edle junge Mann fort, „als ich mich umsah, stand ein Mann hinter mir, gekleidet wie ein ehrlicher, rechtlicher Bürger; er fragte mich, wohin meine Reise gehe, und behauptete, sein Weg sei beinahe ganz der meinige, ich solle mit ihm reisen. Ich verstand so viel von der Welt, daß ich einsah, es sei weniger auffallend, wenn man einen halberwachsenen Jungen mit einem älteren Manne gehen sieht, als allein. Der Mann entlockte mir bald die Ursache meiner Reise, meine Schicksale, meine Hoffnungen. Er schien sich sehr zu verwundern, als ich ihm von meinem Onkel, dem Herrn von Garnmacher in der Dorotheenstraße in Berlin, erzählte. ‚Euer Onkel ist ja schon seit zwei Monaten tot!' erwiderte er. ‚O du armer Junge, seit zwei Monaten tot; es war ein braver Mann, und ich wohnte nicht weit von ihm und kannte ihn gut. Jetzt nagen ihn die Würmer!' Sie können sich leicht meinen Schrecken über diese Trauerpost denken, ich weinte lange und hielt mich für unglücklicher als alle Helden; nach und nach aber wußte mich mein Begleiter zu trösten: ‚Erinnerst du dich gar nicht, mich gesehen zu haben?' fragte er. Ich sah ihn an, besann mich, verneinte. ‚Ei, man hat mich doch in Dresden so viel, gesehen,' fuhr er fort; ‚alle Alten und besonders die Jugend strömte zu mir und meinem jungen Griechen.' Jetzt fiel mir mit einemmal bei, daß ich ihn schon gesehen hatte. Vor wenigen Wochen war nach Dresden ein Mann mit einem jungen unglücklichen Griechen gekommen; er wohnte in einem Gasthof und ließ den jungen Athener für Geld sehen, das Geld war zur Erhaltung des Griechen und der Überschuß für einen Griechenverein bestimmt. Alles strömte hin, auch mir gab der Vater ein paar Groschen, um den unglücklichen Knaben sehen zu können. Ich bezeugte dem Manne meine Verwunderung, daß er nicht mehr mit dem Griechen reise. ‚Er ist mir entlaufen, der Schlingel, und hat mir die Hälfte meiner Kasse und meinen besten Rock gestohlen; er wußte wohl, daß ich ihm nicht nachsetzen konnte; aber wie wäre es, mein Söhnchen, wenn du mein Grieche würdest?' Ich staunte, ich hielt es nicht für möglich; aber er gestand mir, daß der andere ein ehrlicher Münchner gewesen sei, den er abgerichtet und kostümiert habe, weil nun einmal die Leute die griechische Sucht hätten." „Wie?" unterbrach ihn der Engländer. „Selbst in Deutschland nimmt man Anteil an den Schicksalen dieses Volkes? Und doch ist es eigentlich ein deutscher Minister, der es mit der Pforte hält und die Griechen untergehen läßt." „Wie es nun so geht in meinem lieben Vaterland," antwortete Baron von Garnmacher, des Schneiders Sohn; „was einmal in einem anderen Lande Mode geworden, muß auch zu uns kommen. Das weiß man gar nicht anders. Wie nun vor kurzem die Pargioten ausgetrieben wurden und bald nachher die griechische Nation ihr Joch abschüttelte, da fanden wir dies erstaunlich hübsch, schrieben auf der Stelle viele dicke Bücher darüber und stifteten Hilfsvereine mit sparsamen Kassen. Sogar Philhellenen gab es bei uns, und man sah diese Leute mit großen Bärten, einen Säbel an der Seite, Pistolen im Gürtel, rauchend durch Deutschland ziehen. Wenn man sie fragte: ‚Wohin?' so antworteten sie: ‚In den heiligen Krieg nach Hellas gegen die Osmanen!' Bat sich nun etwa eine Frau oder ein Mann, der in der alten Geographie nicht sehr erfahren, eine nähere Erklärung aus, so erfuhr man, daß es nach Griechenland gegen die Türken gehe. Da kreuzigten sich die Leute, wünschten dem Philhellenen einen guten Morgen und flüsterten, wenn er mit dröhnenden Schritten einen Fußpfad nach Hellas einschlug: ‚Der muß wenig taugen, daß er im Reich keine Anstellung bekommt und bis nach Griechenland laufen muß.'" „Ist's möglich?" rief der Marquis. „So teilnahmlos sprachen die Deutschen von diesen Männern?" „Gewiß; es ging mancher hin mit dem schönen Gefühl, einer unterdrückten Sache beizustehen, mancher, um sich Kriegsruhm zu erkämpfen, der nun einmal auf den Billards und in den Garnisonen nicht zu erlangen ist; aber alle barbierte man über einen Löffel, wie mein Vater zu sagen pflegte, und schalt sie Landläufer." „Mylord," sagte der Franzose, „es sind doch dumme Leute, diese Deutschen!" „O ja," entgegnete jener mit großer Ruhe, indem er sein Rumglas gegen das Licht hielt, „zuweilen; aber dennoch sind die Franzosen unerträglicher, weil sie allen Witz allein haben wollen." Der Marquis lachte und schwieg. Der Baron aber fuhr fort: „Auf diese Sitte der Deutschen hatte jener Mann seinen Plan gebaut, und noch oft muß ich mich wundern, wie richtig sein Kalkül war. Die Deutschen, dachte er, kommen nicht dazu, etwas für einen weit aussehenden Plan, für ein fernes Land und dergleichen zu tun; entweder sagen sie: Es war ja vorher auch so, lasset der Sache ihren Lauf, wer wird da etwas Neues machen wollen?' oder sie sagen: ‚Gut, wir wollen erst einmal sehen, wie die Sache geht, vielleicht läßt sich hernach etwas tun.' Fällt aber etwas in ihrer Nähe vor, können sie selbst etwas Seltenes mit eigenen Augen sehen, so lassen sie es sich etwas kosten.' Man war dem Griechen früher oft in mancher kleinen Stadt sehr dankbar, daß er doch wieder eine Materie zum Sprechen herbeigeführt habe, eine Seltenheit, welche die Weiber beim Kaffee, die Männer beim Bier traktieren konnten. Was für Aussichten blieben mir übrig? Mein Onkel war tot, ich hatte nichts gelernt; so schlug ich ein, Grieche zu werden. Jetzt fing ein Unterricht an, bei welchem wir bald so vertraut miteinander werden, daß mir mein Führer sogar Schläge beibrachte. Er lehrte mich alle Gegenstände auf neugriechisch nennen, bläute mir einige Floskeln in dieser Sprache ein, und nachdem ich hinlänglich instruiert war, schwärzte er mir Haar und Augenbrauen mit einer Salbe, färbte mein Gesicht gelblich, und--ich war ein Grieche. Mein Kostüm, besonders das für vornehme Präsentationen, war sehr glänzend, manches sogar von Seide. So zogen wir im Land umher und gewannen viel Geld." „Aber, mein Gott," unterbrach ihn der Franzose, „sagen Sie doch, in Deutschland soll es viele gelehrten Männer geben, die sogar Griechisch schreiben. Diese müssen es doch auch sprechen können; wie haben Sie sich vor diesen durchbringen können?" „Nichts leichter als dies, und gerade bei diesen hatte ich meinen größten Spaß; diese Leute schreiben und lesen das Griechische so gut, daß sie vor zweitausend Jahren mit Thucydides hätten korrespondieren können, aber mit dem Sprechen will es nicht recht gehen; sie mußten zu Haus immer die Phrasen im Lexikon aufschlagen, wenn sie sprechen wollten; da hatte ich nun, um aus aller Verlegenheit zu kommen, eine herrliche Floskel bereit:------‚Mein Herr, das ist nicht griechisch.' Mein Führer unterließ nicht, sogleich, was ich gesagt, dem Publikum ins Deutsche zu übersetzen, und jene Kathedermänner kamen gewöhnlich über das Lächeln der Menschen dergestalt außer Fassung, daß sie es nie wieder wagten, Griechisch zu sprechen. So zogen wir längere Zeit umher, bis endlich in Karlsbad die ganze Komödie auf einmal aufhörte. Wir kamen dorthin zur Zeit der Saison und hatten viele Besuche. Unter andern fiel mir besonders ein Herr mit einem Band im Knopfloch auf, der mir große Ähnlichkeit mit meinem Vater zu haben schien. Er besuchte uns einigemal, und endlich, denken Sie sich mein Erstaunen, höre ich, wie man ihn Herr von Garnmacher tituliert. Ich stürzte zu ihm hin, fragte ihn mit zärtlichen Worten, ob er mein verehrter Herr Onkel sei, und entdeckte ihm auf der Stelle, wie ich eigentlich nicht auf klassischem Boden in Athen, sondern als königlich sächsisches Landeskind in Dresden geboren sei. Es war eine rührende Erkennungsszene. Das Staunen des Publikums, als der Grieche auf einmal gutes Deutsch sprach, die Verlegenheit meines Oheims, der mit vornehmer Gesellschaft zugegen war und nicht gerne an meinen Vater, den _Marchand tailleur_, erinnert sein wollte, die Wut meines Führers, alles dies kam mir trotz meiner tiefen Rührung höchst komisch vor. Der Führer wurde verhaftet, mein Onkel nahm sich meiner an, ließ mir Kleider machen und führte mich nach Berlin. Und dort begann für mich eine neue Katastrophe." * * * * * 2. DER BARON WIRD EIN REZENSENT. „Mein Onkel war ein nicht sehr berühmter Schriftsteller, aber ein berüchtigter, anonymer Kritiker. Er arbeitete an zehn Journalen, und ich wurde anfänglich dazu verwendet, seine Hahnenfüße ins Reine zu schreiben. Schon hier lernte ich nach und nach in meines Onkels Geist denken, faßte die gewöhnlichen Wendungen und Ausdrücke auf und bildete mich so zum Rezensenten. Bald kam ich weiter; der herrliche Mann brachte mir die verschiedenen Klassen und Formen der Kritik bei, über welche ich übrigens hinweggehen kann, da sie einen Fremden nicht interessieren." „Nein, nein!" rief der Lord. „Ich habe schon öfters von dieser kritischen Wut Ihrer Landsleute gehört. Zwar haben auch wir, z. B. in Edinburgh und London, einige Anstalten dieser Art; aber sie werden, höre ich, in einem ganz anderen Geiste besorgt als die Ihrigen." „Allerdings sind diese Blätter in meinem Vaterlande eine sonderbare, aber eigentümliche Erscheinung. Wie in unserer ganzen Literatur immer noch etwas Engbrüstiges, Eingezwängtes zu verspüren ist, wie nicht das, was leicht und gefällig, sondern was mit einem recht schwerfälligen, gelehrten Anstrich geschrieben ist, für einzig gut und schön gilt, so haben wir auch eigene Ansichten über Beurteilung der Literatur. Es traut sich nämlich nicht leicht ein Mann oder eine Dame in der Gesellschaft ein Urteil über ein neues Buch zu, das sich nicht an ein öffentlich ausgesprochenes anlehnen könnte--man glaubte darin zu viel zu wagen. Daher gibt es viele öffentliche Stimmen, die um Geld und gute Worte ein kritisches Solo vortragen, in welches dann das Tutti oder der Chorus des Publikums einfällt." „Aber wie mögen Sie über diese Institute spotten, mein Herr Baron?" unterbrach ihn der Lord. „Ich finde das recht hübsch. Man braucht selbst kein Buch als diese öffentlichen Blätter zu lesen und kann dann dennoch in der Gesellschaft mitstimmen." „Sie hätten recht, wenn der Geist dieser Institute anders wäre. So aber ergreift der, welcher sich nach diesen Blättern richtet, unbewußt irgend eine Partei und kann, ohne daß er sich dessen versieht, in der Gesellschaft für einen Goethianer, Müllnerianer, Vossiden oder Creuzerianer, Schellingianer oder Hegelianer, kurz für einen Yaner gelten. Denn das eine Blatt gehört dieser Partei an und haut und sticht mehr oder minder auf jede andere, ein anderes gehört diesem oder jenem großen Buchhändler. Da müssen nun fürs erste alle seine Verlagsartikel gehörig gelobt, dann die seiner Feinde grimmig angefallen werden; oft muß man auch ganz diplomatisch zu Werke gehen, es mit keinem ganz verderben, auf beiden Achseln (Dichter=) Wasser tragen und, indem man einem freundlich ein Kompliment macht, hinterrücks heimlich ihm ein Bein unterschlagen." „Aber schämen sich denn Ihre Gelehrten nicht, auf diese Art die Kritik und Literatur zu handhaben?" fragte der Marquis. „Ich muß gestehen, in Frankreich würde man ein solches Wesen verachten." „Ihre politischen Blätter, mein Herr, machen es nicht besser. Übrigens sind es nicht gerade die Gelehrten, die dieses Handwerk treiben. Die eigentlichen Gelehrten werden nur zu Kernschüssen und langsamen, gründlichen Operationen verwandt und mit vier Groschen bezahlt. Leichter, behender sind die Halbgelehrten, die eigentlichen Voltigeurs der Literatur. Sie plänkeln mit dem Feind, ohne ihn gründlich und mit Nachdruck anzugreifen; sie richten Schaden in seiner Linie an, sie umschwärmen ihn, sie suchen ihn aus seiner Position zu locken. Auch dürfen sie sich gerade nicht schämen; denn sie rezensieren anonym, und nur e i n e r unterschreibt seine kritischen Bluturteile mit so kaltem Blute, als wollte er seinen Bruder freundlich zu Gevatter bitten." „Das muß ja ein eigentlicher Matador sein!" rief der Lord lächelnd. „Ein Matador in jedem Sinne des Worts. Auf Spanisch--ein Totschläger, denn er hat schon manchen niedergedonnert; und wahrhaftig, er ist der höchste Trumpf, dieser Matador, und zählt für zehn, wenn er _Pacat ultimo_ macht. Und bei den literarischen Stiergefechten ist er Matador! Denn er, der Hauptkämpfer ist es, der dem armen gehetzten und gejagten Stier den Todesstoß gibt." „Gestehen Sie, Sie übertreiben;--Sie haben gewiß einmal den unglücklichen Gedanken gehabt, etwas zu schreiben, das recht tüchtig vorgenommen wurde, und jetzt zürnen Sie der Kritik?" Der junge Deutsche errötete. „Es ist wahr, ich habe etwas geschrieben, doch war es nur eine Novelle und leider nicht so bedeutend, daß es wäre rezensiert worden; aber nein, ich selbst habe einige Zeit unter meines Onkels Protektion den kritischen kleinen Krieg mitgemacht und kenne diese Affären genau. Nun, mein Onkel brachte mir also die verschiedenen Formen und Klassen bei. Die e r s t e war die s a n f t l o b e n d e Rezension. Sie gab nur einige Auszüge aus dem Werk, lobte es als brav und gelungen und ermahnte, auf der betretenen Bahn fortzuschreiten. In diese Klasse fielen junge Schriftsteller, die dem Interesse des Blattes entfernter standen, die man aber für sich gewinnen wollte. Hauptsächlich aber war diese Klasse für junge, schriftstellerische Damen." „Wie?" erwiderte der Lord. „Haben Sie deren so viele, daß man eine eigene Klasse für sie macht?" „Man zählte, als ich noch auf der Oberwelt war, sechsundvierzig jüngere und ältere! Sie sehen, daß man für sie schon eine eigene Klasse machen kann, und zwar eine gelinde, weil diese Damen mehr Anbeter und Freunde haben als ein junger Schriftsteller. Die zweite Klasse ist die l o b p o s a u n e n d e. Hier werden entweder die Verlagsartikel des Buchhändlers, der das Blatt bezahlt, oder die Parteimänner gelobt. Man preist ihre Namen, man ist gerührt, man ist glücklich, daß die Nation einen solchen Mann aufweisen kann. Die d r i t t e Klasse ist dann die n e u t r a l e. Hier werden die Feinde, mit denen man nicht in Streit geraten mag, etwas kühl und diplomatisch behandelt. Man spricht mehr über das Genus ihrer Schrift und über ihre Tendenz als über sie selbst, und gibt sich Mühe, in recht vielen Worten n i c h t s zu sagen, ungefähr wie in den Salons, wenn man über politische Verhältnisse spricht und sich doch mit keinem Wort verraten will. Die v i e r t e Klasse ist die l o b h u d e l n d e. Man sucht entweder einen, indem man ihn scheinbar und mit einem Anstrich von Gerechtigkeit ein wenig tadelt, zu loben, oder umgekehrt, man lobt ihn mit vielem Anstand und bringt ihm einige Stiche bei, die ihn entweder tief verwunden, oder doch lächerlich machen. Die f ü n f t e Klasse ist die g r o b e, e r n s t e; man nimmt eine vornehme Miene an, setzt sich hoch zu Roß und schaut hernieder auf die kleinen Bemühungen und geringen Fortschritte des Gegners. Man warnt sogar vor ihm und sucht etwas Verstecktes in seinen Schriften zu finden, was zu gefährlich ist, als daß man öffentlich davon sprechen möchte. Diese Klasse macht stillen, aber tiefen Eindruck aufs Publikum. Es ist etwas Mystisches in dieser Art der Kritik, was die Menschen mit Scheu und Beben erfüllt. Die s e c h s t e Klasse ist die T o t s c h l ä g e r k l a s s e. Sie ist eine Art von Schlachtbank; denn hier werden die Opfer des Zornes, der Rache niedergemetzelt ohne Gnade und Barmherzigkeit, sie ist eine Säge= und Stampfmühle; denn der Müller schüttet die Unglücklichen, die ihm überantwortet werden, hinein und zerfetzt, zersägt, zermalmt sie." „Aber wer trägt denn die Schuld von diesem unsinnigen Vertilgungssystem?" fragte Lasulot. „Nun, das Publikum selbst! Wie man früher an Turnieren und Tierhetzen die Freude hatte, so amüsiert man sich jetzt am kritischen Kriege; es freut die Leute, wenn man die Schriftsteller mit eingelegten Lanzen aufeinander anrennen sieht, und--wenn die Rippen krachen, wenn einer sinkt, klatscht man dem Sieger Beifall zu. Ländlich, sittlich! ‚Ein Stier, ein Stier, ruft's, dort und hier!' In Spanien treibt man das in der Wirklichkeit, in Deutschland metaphorisch, und wenn ein paar tüchtige Fleischerhunde einen alten Stier anfallen und sich zu Helden an ihm beißen, wenn der M a t a d o r von der Galerie hinab in den Zirkus springt, Und zieht den Degen, Und fällt verwegen Zur Seite den wütenden Ochsen an-- da freut sich das liebe Publikum, und von ‚Bravo!' schallt die Gegend wider!" „Das ist köstlich!" rief der Engländer; doch war man ungewiß, ob sein Beifall der deutschen Kritik oder dem Rum gelte, den er zu sich nahm. „Und ein solcher Klassenkritikus wurden Sie, Master Garnmacher?" „Mein Onkel war, wie ich Ihnen sagte, für mehrere Journale verpachtet; wunderbar war es übrigens, welches heterogene Interesse er dabei befolgen mußte. Er hatte es so weit gebracht, daß er an einem Vormittag ein Buch las und sechs Rezensionen darüber schrieb, und oft traf es sich, daß er alle sechs Klassen über einen Gegenstand erschöpfte. Er zündete dann zuerst dem Schlachtopfer ein kleines, gelindes Lobfeuer aus Zimmetholz an; dann warf er kritischen Weihrauch dazu, daß es große Wolken gab, die dem Publikum die Sinne umnebelten und die Augen beizten. Dann dämpfte er diese niedlichen Opferflammen zu einer düsteren Glut, blies sie dann mit dem kalten Hauch der vierten Klasse frischer an, warf in der fünften einen so großen Holzstoß zu, als die _sancta simplicitas_ in Konstanz dem Huß, und fing dann zum sechsten an, den Unglücklichen an dieser mächtigen Lohe des Zornes zu braten und zu rösten, bis er ganz schwarz war." „Wie konnte er aber mit gutem Gewissen sechserlei so verschiedene Meinungen über e i n e n Gegenstand haben? Das ist ja schändlich!" „Wie man will. Ich erinnere Sie übrigens an die liberalen und an die ministeriellen Blätter Ihres Landes; wenn heute einer Ihrer Publizisten eine Ode an die Freiheit auf der Posaune geblasen hat und ihm morgen der Herr von .... einige Sous mehr bietet, so hält er eine Schimpfrede gegen die linke Seite, als hätte er von je in einem ministeriellen Vorzimmer gelebt." „Aber dann geht er förmlich über," bemerkte der Marquis; „aber Ihr Onkel, der Schuft, hatte zu gleicher Zeit sechs Zungen und zwölf Augen, die Hälfte mehr als der Höllenhund." „Die Deutschen haben es von jeher in allen mechanischen Künsten und Handarbeiten weit gebracht," erwiderte mit großer Ruhe der junge Mann, „so auch in der Kritik. Als mich nun mein Onkel so weit gebracht hatte, daß ich nicht nur ein Buch von dreißig Bogen in zwei Stunden durchlesen, sondern auch den Inhalt einer u n a u f g e s c h n i t t e n e n Schrift auf ein Haar erraten konnte, wenn ich wußte, von welcher Partei sie war, so gebrauchte er mich zur Kritik. ‚Ich will dir,' sagte er, ‚die erste, zweite, fünfte und sechste Klasse geben. Die Jugend, wie sie nun einmal heutzutag ist, kann nichts mit Maß tun. Sie lobt entweder über alle Grenzen, oder sie schimpft und tadelt unverschämt. Solche Leute, besonders wenn sie ein recht scharfes Gebiß haben, sind übrigens oft nicht mit Gold zu bezahlen. Man legt sie an die Kette, bis man sie braucht, und hetzt sie dann mit unglaublichem Erfolg; denn sie sind auf den Mann dressiert trotz der besten Dogge. Zu den Mittelklassen, zu dem Neutralitätssystem, zu dem verdeckten Tadel, zu dem ruhigen, aber sicheren Hinterhalt gehört schon mehr als kaltes Blut.' So sprach mein Onkel und übergab mir die Kränze der Gnade und das Schwert der Rache. Alle Tage mußte ich von früh acht bis ein Uhr rezensieren. Der Onkel schickte mir ein neues Buch, ich mußte es schnell durchlesen und die Hauptstellen bezeichnen. Dann wurden Kritiken von Nr. 1 und 2 entworfen und dem Alten zugeschickt. Nun schrieb er selbst 3 und 4, und war dann noch ein Hauptgericht zu exequieren, so ließ er mir sagen: ‚Mein lieber Neffe, nur immer Nr. 5 und 6 draufgesetzt; es kann nicht schaden, nimm ihn in Teufels Namen tüchtig durch;' und den ich noch vor einer Stunde mit wahrer Rührung bis zum Himmel erhoben, denselben verdammte ich jetzt bis in die Hölle. Vor Tisch wurden dann die kritischen Arbeiten verglichen, der Onkel tat, wie er zu sagen pflegte, Salz hinzu, um das Gebräu pikanter zu machen; dann packte ich alles ein und verschickte die heil= und unheilschweren Blätter an die verschiedenen Journale." „_Goddam_! Habe ich in meinem Leben dergleichen gehört?" rief der Lord mit wahrem Grauen. „Aber wenn Sie alle Tage nur e i n Buch rezensierten, das macht ja im Jahre 365! Gibt es denn in Ihrem Vaterlande jährlich selbst nur ein Dritteil dieser Summe?" „Ha! da kennen Sie unsere gesegnete Literatur schlecht, wenn Sie dies fragen. So viele gibt es in e i n e r Messe, und wir haben jährlich zwei. Alle Jahre kann man achtzig Romane, zwanzig gute und vierzig schlechte Lust= und Trauerspiele, hundert schöne und miserable Erzählungen, Novellen, Historien, Phantasien usw., dreißig Almanache, fünfzig Bände lyrischer Gedichte, einige erhabene Heldengedichte in Stanzen oder Hexametern, vierhundert Übersetzungen, achtzig Kriegsbücher rechnen, und die Schul=, Lehr=, Katheder=, Professions=, Konfessionsbücher, die Anweisungen zum frommen Leben, zur Bereitung guten Champagners aus Obst, zur Verlängerung der Gesundheit, die Betrachtungen über die Ewigkeit, und wie man auch ohne Arzt sterben könne usw. sind nicht zu zählen; kurz, man kann in meinem Vaterlande annehmen, daß unter fünfzig Menschen immer einer Bücher schreibt; hat einer einmal im Meßkatalog gestanden, so gibt er das Handwerk vor dem sechzigsten Jahre nicht auf. Sie können also leicht berechnen, meine Herren, wie viel bei uns gedruckt wird. Welcher Reichtum der Literatur, welches weite Feld für die Kritik!" Der junge Deutsche hatte diese letzten Worte mit einer Ehrfurcht, mit einer Andacht gesprochen, die sogar mir höchst komisch vorkam; der Lord und der Marquis aber brachen in lautes Lachen aus, und je verwunderter der junge Herr sie ansah, desto mehr schien ihr Lachreiz gesteigert zu werden. „Monsieur de Garnmacker! Nehmen Sie es nicht übel, daß ich mich von Ihrer Erzählung bis zum Lachen hinreißen ließ," sagte der Marquis; „aber Ihre Nation, Ihre Literatur, Ihre kritische Manufaktur kam mir unwillkürlich so komisch vor, daß ich mich nicht enthalten konnte zu lachen. Ihr seid sublime Leute, das muß man euch lassen." „Und der Herr hier hat recht," bemerkte Mylord mit feinem Lächeln. „Alles schreibt in diesem göttlichen Lande, und was das schönste ist, nicht jeder über sein Fach, sondern lieber über ein anderes. So fuhr ich einmal auf meiner Grandtour in einem deutschen Ländchen. Der Weg war schlecht, die Pferde womöglich noch schlechter. Ich ließ endlich durch meinen Reisebegleiter, der Deutsch reden konnte, den Postillon fragen, was denn sein Herr, der Postmeister, denke, daß er uns so miserable Pferde vorspanne. Der Postillon antwortete: ‚Was das Post= und das Stallwesen anbelangt, so denkt mein Herr nichts." Wir waren verwundert über diese Antwort, und mein Begleiter, dem das Gespräch Spaß machte, fragte, was sein Herr denn anderes zu denken habe. ‚Er schreibt!' war die kurze Antwort des Kerls. ‚Wie? Briefverzeichnisse, Postkarten?' ‚Ei, behüte!' sagte er, ‚Bücher, gelehrte Bücher.' ‚Über das Postwesen?' fragten wir weiter. ‚Nein,' meinte er; ‚Verse macht mein Herr, Verse, oft so breit als meine fünf Finger und so lang als mein Arm!' und klatsch! klatsch! hieb er auf die magern Brüder des Pegasus und trabte mit uns auf dem stoßenden Steinweg, daß es uns in der Seele weh tat. ‚_Goddam_!' sagte mein Begleiter. ‚Wenn der Herr Postmeister so schlecht auf dem Hippogryphen sitzt wie sein Schwager auf diesen Kleppern, so wird er holperige Verse zutage fördern!' Und auf Ehre, meine Herren, ich habe mich auf der nächsten Station erkundigt, dieser Postmeister ist ein Dichter und wie Sie, Mr. Garnmacher, ein großer Kritiker." „Ich weiß, wen Sie meinen," erwiderte der Deutsche mit etwas unmutiger Miene, „und Ihre Erzählung soll wohl ein Stich auf mich sein, weil ich eigentlich auch nicht für dieses Gebiet der Literatur erzogen worden. Übrigens muß ich Ihnen sagen, Mylord, in Ihrem kalten, systematischen, nach Gesetzen ängstlich zugeschnittenen Lande möchte etwas dergleichen auffallen, aber bei uns zu Lande ist das was anderes. Da kann jeder in die Literatur hineinpfuschen, wann und wie er will, und es gibt kein Gesetz, das einem verböte, etwas Miserables drucken zu lassen, wenn er nur einen Verleger findet. Bei den Kritikern und Poeten meines Vaterlandes ist nicht nur in Hinsicht auf die Phantasie die schöne romantische Zeit des Mittelalters; nein, wir sind, und ich rechne mich ohne Scheu dazu, samt und sonders edle Raubritter, die einander die Blumen der Poesie abjagen und in unsere Verließe schleppen; wir üben das Faustrecht auf heldenmütige Weise und halten literarische Wegelagerungen gegen den reich beladenen Krämer und Juden. Die Poesie ist bei uns eine Gemeindewiese, auf welcher jedes Vieh umherspazieren und Blumen und Gras fressen kann nach Belieben." „Herr von Garnmacker," unterbrach ihn der Marquis de Lasulot, „ich würde Ihre Geschichte erstaunlich hübsch und anziehend finden, wenn sie nur nicht so langweilig wäre. Wenn Sie so fortmachen, so erzählen Sie uns achtundvierzig Stunden in einem fort. Ich schlage daher vor, wir verschieben den Rest und unsere eigenen Lebensläufe auf ein andermal und gehen jetzt auf die Höllenpromenade, um die schöne Welt zu sehen!" „Sie haben recht," sagte der Lord, indem er aufstand und mir ein Sixpencestück zuwarf, „der Herr von Garnmacher weiß auf unterhaltende Weise einzuschläfern. Brechen wir auf; ich bin neugierig, ob wohl viele Bekannten aus der Stadt hier sind." „ Wie?" rief der junge Deutsche nicht ohne Überraschung. „Sie wollen also nicht hören, wie ich mich in Berlin bei den Herren vom Mühlendamm zu einem Elegant perfektionierte? Sie wollen nicht hören, wie ich einen Liebeshandel mit einer Prinzessin hatte, und auf welche elendigliche Weise ich endlich verstorben bin? O, meine Herren, meine Geschichte fängt jetzt erst an, interessant zu werden." „Sie können recht haben," erwiderte ihm der Lord mit vornehmem Lächeln; „aber wir finden, daß uns die Abwechslung mehr Freude macht. Begleiten Sie uns; vielleicht sehen wir einige Figuren aus Ihrem Vaterlande, die Sie uns zeigen können." „Nein, wirklich! Ich bin gespannt auf Ihre Geschichte," sagte der Marquis lachend; „aber nur jetzt nicht. Es ist jetzt die Zeit, wo die Welt promeniert, und um keinen Preis, selbst nicht um Ihre interessante Erzählung, möchte ich diese Stunde versäumen. Gehen wir." „Gut," erwiderte der deutsche Stutzer resigniert und ohne beleidigt zu scheinen. „Ich begleite Sie; auch so ist mir Ihre werte Gesellschaft sehr angenehm; denn es ist für einen Deutschen immer eine große Ehre, sich an einen Franzosen oder gar an einen Engländer anschließen zu können." Lachend gingen die beiden voran, der Baron folgte, und ich veränderte schnell mein Kostüm, um diese merkwürdigen Subjekte auf ihren Wanderungen zu verfolgen; denn ich hatte gerade nichts Besseres zu tun. Die Menschen bleiben sich unter jeder Zone gleich--es ist möglich, daß Klima und Sitten eines anderen Landes eine kleine Veränderung in manchem hervorbringen; aber laßt nur eine Stunde lang Landsleute zusammen sprechen, der Nationalcharakter wird sich nicht verleugnen, wird mehr und mehr sich wieder hervorheben und deutlicher werden. So kommt es, daß dieser Geburtstag meiner lieben Großmutter mir Stoff zu tausend Reflexionen gibt; denn selbst im Fegefeuer, wenn diesen Leutchen nur e i n Tag vergönnt ist, findet sich Gleiches zu Gleichem, und es spricht und lacht und geht und liebt wie im Prater, wie auf der Chaussee d'Antin oder im Palais Royal, wie Unter den Linden, oder wie in.... Welchen Anblick gewährte diese höllische Promenade! Die Stutzer aller Jahrhunderte, die Kurtisanen und Merveilleuses aller Zeiten, Theologen aller Konfessionen, Juristen aller Staaten, Finanziers von Paris bis Konstantinopel, von Wien bis London, und sie alle in Streit über ihre Angelegenheiten, und sie alle mit dem ewigen Refrain: „Zu unserer Zeit, ja! Zu unserer Zeit war es doch anders!" Aber ach, meine Stutzer kamen zu spät auf die Promenade, kaum daß noch Baron von Garnmacher einen jungen Dresdener Dichter umarmen und einer Berliner Sängerin sein Vergnügen ausdrücken konnte, ihre Bekanntschaft hier zu erneuern! Der edle junge Herr hatte durch seine Erzählung die Promenadezeit verkümmert, und die große Welt strömte schon zum Theater. * * * * * 3. DAS THEATER IM FEGEFEUER. Man wundert sich vielleicht über ein Theater im Fegefeuer? Freilich ist es weder _Opera buffa_ noch _seria_, weder Trauer= noch Lustspiel; ich habe zwar Schauspieldichter, Sänger, Akteurs und Aktricen, Tänzer und Tänzerinnen genug; aber wie könnte man ein so gemischtes Publikum mit einem dieser Stücke unterhalten? Ließe ich von Zacharias Werner eine schauerlich=tragikomisch=historisch=romantisch= heroische Komödie aufführen,--wie würden sich Franzosen und Italiener langweilen, um von den Russen, die mehr das Trauerspiel und Mordszenen lieben, gar nicht zu reden. Wollte ich mir von Kotzebue ein Lustspiel schreiben lassen, etwa die „Kleinstädter in der Hölle", wie würde man über verdorbenen Geschmack schimpfen! Daher habe ich eine andere Einrichtung getroffen. Mein Theater spielte große pantomimische Stücke, welche wunderbarerweise nicht die Vergangenheit, sondern die Zukunft zum Gegenstand haben; aber mit Recht. Die Vergangenheit, ihr ganzes Leben liegt abgeschlossen hinter diesen armen Seelen. Selten bekommt eine einen Erlaubnisschein, als Revenant die Erde um Mitternacht besuchen zu dürfen. Denn was nützt es mir? Was frommt es dem irren Geist einer eifersüchtigen Frau, zum Lager ihres Mannes zurückzukehren? Was nützt es dem Mann, der sich um eine zweite umgetan, wenn durch die Gardine dringt-- „Eine kalte weiße Hand. Wen erblickt er? Seine Wilhelmine, Die im Sterbekleide vor ihm stand." Was kann es dem Teufel, was einer ausgeleerten herzoglichen Kasse helfen, wenn der Finanzminister, der sich aus Verzweiflung mit dem Federmesser die Kehle abschnitt, allnächtlich ins Departement schleicht, angetan mit demselben Schlafrock, in welchem er zu arbeiten pflegte, schlürfend auf alten Pantoffeln und die Feder hinter dem Ohr? Zu was dient es, wenn er seufzend vor den Akten sitzt und mit glühendem Auge seinen Rest immer noch einmal berechnet? Was kann es dem fürstlichen Keller helfen, wenn der Schloßküfer, den ich in einer bösen Stunde abgeholt, durch einen Kellerhals herniederfährt und mit krampfhaft gekrümmtem Finger an den Fässern anpocht, die er bestohlen? Zu welchem Zweck soll ich den General entlassen, wenn oben der Zapfenstreich ertönt und die Hörner zur Ruhe blasen? Wozu den Stutzer, um zu sehen, ob sein bezahltes Liebchen auf frische Rechnung liebt? Zwar sie alle, ich gestehe es, sie alle würden sich unglücklicher fühlen, könnten sie sehen, wie schnell man sie vergessen hat; es wäre eine Schärfung der Strafe, wie etwa ein König, als ihm ein Urteil zu l e b e n s l ä n g l i c h e r Zuchthausstrafe vorgelegt wurde, „n o c h s e c h s J a h r e l ä n g e r" unterschrieb, weil er den Mann haßte. Aber sie würden mir auf der andern Seite so viel verwirrtes Zeug mit herabbringen, würden mir manchen fromm zu machen suchen, wie der reiche Mann im Evangelium, der zu Lebzeiten soviel getrunken, daß er in der Hölle Wasser trinken wollte,--ich habe darin so viele Erfahrungen gemacht und kann es in neuern Zeiten, wo ohnedies die Missionarien und andere Mystiker genug tun, nicht mehr erlauben. Daher kommt es, daß es in diesen Tagen wenig mehr in den H ä u s e r n, desto mehr aber in den K ö p f e n, spukt. Um nun den Seelen im Fegefeuer dennoch Nachrichten über die Zukunft zu geben, lasse ich an Festtagen einige erhebliche Stücke von meiner höllischen Bande aufführen. Auf dem heutigen Zettel war angezeigt: M i t A l l e r h ö c h s t e r B e w i l l i g u n g. Heute, als am Geburtstage der Großmutter, diabolischen Hoheit: E i n i g e S z e n e n a u s d e m J a h r e 1 8 2 6. Pantomimische Vorstellung mit Begleitung des Orchesters. Die Musik ist aus Mozarts, Haydns, Glucks und anderen Meisterwerken zusammengesucht von Rossini. (Bemerkungen an das Publikum.) Da gegenwärtig sehr viele allerhöchste Personen und hoher Adel hier sind, so wird gebeten, die ersten Ranglogen den Hoheiten, Durchlauchten und Ministern bis zum Grafen abwärts inklusive, die zweite Galerie der Ritterschaft samt Frauen bis zum Leutnant abwärts zu überlassen. Die Direktion des infernal. Hof= und Nationaltheaters. Das Publikum drängte sich mit Ungestüm nach dem Hause. Ich bot mich den drei jungen Herren als Cicerone an und führte sie glücklich durchs Gedränge ins Parkett. Obgleich der Lord ohne Anstand auf die erste, der Marquis und der deutsche Baron auf die zweite Loge hätten eintreten dürfen, fanden es diese drei Subjekte aber amüsanter, von ihrem niederen Standpunkt aus Logen und Parterre zu lorgnettieren. Wie mancher Ausruf des freudigen Staunens entschlüpfte ihnen, wenn sie wieder auf ein bekanntes Gesicht trafen! Besonders Garnmacher schien vor Erstaunen nicht zu sich selbst kommen zu können. „Nein, ist es möglich?" rief er wiederholt aus. „Ist es möglich? Sehen Sie, Marquis, jener Herr dort oben in der zweiten Galerie rechts, mit den roten Augen, er spricht mit einer bleichen jungen Dame; dieser starb in Berlin im Geruch der Heiligkeit und soll auch hier sein an diesem unheiligen Ort? Und jene Dame, mit welcher er spricht, wie oft habe ich sie gesehen und gesprochen! Sie war eine liebenswürdige, fromme Schwärmerin, ging lieber in die Dreifaltigkeitskirche als auf den Ball--sie starb, und wir alle glaubten, sie werde sogleich in den dritten Himmel schweben, und jetzt sitzt sie hier im Fegefeuer! Zwar wollte man behaupten, sie sei in Töplitz an einem heimlichen Wochenbette verschieden; aber wer ihren frommen Lebenslauf gesehen, wer konnte das glauben?" „Ha! die Nase von Frankreich!" rief auf einmal der Marquis mit Ekstase. „Heiliger Ludwig, auch Ihr, auch Ihr unter Euern verlorenen Kindern? Ha? und ihr, ihr verdammten Kutten, die ihr mein schönes Vaterland in die Kapuze stecken wollet. Sehen Sie, Mylord, jene häßlichen, kriechenden Menschen? Sehen Sie, dort--das sind berühmte Missionäre, die uns glauben machen wollten, sie seien frömmer als wir. Dem Teufel sei es gedankt, daß er diese Schweine auch zu sich versammelt hat." „O mein Herr," sagte ich, „da hätten Sie nicht nötig gehabt, bis ins Theater sich zu bemühen, um diese Leutchen zu sehen. Sie zeigen sich zwar nicht gerne auf den Promenaden, weil selbst in der Hölle nichts Erbärmlicheres zu sein pflegt als ein entlarvter Heuchler. Aber im _Café de la Congrégation_ wimmelt es von diesen Herren, vom Kardinal bis zum schlichten Pater. Sie können manche heilige Bekanntschaft dort machen." „Mein Herr, Sie scheinen bekannt hier," erwiderte Mylord, „sagen Sie doch, wer sind diese ernsten Männer in Uniform nebenan? Sie unterhalten sich lebhaft, und doch sehe ich sie nicht lächeln. Sind es Engländer?" „Verzeihen Sie," antwortete ich, „es sind Soldaten und Offiziere von der alten Garde, die sich mit einigen Preußen über den letzten Feldzug besprechen." Alle drei schienen erstaunt über dieses Zusammentreffen und wollten mehr fragen; aber der Kapellmeister hob den Stab, und die Trompeten und Pauken der Rossinischen Ouvertüre schmetterten in das volle Haus. Es war die herrliche Ouvertüre aus _il maestro ladro_, die Rossini auf sich selbst gedichtet hat, und das Publikum war entzückt über die schönen Anklänge aus der Musik aller Länder und Zeiten, und jeder fand seinen Lieblingsmeister, seine Lieblingsarie in dem herrlich komponierten Stück. Ich halte auch außer der _Gazza ladra_ den _Maestro ladro_ für sein Bestes, weil er darin seine Tendenz und seine künstlerische Gewandtheit im Komponieren ganz ausgesprochen hat. Die Ouvertüre endete mit dem ergreifenden Schluß von Mozarts Don Juan, dem man zur Vermehrung der Rührung einen Nachsatz von Pauken, Trommeln und Trompeten angehängt hatte, und--der Vorhang flog auf. Man sah einen Saal der Börsenhalle von London. Ängstlich drängten sich Juden und Christen durcheinander. In malerischen Gruppen standen Geldmäkler, große und kleine Kaufleute und steigerten die Papiere. Nachdem diese Introduktion einige Zeitlang gedauert hatte, kamen in sonderbaren Sprüngen und Kapriolen zwei Kuriere hereingetanzt. Allgemeine Spannung. Die Depeschen werden in einem _pas de deux_ entsiegelt, die Nachrichten mitgeteilt. In diesem Augenblicke erscheint mein erster Solotänzer, das Haus Goldsmith vorstellend, in der Szene. Seine Mienen, seine Haltung brüllen Verzweiflung aus. Man sieht, seine Fonds sind erschöpft, seine Beutel leer, er muß seine Zahlungen einstellen. Ein Chor von Juden und Christen dringen auf ihn ein, um sich bezahlt zu machen. Er fleht, er bittet, seine Gebärdensprache ist bezaubernd--es hilft nichts. Da rafft er sich verzweiflungsvoll auf. Er tanzt ein Solo voll Ernst und Majestät. Wie ein gefallener König ist er noch im Unglück groß, seine Sprünge reichen zu einer immensen Höhe, und mit einem prachtvollen Fußtriller fällt das Haus Goldsmith in London. Komisch war es nun anzusehen, wie das Chor der englischen, deutschen und französischen Häuser, vorgestellt von den Herren vom _corps de ballet_, diesen Fall weiter fortsetzten. Sie wankten künstlich und fielen noch künstlicher, besonders exzellierten hierbei einige Berliner Börsenkünstler, die durch ihre ungemeine Kunst einen wahrhaft tragischen Effekt hervorbrachten und allgemeine Sensation im Parterre erregten. Plötzlich ging die lamentable Börsenmusik in einen Triumphmarsch über. Die herrliche Passage aus der „Italienerin in Algier": H e i l d e m g r o ß e n K a i m a k a n! ertönte. Ein glänzender Zug von Christensklaven, Goldbarren und Schüsseln mit gemünztem Gold tragend, tanzten aufs Theater. Es war, wie wenn in der Hungersnot ein Wagen mit Brot in eine ausgehungerte Stadt kömmt. Man denkt nicht daran, daß der spekulative Kopf, der das Brot herbeischaffte, nichts als ein gemeiner Wucherer ist, der den Hunger benützt und sein Brot zu ungeheuren Preisen losschlägt; man denkt nicht daran, man verehrt ihn als den Retter, als den schützenden Schild in der Not. So auch hier. Die gefallenen Häuser richteten sich mit Grazie empor, sie schienen Hoffnung zu schöpfen, sie schienen den Messias der Börse zu erwarten. Er kam. Acht Finanzminister berühmter Könige und Kaiser trugen auf ihren Schultern eine Art von Triumphwagen, der die transparente Inschrift: „S e i d u m s c h l u n g e n, M i l l i o n e n!" trug. Ein Herr mit einer bekannten morgenländischen Physiognomie, wohlbeleibt und von etwas schwammigem Ansehen, saß in dem Wagen und stellte den Triumphator vor. Mit ungemeinem Applaus wurde er begrüßt, als er von den Schultern der Minister herab auf den Boden stieg. „Das ist Nothschild! Es lebe Nothschild!" schrie man in den ersten Ranglogen und klatschte und rief bravo, daß das Haus zitterte. Es war mein erster Grotesktänzer, der diese schwierige Rolle meisterhaft durchführte, besonders, als er mit dem englischen, österreichischen, preußischen und französischen Ministerium einen Cosaque tanzte, übertraf er sich selbst. Nothschild gab in einer komischen Solopartie seinem Reich, der Börse, den Frieden, und der erste Akt der großen Pantomime endigte mit einem brillanten Schlußchor, in welchem er förmlich gekrönt und zu einem allerhöchsten _cher cousin_ gemacht wurde. Als der Vorhang gefallen war, ließ sich Mylord ziemlich ungnädig über diese Szene aus. „Es war zu erwarten," sagte er, „daß diese Menschen bedeutenden Einfluß auf die Kurse bekommen werden; aber daß auf der Börse von London ein solcher Skandal vorfallen werde, im Jahre 1826, das ist unglaublich." „Mein Herr," erwiderte der Marquis lachend, „unglaublich finde ich es nicht. Bei den Menschen ist alles möglich, und warum sollte nicht einer, wenn er auch im Judenquartier zu Frankfurt das Licht der Welt erblickte, durch Kombination so weit kommen, daß er Kaiser und Könige in seinen Sack stecken kann?" „Aber England, Alt=England! Ich bitte Sie," rief der Lord schmerzlich. „Ihr Frankreich, Ihr Deutschland haben beide von jeher nach jeder Pfeife tanzen müssen! Aber, _Goddam_! das englische Ministerium mit diesem Hep=Hep einen Cosaque tanzen zu sehen! O! es ist schmerzlich!" „Ja, ja!" sprach Baron von Garnmacher, des Schneiders Sohn, sehr ruhig. „Es wird und muß so kommen. Freilich, ein bedeutender Unterschied zwischen 1826 und der Zeit des Königs David." „Das finde ich nicht," antwortete der Marquis; „im Gegenteil, Sie sehen ja, welch großen Einfluß die Juden auf die Zeit gewinnen!" „Und dennoch finde ich einen bedeutenden Unterschied," erwiderte der Deutsche. „Damals, mein Herr, hatten alle Juden nur e i n e n König, jetzt aber haben alle Könige nur e i n e n Juden." „Wenn Sie so wollen, ja. Aber neugierig bin ich doch, was für eine Szene der Teufel uns jetzt geben wird. Ich wollte wetten, Frankreich oder Italien kommt ans Brett." „Ich denke, Deutschland," erwiderte Garnmacher. „Ich wenigstens möchte wohl wissen, wie es im Jahre 1826 oder 1830 in Deutschland sein wird. Als ich die Erde verließ, war die Konstellation sonderbar: Es roch in meinem Vaterlande wie in einer Pulverkammer, bevor sie in die Luft fliegt. Die Lunte glühte, und man roch sie allerorten. Die feinsten diplomatischen Nasen machten sich weit und lang, um diesen geheimnisvollen Duft einzuziehen und zu erraten, woher der Wind komme. Meinen Sie nicht auch, es müsse bedeutende Änderungen geben?" „Es wird heißen: ‚Auch in diesem Jahr ist es geblieben wie es war'," antwortete ich dem guten Deutschen. „Um eine Lunte auszulöschen, bedarf es keiner großen Künste. Man wird bleiben, wie man war, man wird höchstens um einige Prozente weiser vom Rathaus kommen. Sie wollen Ihr Vaterland in die Szene gesetzt sehen, um zu erfahren, wie es anno 1826 dort aussieht? Armer Herr! Da müßte ich ja zuvor noch fragen, was für ein Landsmann Sie sind." „Wie verstehen Sie das?" fragte der Baron unmutig. „Nun? Was könnte man Ihnen denn Allgemeines und Nationales vorspielen, da Sie keine Nation sind? Sind Sie ein Bayer, so müßte man Ihnen zeigen, wie man dort noch immer das alte ehrliche Bier, nur nach neuen Rezepten, braut. Sind Sie Württemberger, so könnten Sie erfahren, wie man die Landstände wählte. Sind Sie ein Rheinpreuße und drückt Sie der Schuh, so lassen Sie den eigenen Fuß operieren; denn an dem Normalschuh darf nichts geändert werden. Sind Sie ein Hesse, so trinken Sie ganz ruhig Ihren Doppelkümmel zum Butterbrot; aber denken Sie nichts, nicht einmal, ob es in der letzten Woche schön war und in der nächsten regnen wird. Sind Sie ein Brandenburger, so machen Sie, daß Ihnen die Haare zu Berge stehen und hungern Sie, bis Sie eine schöne Taille bekommen---" „Herr, Sie sind des Teufels!" fuhr der Baron auf. „Wollen Sie uns alles Nationalgefühl absprechen? Wollen Sie--" „Stille! Sie sehen, der Vorhang geht wieder in die Höhe!" rief der Marquis. „Wie, was sehe ich? Das ist ja das Portal von Notre=Dame! Das finde ich sonderbar. Wenn man von Frankreich etwas in Szene setzen will, warum gibt man uns kein Vaudeville, warum nicht den Kampf der Kammer?" Die Glocken von Notre=Dame ertönten in feierlichen Klängen. Chorgesang und das Murmeln kirchlicher Gebete näherte sich, und eine lange Prozession, angeführt von den Missionären, betrat die Bühne. Da sah man königliche Hoheiten und Fürsten mit den Mienen zerknirschter Sünder, den Rosenkranz in der Hand, einherschleichen. Da sah man Damen des ersten Ranges, die schönen Augen gen Himmel gerichtet, die _à la_ Madonna gekämmten Haare mit wohlriechender Asche bestreut, die niedlichen Füßchen bloß und bar in dem Staube wandelnd. Das Publikum staunte. Man schien seinen Augen nicht zu trauen, wenn man die Herzogin D--s, die Comtesse de M--u, die Fürstin T--d im Kostüm einer Büßenden zur Kirche wandeln sah. Doch, als Offiziere der alten Armee, nicht mit Adlern, sondern mit heiligen Fahnen in der Hand hereinwankten, als sogar ein Mann in der reichen Uniform der Marschälle, den Degen an der Seite, die Kerze in der Hand und Gebetbücher unter dem Arm, über die Szene ging, da wandte sich der Marquis ab; die Soldaten der alten Garde an unserer Seite ballten die Fäuste und riefen Verwünschungen aus, und wer weiß, was meinen Akteurs geschehen wäre, hätte man faule Äpfel oder Steine in der Nähe gehabt! Das hohe Portal von Notre=Dame hatte endlich die Prozession aufgenommen, und nur der Schluß ging noch über die Szene. Es war ein Affe, der eine Kerze in der Hand und unter dem Arm eine Vulgata trug. Man hatte ihm einen ungeheuern Rosenkranz als Zaum um den Hals gelegt, an welchem ihn zwei Missionäre wie ein Kalb führten. So oft er aus dem ruhigen Prozessionsschritt in wunderliche Seitensprünge fallen wollte, wurde er mit einer Kapuzinergeißel gezüchtigt und schrie dann, um seine Zuchtmeister zu versöhnen: „_Vive le bon Dieu! vive la croix!_" So brachten sie ihn endlich mit großer Mühe zur Kirche. Orgel und Chorgesang erscholl, und der Vorhang fiel. „Haben Sie nun Genugtuung?" sagte der Marquis zu dem Lord. „Was ist Ihr Skandal auf der Börse gegen diesen kirchlichen Unfug? O mein Frankreich, mein armes Frankreich!" „Es ist wahr," antwortete Mylord sehr ernst, indem er dem Franzosen die Hand drückte, „Sie sind zu beklagen; aber ich glaube nicht an diese tollen Possen. Frankreich kann nicht so tief sinken, um sich so unter den Pantoffel zu begeben. Frankreich, das Land des guten Geschmacks, der fröhlichen Sitten, der feinen Lebensart, Frankreich sollte schon im Jahre 1826 vergessen haben, daß es einst der gesunden Vernunft Tempel erbaute und den Jesuiten die Kutte ausklopfte? Nicht möglich, es ist ein Blendwerk der Hölle!" „Das möchte doch nicht so sicher sein," sagte ich. „Das Vaterland des Herrn Marquis gefiel sich von jeher in Kontrasten. Wenn einmal der Jesuitismus dort zur Mode wird, möchte ich für nichts stehen." „Aber was wollten sie nur mit dem Affen in Notre=Dame?" fragte der Baron. „Was hat denn dieses Tier zu bedeuten?" „Das ist, wie ich von der Theaterdirektion vernahm, der Affe Joco, der sonst diese Leute im Theater belustigte. Jetzt ist er wohl auch von den Missionären bekehrt worden, und wenn er, wie man aus seinen Seitensprüngen schließen könnte, ein Protestant ist, so werden sie ihn wohl in der Kirche taufen." „_Goddam_! Was Sie sagen! Doch Sie scheinen mit der Theaterdirektion bekannt. Sagen Sie uns, was noch aufgeführt wird. Wenn es nichts Interessantes ist, so denke ich, gehen wir weiter; denn ich finde diese Pantomimen etwas langweilig." „Es kommt nur noch ein Akt, der mehr allgemeines Interesse hat," antwortete ich. „Es wird nämlich ein diplomatisches Diner aufgeführt, das der Reis=Effendi den Gesandten hoher Mächte gibt, das Siegesfest der Festung Missolunghi vorstellend. Es werden dabei Ragouts aus Griechenohren, Pastetchen von Philhellenennasen aufgetischt. Das Hauptstück der Tafel macht ein Roastbeef von dem griechischen Patriarchen, den sie lebendig geröstet haben, und zum Beschluß wird ein kleiner Ball gegeben, den ein besternter Staatsmann, so alt er sein mag, mit der schönsten Griechensklavin aus dem Harem seiner mohammedanischen Majestät eröffnet." „Ei!" rief der Marquis. „Was, wollen wir diese Schande der Menschheit sehen? Ihre Londoner Börse war lächerlich, die Prozession gemein und dumm; aber diese ekelhafte Erbärmlichkeit, ich kann sie nicht ansehen! Kommt, meine Freunde! Wir wollen lieber noch die Geschichte des Herrn von Garnmacker hören, so langweilig sie ist, als dieses diplomatische Diner betrachten." Der Lord und der deutsche Baron willigten ein. Sie standen auf und verließen mein Theater, und der Lord sah, als er heraustrat, mit einem derben Fluche zurück und rief: „Wahrlich, es steht schlimm mit der Zukunft von 1826!" * * * * * DER FLUCH. (E i n e N o v e l l e.) (Fortsetzung.) Man kann sich denken, daß ich in Rom immer viele Geschäfte habe. Die h e i l i g e S t a d t hatte immer einen Überfluß von Leuten, die in der ersten, zweiten oder dritten Abstufung mein waren. Man wird sich wundern, daß ich eine Klassifikation der g u t e n L e u t e (von andern Sünder genannt) mache; aber, wer je mit der Erde zu tun hatte, hat den Menschen bald abgelernt, daß nur das Systematische mit Nutzen bei ihnen betrieben werden könne. Es ist dies besonders in Städten wie Rom unumgänglich notwendig; wo so vielerlei Nuancen g u t e r L e u t e vom roten Hut bis auf die Kapuze, vom Fürsten, der die Macht hat, Orden zu verleihen, bis auf den Armen, dem solche um dreißig Taler angeboten werden, sich vorfinden, da muß man Klassen haben. Ich werde in der Bibel und von den heutigen Philosophen als das negierende Prinzip vorgestellt, daher teilte ich meine guten Leute ein in: Erste Klasse, mit dem Prädikat r e c h t g u t, solche, die geradehin verneinen, als da sind: Freigeister, Gottesleugner &c. Zweite Klasse, g u t; sie sagen mit einigem Umschweif nein, gelten unter sich für Heiden, bei Vernünftigen für liberale Männer, bei der Menge für fromme Menschen. In dieser Klasse befinden sich viele Türken und Pfaffen. Die dritte Klasse mit dem Prädikat m i t t e l m ä ß i g sind jene, die ihr Nein nur durch ein Kopfschütteln andeuten. Es sind jene, die sich selbst für eine Art von Gott halten, mögen sie nun Ablaß verkaufen oder als evangelisch=mystisch=pietistische Seelen einen Separatfrieden mit dem Himmel abschließen; der letzteren gibt es übrigens in Rom wenige. Es läßt sich annehmen, daß das Innere dieses Systems, die verschiedenen Übergänge der Klassen beinahe mit jedem Jahr sich ändern. Geld, Sitten, der Zeitgeist üben hier einen großen Einfluß aus und machen beinahe alle zwei Jahre eine Reise an Ort und Stelle notwendig. Als ich vor einiger Zeit auf einer solchen Visitationsreise in Rom verweilte, war ich Zeuge folgender Szenen, die ich aufzuzeichnen nicht unterlassen will, weil sie vielleicht für manchen Leser meiner Memoiren von Interesse sein möchten. Ich ging eines Morgens unter den Säulengängen der Peterskirche spazieren, dachte nach über mein System und die Veränderungen, die ihm durch die Missionäre in Frankreich und das Überhandnehmen der Jesuiten drohte; da stieß mir ein Gesicht auf, das schon in irgend einer interessanten Beziehung zu mir gestanden haben mußte. Ich stand stille, ich betrachtete ihn von der Seite. Es war ein schlanker, schöner junger Mann; seine Züge trugen die Spuren von stillem Gram; dem Auge, der Form des Gesichtes nach war er kein Italiener,--ein Deutscher, und jetzt fiel mir mit einem Male, daß ich ihn vor wenigen Monaten in Berlin im Salon jener Dame gesehen hatte, die mir und dem ewigen Juden einen ästhetischen Tee zu trinken gegeben hatte. Es war jener junge Mann, dessen anziehende Unterhaltung, dessen angenehme Persönlichkeit mir damals ein so große Interesse eingeflößt hatten. Er war es, der uns damals ein Abenteuer aus seinem Leben erzählt hatte, das ich für würdig fand, bei der Beschreibung jenes Abends mit aufzuzeichnen. Ob ihn wohl die Liebe zu jener jungen Dame noch einmal in die heilige Stadt gezogen hatte? Ob ihm, wie mir, der düstere Himmel seines Landes und die süße Langeweile der ästhetischen Tees im Hause seiner Tante so drückend wurde, daß er sich unter eine südlichere Zone flüchtete? Ich beschloß, seine Bekanntschaft zu erneuern, um über jene interessante Begegnis, dessen Erzählung der Jude unterbrochen, um über ihn selbst, über seine Schicksale etwas Näheres zu vernehmen. Er stand an einer Säule des Portals, den Blick fest auf die Türe gerichtet; fromme Seelen, schöne Frauen, junge Mädchen strömten aus und ein. Ich sah, er blieb gleichgültig; wenigstens schien ihn keine dieser Gestalten zu interessieren. Endlich erscheint ein kleiner Florentiner Strohhut in der Türe; war es die Form dieses Hutes, waren es die weißen, wallenden Federn, war es die einfache Rose, aus welcher dieser Busch herwallte, was dem jungen Manne so reizend, so bekannt dünkte? Noch konnte man weder Gestalt noch Gesicht der Dame sehen; aber seine Augen glänzten, ein Lächeln der erfüllten Hoffnung flog um seinen Mund, seine Wangen röteten sich, er richtete sich höher auf und schaute unverwandt den Säulengang hin. Noch verdeckten zwei Pfaffen mit ihren Kapuzen die Nahende; jetzt bogen sie rechts ein, und ich sah ein holdes, süßes Wesen heranschweben. Wer, wie ich, erhaben über jede Leidenschaft, die den Sterblichen auf der Erde quält, die Dinge betrachtet, wie sie sind, nicht wie sie euch Liebe oder Haß oder eure tausend Vorurteile schildern, dem ist eine solche seltene Erscheinung ein Fest; denn es ist etwas Neues, Originelles. Ich gedachte unwillkürlich jener Worte des jungen Mannes, wie er uns den Eindruck beschrieb, den der Anblick jener Dame zum ersten Male auf ihn machte, mit welchem Entzücken er uns ihr Auge beschrieb;--ich war keinen Augenblick im Zweifel, daß diese liebliche Erscheinung, die auf uns zukam, und jene rätselhafte Dame eine und dieselbe sei. Ein glühendes Rot hatte die Züge des Jünglings übergossen. Er hatte den Hut gezogen; es war, als schwebte ihm ein Morgengruß oder eine freundliche Rede auf den Lippen, und überrascht von der stillen Größe des Mädchens sei er verstummt. Auch sie errötete, sie schlug die Augen auf, als er sich verbeugte, sie warf einen fragenden Blick auf ihn, hielt einen kurzen Moment ihre Schritte an, als erwarte sie, von ihm angeredet zu werden; er schwieg, sie eilte bewegt weiter. Der junge Mann sah ihr mit trüben Blicken nach, dann folgte er langsamen Schrittes; oft blieb er, wie in Gedanken verloren, stehen. Ich ging ihm einige Straßen nach; er trat endlich in ein Kaffeehaus, wo sich die deutschen Künstler zu versammeln pflegen. Hatte schon früher dieser Mensch und seine Erzählung meine Teilnahme erregt, so war ich jetzt, da ich Zeuge eines flüchtigen, aber bedeutungsvollen Zusammentreffens gewesen war, um so neugieriger, zu erfahren, in welchem Verhältnis der Berliner zu dieser Dame stehe; daß es kein glückliches Verhältnis, kein gewöhnliches Liebesverständnis war, glaubte ich in ihren Mienen, in ihrem sonderbaren Benehmen gelesen zu haben. Man wird sich erinnern, daß ich als hoffnungsvoller Zögling des ewigen Juden, als Herr von Stobelberg, die Bekanntschaft dieses Mannes machte. Daher trat ich in dieser Rolle in das Kaffeehaus. Der junge Herr saß in einem Fenster und las in einem Brief. Ich wartete eine Weile, ob er wohl bald ausgelesen haben werde, um ihn dann anzureden; aber er las immer. Ich trat von der Seite hinter ihn, um nach dem Schluß dieses riesengroßen Briefes zu blicken,--es waren wenige Zeilen von einer Frauenhand, die er, wie es schien, gedankenlos anstarrte. „Habe ich die Ehre, Herrn von S. vor mir zu sehen?" fragte ich in deutscher Sprache, indem ich vor ihn trat. „Der bin ich," antwortete er, indem er den düsteren Blick von dem Brief auf mich schlug und mein Kompliment durch ein leichtes Neigen des Hauptes erwiderte. „Sie scheinen mich nicht mehr zu kennen, und doch war ich so glücklich, einmal einen Abend im Hause Ihrer Tante in Berlin zu genießen, den vorzüglich Ihre Unterhaltung, Ihre interessanten Mitteilungen mir unvergeßlich machen." „Im Hause meiner Tante?" fragte er, aufmerksamer werdend. „Wie, war es nicht ein höchst ennuyanter Tee? Waren nicht einige männliche Weiber und einige zartweibliche Herren zugegen? Ich erinnere mich, ich mußte etwas erzählen. Doch Ihr Name, mein Lieber, ist mir leider entfallen." „Baron von Stobelberg; ich reiste damals mit--" „Ah--mit einem ganz sonderbaren Kauz von Hofmeister; jetzt erinnere ich mich ganz; er war so unglücklich, allen Damen, ohne es zu wollen, Sottisen zu sagen und überschnappte endlich, nämlich mit dem Stuhl?" „So ist's; wollten Sie erlauben, meinen Kaffee hier zu trinken? Ich bin noch so fremd hier, ich kenne keine Seele. Sie sind wohl schon lange hier bekannt?" Ein melancholisches Lächeln zog um seinen Mund. „O ja, bin schon lange hier bekannt," antwortete er düster. „Ich war früher in Geschäften hier, jetzt zu--meiner Erholung." „Sie erinnern mich da auf einmal wieder an den Abend bei Ihrer Tante; mein Hofmeister brachte mich damals um einen köstlichen Genuß. Sie erzählten uns ein kleines Abenteuer, das Sie mit einer Deutschen in Rom gehabt. Ihre Erzählung war auf dem Punkte, eine Wendung zu nehmen, die uns über vieles, namentlich über Ihre sonderbare Verwechslung mit einem Ebenbilde aufgeklärt hätte, da zerstörte mein Mentor durch seinen Fall meine schöne Hoffnung; ich war genötigt, mit ihm den Salon zu verlassen und plage mich seitdem mit allerlei Möglichkeiten, Wahrscheinlichkeiten, wie es Ihnen möchte ergangen sein; ob Sie sich mit Ihrem Ebenbilde geschlagen haben; ob Sie auch ferner der schönen Luise sich nahen konnten; ob nicht endlich ein Liebesverhältnis zwischen Ihnen entstanden. Kurz, ich kann Sie versichern, es peinigte mich tagelang, die tollsten Konjekturen erfand ich, aber nie wollten sie passen." Der junge Mann war während meiner Reden nachdenklich geworden; es schien etwas darin zu liegen, das ihm nicht ganz recht war; vielleicht ahnte er meine unbezwingliche Neugierde nach seiner Aventüre; er blickte mich scharf an, aber er wich in seiner Antwort aus. „Ich erinnere mich," sagte er, „daß wir damals alle bedauerten, Ihre Gesellschaft entbehren zu müssen. Sie waren uns allen wert geworden, und die Tanten behaupteten, Sie hätten etwas Eigenes, Anziehendes, das man nicht recht bezeichnen könne, Sie hätten einen höchst pikanten Charakter. Nun, Sie werden in der Zeit diese Damen entschädigt haben; wann waren Sie das letzte Mal bei meiner Tante?" Ich sah ihn staunend an. „Ich hatte nie die Ehre, bei Ihrer Tante gesehen zu werden als an jenem Abend." Er entgegnete hierauf nichts, sprach vom Papst und dergleichen, kam aber immer wieder darauf zurück, mich durch eine Zwischenfrage nach Berlin ins Haus seiner Tante zu verlocken. „Was wollen Sie nur immer wieder mit Berlin?" fragte ich endlich. „Ich war seit jenem Abend nicht mehr dort und reiste in dieser Zeit in Frankreich und England. Sehen Sie einmal in meinen Paß, welch ungeheure Tour ich in dieser Zeit gemacht habe!" Er warf einen flüchtigen Blick hinein und errötete. „Verzeihen Sie, Baron!" rief er, indem er meine Hand ungestüm drückte. „Vergeben Sie, ich hielt Sie für einen Spion meiner Tante."-- „Ihrer Tante? Für einen Spion, den man Ihnen bis Rom nachschickt?" „Ach, die Menschen sind zu keiner Torheit zu gut. Ich halte mich etwa seit zwei Monaten wieder hier auf. Meine Verwandten toben, weil ich meinen Posten im Bureau des Ministers plötzlich und ohne Urlaub verlassen habe; sie bestürmten mich mit Briefen, ich kam nicht; sie wandten sich an die preußische Gesandtschaft hier; sie fand aber nichts Verdächtiges an mir und ließ mich ungestört meinen Weg gehen. Vor einigen Tagen schrieb mir ein Freund, ich solle auf meiner Hut sein, man werde einen Spion in meine Nähe senden, um alle meine Schritte--" „Ist's möglich? Und warum denn dies alles?" „Ach, es ist eine dumme Geschichte; eine Anordnung meines verstorbenen Vaters legt mir Pflichten auf, die--ein andermal davon--, die ich nicht erfüllen kann. Und Sie, lieber Stobelberg, hielt ich für den Spion. Vergeben Sie mir doch?" „Unter zwei Bedingungen," erwiderte ich ihm, „einmal, daß Sie mir erlauben, Sie recht oft zu begleiten und der Spion Ihres Spions zu sein. Halten Sie mich nicht für indiskret, es ist wahre Teilnahme für Sie und der Wunsch, Ihnen nützlich zu werden. Sodann--teilen Sie mir, wenn es Ihnen anders möglich ist, den Schluß Ihres Abenteuers mit." „Den Schluß?" rief er und lachte bitter. „Den Schluß? Ich wünschte, es schlösse sich, könnte es auch nur mit meinem Leben schließen. Doch kommen Sie, wir wollen unter jene Arkaden gehen. Die Künstler kommen um diese Zeit hierher, wir könnten nicht ungestört reden; wer weiß, ob man, nicht einen von ihnen zu meinem Wächter ersehen hat." * * * * * Ich folgte Otto v. S.--so hieß der junge Mann--unter die Arkaden. Er legte seinen Arm in den meinigen; wir gingen eine Weile schweigend auf und ab; er, schien mehr nachdenklich als zerstreut. „Es ist etwas, was mir Vertrauen zu Ihnen einflößt," hub er lächelnd an. „Ich habe über den Ausspruch jener Damen in Berlin nach gedacht und finde ihn, so komisch er mir damals vorkam, dennoch bestätigt. Es ist mir in den paar Viertelstunden, die wir beisammen sind, als seien Sie ein Wesen, das ich längst kannte, als seien Sie schon jahrelang mein Freund. Und doch haben Sie nicht jenes Gutmütige, Ehrliche, was an den Deutschen sogleich auffällt, was bewirkt, daß man ihnen gerne vertraut; Sie haben für Ihre Jahre viel Beobachtungsgeist in Ihrem Auge und um Ihren Mund in gewissen Augenblicken einen Zug, der nicht immer das bestätigt, was Sie sagen wollten. Und dennoch fühle ich, daß mir der Zufall viel geschenkt hat, der Sie in jenes Haus führte, ich fühle auch, daß man Ihnen trauen kann, mein Lieber." „Ich halte nichts auf Gesichter und habe durch Erfahrung gelernt, daß sie nicht immer der Spiegel der Seele sind. Es freut mich übrigens, wenn etwas an mir ist, was Ihnen Vertrauen einflößt. Es ist vielleicht der rege Wunsch, Ihnen dienen zu können, was Ihnen einiges Vertrauen gibt?" „Möglich; doch ich bin Ihnen einige Aufschlüsse über mich und mein Abenteuer hier in Rom schuldig. Ich erzählte Ihnen, wie ich mit Luise von Palden bekannt wurde--" „Erlauben Sie, nein! Diesen Namen höre ich zum ersten Male. Sie erzählten uns, daß Sie eine junge Dame in den Lamentationen der Sixtinischen Kapelle kennen lernten, die Ihre ganze Aufmerksamkeit erregte. Sie wurden von ihr mit einem andern verwechselt, Sie gefielen sich in diesem Quiproquo und versetzten sich unwillkürlich so in die Stelle des Liebhabers, daß Sie das Mädchen sogar liebten--" „Und wie liebe ich sie!" rief er bewegt. „Sie suchten die Dame lange vergeblich in Rom, der Zufall führte endlich das schöne Kind im Karneval als Maske an Ihre Seite. Es ist schon dunkel, sie glaubt in Ihnen den Freund zu finden; Sie, lieber Freund, benützen die Gelegenheit noch einmal, diesen Scherz, der Ihnen so angenehm ist, fortzuführen. Sie bringen die Dame auf eine Loge, um das Pferderennen anzusehen. Da erscheint auf einmal der rechte Liebhaber und Sie--erblicken sich. Bis hierher hörte ich damals. Sie können sich denken, wie begierig ich bin, zu hören, wie es Ihnen erging." „Ich gestehe," fuhr Herr v. S. fort, „mir selbst fiel die Ähnlichkeit dieses Mannes mit meinen Zügen, meiner Gestalt, selbst meiner Kleidung überraschend auf. Das letztere hatte wohl die Mode verschuldet, die damals alle junge Welt zwang, sich schwarz zu kleiden. Doch auch für die große Ähnlichkeit unserer Züge, so auffallend sie ist, hat man Beispiele. Sie erinnern sich vielleicht des Falles, der in Frankreich vorkam. Zwei Franzosen trafen in Amerika zusammen. Ihre Ähnlichkeit war so groß, daß man sie gewöhnlich miteinander verwechselte; der eine starb, der andere, ein armer Teufel, wußte sich seine Papiere zu verschaffen, reiste nach Frankreich zurück und lebte mit der Frau des Verstorbenen noch lange Jahre, bis der Betrug an den Tag kam. [Fußnote: Die Möglichkeit einer solchen Verwechslung beweist ein Fall, der sich vor einigen Monaten in Ravensburg im Württembergischen zutrug. Zwei Zwillingsbrüder sahen sich täuschend ähnlich. Der eine tötete einen Mann und floh. Er wußte, daß sein Bruder, der in Bregenz in einem österreichischen Regiment diente, desertiert war. Der Mörder wandte sich dorthin, zeigte sich in der Gegend, ließ sich als Deserteur gefangen nehmen und viermal Spießruten jagen. Er diente einige Zeit in der Stelle seines Bruders, bis der Betrug durch einen Zufall entdeckt wurde.] Der Herr und die Dame schienen nicht weniger überrascht als ich; die letztere errötete, sie gedachte vielleicht jenes Kusses, und es wurde ihr wohl mit einem Male klar, daß es schon an jenem Abend nicht ihr Otto gewesen sei, gegen den sie sich so zärtlich bewiesen. Der Herr mit meinen Gesichtszügen fragte mich in etwas barschem Ton in schlechtem Französisch, wie ich dazu komme, diese Komödie zu spielen. Ich nahm, nicht aus Furcht vor seinem rollenden Auge, sondern im Gefühl, ein Unrecht, vielleicht eine Unschicklichkeit wieder gutmachen zu müssen, alle Artigkeit, die ich in der Welt gelernt hatte, zusammen und bat die Dame, mir einen Scherz zu vergeben, zu dem sie mich selbst verleitet habe. ‚Sie selbst?' rief bei diesen Worten jener Mann, und seine Züge verzogen sich immer mehr zum Zorn. ‚Sie selbst? Es ist ein abgekartetes Spiel, ich sehe schon, ich bin der betrogene Teil. Doch ich will nicht stören.'--Er sagte dies, vor Wut zitternd, indem er sich von seinem Platz entfernen wollte. Luise--o, ich habe sie nie so süß, so wundervoll gesehen wie in jenem Augenblicke, sie schien mit aller Hingebung der Zärtlichkeit an diesem Manne zu hängen; sie ergriff bebend feine Hand, sie rief ihn mit den liebevollsten Tönen; sie beteuerte, sich unschuldig zu wissen, sie rief mich zürnend zum Zeugen auf. Ich war hingerissen von diesem Zauber der Liebe, der sich mir hier zum ersten Male in seiner ganzen Schönheit darstellte. Es ist etwas Schönes um ein Mädchen, das in sanfter, stiller Liebe ist, es ist etwas Heiliges, möchte ich sagen. Aber der Schmerz inniger Liebe, das Zittern zärtlicher Angst und diese Tränen in den blauen Augen, dieses Flüstern der süßesten Namen von den feinen Lippen und diese Röte der Angst und der Beschämung auf den zarten Wangen, es ist ein Bild, irdischer zwar als jenes, aber von einer hinreißenden Gewalt." „Ich kenne das," unterbrach ich diese rednerischen Schilderungen des verliebten Berliners, dem die Dame seines Herzens in jeder neuen Form wieder lieblicher schien, „ich kenne das; so was Heiliges, so was Weinendes, Madonnenartiges, Grazienhaftes, Süßes, Bitterschmerzliches, kurz, so was Klagendes, Anziehendes, ich kenne das; aber wie war es denn mit dem zornigen Patron, der Euer Wohlgeboren so ähnlich?" „Er glaubte ihren Versicherungen nicht; war es Eifersucht, war es sein leidenschaftlicher Zorn, den er nicht bemeistern konnte, er stieß sie zurück, er drohte, sie nie mehr zu sehen. Das Mädchen setzte sich weinend auf ihren Stuhl. Die tobende Freude der Römer an dem Pferderennen, ihr Jauchzen, ihr Rufen standen in schneidendem Kontrast mit dem stillen Schmerz dieses Engels. Ich fühlte inniges Mitleid mit ihr, ich fühlte mich tief verletzt, daß ein Mann eine Dame, ein Liebender die Geliebte so schnöde beleidigen könne. ‚Mein Herr,' sagte ich, ‚das Wort eines Mannes von Ehre kann Sie vielleicht überzeugen, daß die Schuld dieser Szene allein auf mir ruht.' ‚Eines Mannes von Ehre?' rief er, höhnisch lachend; ‚so kann sich jeder Tropf nennen.' Jetzt glaubte ich die Formen der gesellschaftlichen Höflichkeit nicht weiter beobachten zu müssen. Ich gab ihm ein wohlbekanntes Zeichen, flüsterte ihm meinen Namen, die Nummer meines Hauses und die Straße zu, in welcher ich wohnte, und verließ ihn. Es waren widerstreitende Gefühle, die in meiner Brust erwachten, als ich zu Haus über diesen Vorfall nachdachte. Ich mußte mir gestehen, daß ich unbesonnen, töricht gehandelt hatte, die Rolle eines andern bei diesem Mädchen zu übernehmen. Es ist wahr, der Zufall war so überraschend, die Gelegenheit so lockend, ihre Erscheinung so reizend, so anziehend, daß wohl keiner der Versuchung widerstanden hätte. Aber mußte mich nicht schon der Gedanke zurückschrecken, daß es ihr bei dem Geliebten schaden könnte, traf er uns beide zusammen. In welch ungünstigem Lichte mußte ich, mußte auch sie ihm erscheinen! Und doch--wo ist der Mensch, der nicht in einem solchen Falle sich vor sich selbst zu entschuldigen wüßte? Ich fühlte, daß ich dieses unbekannte, reizende Wesen liebe, und wie leicht entschuldigt Liebe! Und weil ich sie liebte, haßte ich den begünstigten Mann. Er war ein Barbar in meinen Augen. Wie konnte er die Geliebte so grausam behandeln? Wie durfte er, wenn er sie wahrhaft liebte, an ihrer Tugend zweifeln, und wer, der jemals in dieses treue, seelenvolle Auge gesehen, wer konnte an der Reinheit dieses Engels zweifeln? Am Morgen nach dieser Begebenheit bekam ich einen italienischen, schlecht geschriebenen Brief; er enthielt die Bitte einer Signora Maria Campoco, dem Überbringer des Briefes in ihr Haus zu folgen, wo sie mir etwas Wichtiges zu sagen habe. Ich kannte keine Dame dieses Namens, ich fragte den Diener nach der Straße, er nannte mir eine, von welcher ich nie gehört hatte. Eine Ahnung sagte mir übrigens, dieser Brief könnte mit meinem Abenteuer von gestern zusammenhängen; ich entschloß mich, zu folgen. Der Diener führte mich durch viele Straßen in eine Gegend der Stadt, die mir völlig unbekannt war. Er bog endlich in eine kleine Seitenstraße; ein Brunnen, eine Madonna von Stein fiel mir ins Auge, es war kein Zweifel, ich befand mich an dem Haus, wohin ich Luise aus den Lamentationen begleitet hatte. Es war ein kleines, unscheinbares Haus, dessen Türe der Diener aufschloß; über einen finstern Gang, eine noch dunklere Treppe brachte er mich in ein Zimmer, dessen Eleganz nicht mit dem übrigen Ansehen des Hauses übereinstimmte. Nachdem ich eine Weile gewartet hatte, erscholl das Kläffen vieler Hunde, die Türe öffnete sich--aber nicht meine Schöne, sondern eine kleine, wohlbeleibte, ältliche Frau trat, umgeben von einer Schar kleiner Hunde, ins Zimmer. Es dauerte ziemlich lange; bis Tasso, Ariosto, Dante, Alfieri; und wie die Kläffer alle hießen, über den Anblick eines fremden Mannes beruhigt waren und die kleine Dame endlich zum Wort kommen konnte. Sie sagte mir sehr höflich, sie habe mich rufen lassen, um wegen einer Angelegenheit ihrer Nichte, Luise von Palden, mit mir zu sprechen. Das Verlangen, das schöne Kind wiederzusehen, mich bei ihr selbst zu entschuldigen, gab mir eine Notlüge ein; ich fragte sie in so miserablem Italienisch als mir nur möglich war, ob sie Französisch oder Deutsch verstehe. Sie verneinte es, ich zuckte die Achseln und gab ihr mehr durch Zeichen als Worte zu verstehen, daß ich der italienischen Sprache durchaus nicht mächtig sei. Sie besann sich eine Weile, sagte dann, ich könnte in i h r e r G e g e n w a r t mit ihrer Nichte sprechen, und entfernte sich. Wie schlug mein Herz, von Erwartung, von Liebe bewegt! Wie beschämt fühlte ich mich, in ihren Augen als ein Nichtswürdiger zu scheinen, der ihren Irrtum auf so indiskrete Art benützte! Die hündische Leibwache der Signora verkündete, daß sie nahe. Ich fühlte seit langer Zeit zum ersten Male eine Verlegenheit, ein Beben; ich fühlte, wie ich errötete, jene Sicherheit des Benehmens, die mich jahrelang begleitet hatte, wollte mich in diesem Augenblicke verlassen. Sie kam; sie dünkte mir in dem einfachen, reizenden Negligé lieblicher als je, und ihre Verwirrung, als sie mich sah, der Unmut, den ich in ihren Augen zu lesen glaubte, vermochte ihre Anmut nicht zu schwächen. ‚Mein Herr! Es ist eine sonderbare Begebenheit, die Sie in dieses Haus führt,' sprach sie mit jenen klangvollen Tönen, die ich so gerne hörte; ‚Sie müssen selbst gestehen,' setzte sie hinzu, aber sei es, daß die Erinnerung an jenen Abend sie zu unangenehm berührte, sei es, daß sie einem meiner Blicke begegnete, die vielleicht mehr als Ehrfurcht ausdrückten, sie schlug die Augen nieder, errötete aufs neue und schwieg. Ich faßte mich, ich suchte mich zu entschuldigen, so gut es ging; ich erzählte ihr, wie ich sie hilflos und in Ohnmacht in der Kirche gefunden, wie ich ihren Irrtum nicht habe berichtigen können, aus Furcht, sie möchte meine Begleitung ablehnen, die ihr in ihrem damaligen Zustande so notwendig war. Meine zweite Unbesonnenheit schob ich auf die Maskenfreiheit des Karnevals; ich suchte einen Scherz daraus zu machen, ich behauptete, es sei an diesem Abend erlaubt, jede Maske vorzunehmen, und so habe ich die ihres Freundes vorgenommen. Ich glaubte, sagte ich, in diesen Scherz um so eher eingehen zu dürfen, da wir Landsleute sind und die Deutschen in Rom als Kinder e i n e r Heimat nur e i n e große Familie sein sollten." „Eine gefährliche Verwandtschaft," unterbrach ich den jungen Berliner, indem ich mich im stillen über seine jesuitische Logik freute. „Wie? brachte die Dame nicht das _Corpus juris_ und den------gegen Sie in Anwendung? In Schwaben möchte zur Not ein solches Verwandtschaftssystem gelten oder bei den Juden, welche Herren und Knechte, Norden und Süden, ‚unsere Leute' nennen; aber Deutschland? Bedenken Sie, daß es in zweiunddreißig Staaten geteilt ist; wo ist da ein Verwandtschaftsband möglich? Wenn sie sich im Himmel oder in der Hölle treffen, so heißen sie nur Österreicher, Preußen, Hechinger und fürstlich reußische Landeskinder!" „Luise mochte auch so denken," fuhr er fort. „Doch nötigte ihr meine Deduktion ein Lächeln ab; es schien ihr angenehm, über diese Punkte so leicht weggehen zu können. Sie klagte sich selbst an, diesen Irrtum veranlaßt zu haben, sie vergab, sie erlaubte mir, ihre schöne Hand zu küssen. Doch ihre Blicke werden wieder düster. Sie sagte, wie sie nur zu deutlich bemerkt habe, daß ich tief beleidigt weggegangen sei, daß dieser Streit noch eine gefährlichere Folge haben könne. Ihr Auge füllte sich mit Tränen, als sie dies sagte. Sie beschwor mich, ihrem Freund zu vergeben, sie suchte ihn zu entschuldigen, ihn, der sie selbst so tief beleidigt hatte; sie sprach mit so zärtlicher Wärme für den Mann, der so ganz vergessen hatte, daß die wahre Liebe glauben und vertrauen müsse, der so niedrig war, dieser reinen Seele gegenüber gemeine Eifersucht zu zeigen. Ich wäre glücklich, selig gewesen, hätte dieses Mädchen s o von mir gesprochen! Ich fragte sie, ob sie in seinem Auftrag mir dieses sage. Sie war betreten, sie antwortete, daß sie gewiß wisse, daß es ihm leid sei, mir jene Worte gesagt zu haben; ich versprach, wenn er mir dieses selbst sagen werde, nicht mehr an die Sache zu denken. Wie heiter war sie jetzt! Sie scherzte über ihren Irrtum, sie verglich meine Züge mit denen ihres Freundes, sie glaubte, große Ähnlichkeit zu finden, und doch schien es ihr unbegreiflich, wie sie nicht an meinen Augen, meiner Stimme, an meinem ganzen Wesen ihren Mißgriff erkannt habe. Sie rief ihrer Tante zu, daß sie ihren Zweck vollkommen erreicht habe. Signora Campoco, die während der ganzen Szene am Fenster gesessen und bald die Leute auf der Straße, bald ihre Hündchen, bald uns betrachtet hatte, kam freundlich zu mir, dankte für meine Gefälligkeit, ihr Haus besucht zu haben, und bemerkte, sie hätte nie geglaubt, daß unsere barbarische Sprache so wohltönend gesprochen werden könne. Sie sehen, ich hatte jetzt nichts mehr in diesem Hause zu tun; so gerne ich noch ein Stündchen mit Fräulein von Palden geplaudert hätte, so neugierig ich war, ihre Verhältnisse in Deutschland und ihre Lage in Rom zu erfahren,--der Anstand forderte, daß ich Abschied nahm, mit dem unglücklichen Gefühle Abschied nahm, diese Schwelle nie mehr betreten zu können. Signora, sie hätte sich vielleicht gekreuzt, hätte sie gewußt, daß ein Ketzer vor ihr stehe, Signora empfahl mich der Gnade der heiligen Jungfrau, und Luise reichte mir traulich die Hand zum Scheiden. Ich fragte sie noch, wie der Herr heiße, mit welchem ich das Glück gehabt habe, verwechselt zu werden. Sie errötete und sagte: ‚Er will zwar hier nicht gekannt sein und so zurückgezogen als möglich leben; doch warum sollte ich Ihnen seinen Namen verhehlen? Ich möchte so gerne, daß Sie Freunde würden. Er heißt------und wohnt------'." So „etwas breit nach Art der lieben Jugend" hatte mir der junge Mann den weiteren Verlauf seines Abenteuers erzählt; ich hörte ihm gerne zu, obgleich nichts peinlicher für mich ist, als eine lamentable Liebesgeschichte recht lang und gehörig breit erzählen zu hören; aber interessant war mir dabei die Art, wie er mir erzählte. Sein ausdrucksvolles Auge schien die Glut seiner Gefühle widerzustrahlen, seine Züge nahmen den Charakter düsterer Wehmut an, wenn er sich unglücklich fühlte, und ein angenehmes Lächeln erheiterte sie, wenn er mir die Reize der jungen Dame zu beschreiben suchte. Plötzlich, als er mir eben erzählte, wie er das Haus der Signora verlassen habe, drückte er meinen Arm fester und brach, in einen kleinen Fluch aus. „So muß der Teufel diesen Pfaffen doch überall haben!" rief er und wandte sich unmutig um. Ich war erstaunt, welchen Pfaffen sollte ich denn überall haben? Ich fragte ihn, was ihn so aufbringen könne. „Sehen Sie nicht hin, sonst müssen wir grüßen," gab er mir zur Antwort, „ich kann ihn nicht ansehen, den Jesuiten." Ich stellte mich, als befolge ich treulich seinen Befehl, doch konnte ich nicht umhin, einen Seitenblick in die Straße zu werfen, und sah wirklich ein höchst ergötzliches Schauspiel. Die Straße herauf kam ein hoher Prälat der Kirche, der Kardinal Rocco, ein Mann, der schon längst als einer der zweiten Klasse mit dem Prädikat „g u t" auf meinen Tafeln verzeichnet ist. Eine große, majestätische Gestalt mit stolzer Würde; sein weißes Haar, von einem einfachen, roten Käppchen bedeckt, stach sonderbar ab gegen ein Gesicht, das man eigentlich reich nennen konnte. Gewölbte Brauen, große Augen, eine Adlernase, die Unterlippe etwas übermütig gezogen, das Kinn und die Wangen voll und kräftig. Über das rollende Untergewand trug er einen Talar, dessen eines Ende er in malerischen Falten über den Arm gelegt hatte; das andere Ende hielt, in einiger Entfernung hinter ihm herschleichend, sein Diener, ebenfalls ein Mönch, ein dürres, bleiches Geschöpf, dessen tückische Augen nach allen Seiten spähten, ob Seine Eminenz von den Gläubigen ehrfurchtsvoll, wie es sich gebührt, begrüßt würden. Der Gang des Kardinals war der Gang eines Siegers, und eine solche Erscheinung in diesen Straßen erinnerte nur zu leicht an die Senatoren der „ewigen Stadt". „Sehen Sie, wie er hingeht, dieser Pharisäer," flüsterte der junge Mann, mit den Zähnen knirschend. „Sehen Sie, wie der Pöbel sich zum Handkuß drängt, mit welcher Würde, mit welcher Grazie er seinen Segen erteilt. Theaterpossen! wenn diese Leute wüßten, was ich von ihm weiß, sie würden diesem Pharisäer, diesem Verfälscher des Gesetzes die Insignien seiner Würde vom Leibe reißen, oder sie wären wert, von einem Türken beherrscht zu werden." „Was bringt Sie so auf, verehrter Freund? Wer ist dieser Ehrenmann? Was hat er Ihnen zuleid getan? Hängt er mit Ihren Abenteuern zusammen?" Ich mußte lange fragen, bis er mich hörte; denn er schaute mit durchbohrenden Blicken der Eminenz nach und murmelte Verwünschungen wie ein Zauberer. „Ob ich ihn kenne? Ob er mir etwas zuleid getan? O! dieser Mensch hat ein Leben vergiftet, ein Herz zu Boden getreten, das--doch Sie werden mehr von ihm hören; es ist der Kardinal Rocco, der Satan ist nicht schwärzer als er; mit seinem roten Hut deckt er alle Sünden zu; aber trotzdem, daß er geweiht ist, wird ihn dennoch der Teufel holen!" Da hat es gute Wege, dachte ich; Nro. 2, gute Sorte! Doch was konnte dieser Berliner gegen Rocco haben? Unmöglich konnte ich glauben, daß sein Protestantismus so tief gehe, daß er jeden, der violette Strümpfe trug, in die Hölle wünschen mußte. Er hatte sich wieder gesammelt. „Vergeben Sie diese Hitze; Sie werden mir einst recht geben, so zu urteilen, wenn ich Sie erst mit dem Treiben dieses Menschen bekannt mache. Doch jetzt noch einiges zum Verständnis meines Abenteuers. Die Geschichte mit--war bald abgetan. Er schickte einen Franzosen zu mir, der mir erklärte, daß jener sich in mir geirrt habe und um Verzeihung bitte. Durch ihn erfuhr ich auch, daß Luisens Geliebter früher Offizier, und zwar in ...schen Diensten gewesen sei. Um diese Zeit kam die Schwester des sächsischen Gesandten nach Rom, sich einige Zeit mit ihrer Familie bei ihrem Bruder aufzuhalten. Ich war am ersten Abend ihres Aufenthaltes zufällig zugegen, und--stellen Sie sich einmal mein Erstaunen vor, als ich hörte, wie sie eine andere Dame fragte, ob nicht ein Fräulein von Palden hier lebe. Ich wandte mich unwillkürlich ab, um nicht dem ganzen Kreise mein Erröten, mein Entzücken zu zeigen; es war mir etwas so Neues, so Schönes, Luisens Namen aus einem fremden Munde zu hören. Jedoch keine der anwesenden Damen wollte von ihr wissen, und ich fühlte mich nicht berufen, unaufgefordert mein Geheimnis mitzuteilen. Deutsche, besonders Frauen, pflegen immer großen Anteil an Landsleuten zu nehmen; es konnte daher nicht anders sein, als daß man seine Verwunderung laut darüber aussprach, daß ein deutsches Fräulein in Rom lebe, die auch nicht einem von allen bekannt sein sollte. Wer ist sie? Ist sie schön? Wie kommt sie nach Rom? fragte, man einstimmig, und wie lauschte ich, wie pochte mein Herz, endlich über das interessante Wesen etwas zu hören. Sie erzählte, wie sie in .....th Luise kennen gelernt, die damals durch ihr schönes Äußere, durch ihre Liebenswürdigkeit, ihren Verstand die ganze Stadt beschäftigt, ihre näheren Bekannten bezaubert habe. Umso auffallender sei auf einmal ein Liebeshandel gewesen, der sich zwischen einem Offizier, einem bürgerlichen Subjekt, und der Tochter des Geheimen Rats von Palden entspann. Dieser Mensch habe außer seiner schönen Figur und einem blühenden Gesicht keine Vorzüge, nicht einmal gute Sitten gehabt. Dem Vater sei diese Geschichte zu ernstlich geworden, er habe den Offizier zu einem Regimente zu versetzen gewußt, das mit einem Teil der französischen Armee nach Spanien bestimmt war. Man habe sich in ....th allgemein gefreut über die Art, wie sich Fräulein von Palden in diese Wendung fügte; doch bald erfuhr man, daß die Verbindung mit dem Offizier nichts weniger als abgebrochen sei, sondern durch Armeekuriere und dergleichen Briefe gewechselt würden. Es vergingen so beinahe zwei Jahre. Die Armee kehrte zurück, doch nicht mit ihr jener Offizier. Man sagte in Gesellschaften und in Luisens Nähe, er sei wegen einer Ehrensache aus dem Dienst getreten. Seine Kameraden schwiegen hartnäckig hierüber, und doch gab es einige Stimmen im Publikum, die von einer vorteilhaften Heirat, andere, die von einer Entführung oder von beidem sprachen, kurz, man bemerkte, daß Herr ..., so hieß der Offizier, seiner Dame ungetreu geworden sei. Um diese Zeit starb der alte Herr von Palden. Seine erste Frau war eine Römerin; das Fräulein entschloß sich auf einmal zu großer Verwunderung der Stadt ....th, zu ihren Verwandten nach Rom zu ziehen. So viel wußte die Schwester des Gesandten von Luise. Es war mir genug, um ihr Verhältnis zu .... ganz in der Ordnung zu finden; nur war es mir unbegreiflich, was ihn bewogen haben könnte, nach Rom zu gehen; oder kam er erst nach ihr hierher? Und warum heiraten sie sich nicht, da doch ihre Hand jetzt frei und von niemand abhängig ist? Ich quälte mich mit diesen Gedanken. Ich hätte so gerne mehr und immer mehr von dem holden Kind erfahren; ich fühlte lebhaft den Wunsch, sie wiederzusehen, zu sprechen; ich wollte ja nicht geliebt werden, nur sehen, nur lieben wollte ich sie. Da fiel mir bei, wie ich dies so leicht möglich machen könnte. Ich durfte ja nur der Schwester des Gesandten sagen, wo sich Luise aufhalte, und dann konnte ich gewiß sein, sie schon in den nächsten Tagen im Hotel des Gesandten zu sehen. Ich tat dies, und mein Wunsch wurde erfüllt." Ein Bekannter des Herrn v. S. gesellte sich hier zu uns und unterbrach zu meinem großen Ärger die Erzählung. Ich machte noch einige Gänge mit ihnen unter den Arkaden; als ich aber sah, daß der Bekannte sich nicht entfernen wolle, fragte ich den Berliner nach seiner Wohnung und ging mit dem Vorsatz, ihn am nächsten Morgen zu besuchen. Ich muß gestehen, ich fing an, die Geschichte des jungen Mannes weniger anziehend zu finden, weil sie mir in eine gewöhnliche Liebesgeschichte auszuarten schien. Doch zwei Umstände waren es, die mir von neuem wieder Interesse einflößten und mich bestimmten, seine Abenteuer zu hören. Ich erinnerte mich nämlich, wie überraschend sein Anblick, sein ganzes Wesen in Berlin auf mich gewirkt hatten. Es war nicht der gewöhnliche Kummer der Liebe, wie er sich bei jedem Amoroso vom Mühlendamm ausspricht; es war ein Gram, ein tieferes Leiden, das mir um so anziehender dünkte, als es nur ganz unmerklich und leise durch jene Hülle schimmerte, womit die gesellschaftlichen Formen die weinende Seele umgeben. Er schien ein Unglück zu kennen, zu teilen, das ihn unausgesetzt beschäftigte, zu welchem ihn die Erinnerung sogar mitten in einem ästhetischen Tee zurückführte. Das zweite, das mich zu dem jungen Mann und seinem Abenteuer zog, war die Szene, die ich morgens vor der Peterskirche beobachtet hatte. Ich hatte dort bemerkt, daß er sie mit Sehnsucht erwarte; sie war gekommen, aber es schien kein fröhliches Zusammentreffen. Sie schien ihn etwas mit ihren Blicken zu fragen, das er nie beantworten, sie schien etwas zu verlangen, das er nicht erfüllen konnte; wie schwer mußte es ihm werden, in der Ferne zu stehen und dem holden Mädchen durch keine Silbe zu antworten! Er ließ sie gehen, wie sie gekommen, aber dann sandte er ihr Blicke voll zärtlicher Liebe nach. Warum sagte er ihr nicht auf der Stelle, wie er sie liebe? Welche Gewalt mußte sie über ihn ausüben, um ihn in diese engen Schranken einer beinahe blöden Bescheidenheit zurückzuweisen? Wieviel es s i e koste, sah ich an ihrem Auge, in welchem eine Träne perlte, als sie weiter ging. Diese Fragen drängten sich mir auf, als ich über den jungen Mann und die rätselhafte Dame nachdachte. Wo nicht ein blindes Fatum waltet und ein Uhrwerk die Gedanken der Sterblichen treibt, da lernt keiner aus, sei er Gott oder Teufel. Wohl sagt der Mensch, der kleinlich nur auf die Resultate seiner Geschichte sieht: „Es wiederholt sich alles im Leben;" aber wie es sich wiederholt, wie der endliche Geist in seiner kurzen Spanne Zeit wächst und ringt und strebt und gegen die alte Notwendigkeit ankämpft, das ist ein Schauspiel, das sich täglich mit ewig neuem Reize wiederholt; und das Auge, das von Weltintrigen gesättigt, vom Anschauen der Kämpfe großer Massen ermüdet ist, senkt sich gerne abwärts zum kleineren Treiben des einzelnen. Drum möge es keinem jener verehrlichen Leute, für die ich meine Memoiren niederschreibe, kleinlich dünken, daß ich in Rom, wo so unendlich viel Stoff zur Intrige, ein so großer Raum zu einem diabolischen Festtagsspiel ist, mit einer Liebeshistorie mich befasse.-- Am Abend dieses Tages fuhr ich mit einigen griechischen Kaufleuten auf der Tiber. Wir hatten eine der größeren Barken bestiegen und die freien Sitze des Vorderteils eingenommen, weil das Zelt in der Mitte, wie uns die Schiffer sagten, schon besetzt war. Der Abend war schwül und wirkte selbst mitten im Fluß so drückend und ermattend auf die Menschen, daß unser Gespräch nach und nach verstummte. Ich vernahm jetzt ein halblautes Reden und Streiten im Innern des Zeltes; ich setzte mich ganz nahe hin und lauschte. Es waren zwei Männer und eine Frau, soviel ich aus ihren Stimmen schließen konnte. Sie sprachen aber etwas verwirrt und gebrochen; der eine hatte gutes, wohltönendes Italienisch, er sprach langsam und mit vieler Salbung; die Dame mischte unter sechs italienische Worte immer zwei spanische und ein französisches, der andere Mann, der wenig, aber schnell und mit Leidenschaft sprach, hatte jene murmelnde, undeutliche Aussprache, an welcher man in Italien sogleich den Deutschen oder Engländer erkennt. Ein kleiner Riß in der Gardine des Zeltes ließ mich die kleine Gesellschaft überschauen; und, o Wunder! Jene salbungsvolle Rede entströmte dem Kardinal Rocco! Ihm gegenüber saß eine Dame, schon über die erste Blüte hinaus, aber noch immer schön zu nennen. Ihre beweglichen schwarzen Augen, ihre vollen Lippen, ihr etwas nachlässiges Kostüm, dessen Schuld der schwüle Abend tragen mußte, zeigten, daß sie mit den ersten Dreißig die Lust zum Leben noch nicht verloren habe. An ihrer Seite glaubte ich auf den ersten, flüchtigen Anblick Otto v. S. zu erkennen. Doch die Züge des Mannes im Zelte waren düsterer, sein Auge blickte nicht so offen und frei wie das des Berliners,--ich war keinen Augenblick im Zweifel, es mußte sein Doppelgänger, ...., sein. Aber wie! Die Dame war nicht Luise von Palden; durfte dieser Mann so traulich neben einer andern sitzen, ohne dieselbe Schuld wirklich zu tragen, die er der Geliebten aufbürden wollte! „Gilt dir denn meine Liebe, meine Zärtlichkeit gar nichts?" hörte ich die Dame sagen. „Nichts meine Aufopferung, nichts meine Leiden, nichts meine Schande, der ich mich um deinetwillen aussetzte? Ein Wort, ein einziges Wort kann uns glücklich machen. Du sagst immer morgen, morgen! Es ist jetzt Abend, warum willst du morgen doch wieder nicht?" „Mein Sohn," sprach der Kardinal, „ich will nichts davon sagen, daß Euer langes Zögern, Eure fortwährende Weigerung für unsere heilige Kirche Beleidigung ist. Ich weiß zwar wohl, nicht Ihr seid es, der diese Zögerungen verschuldet; der Teufel, der leibhaftige Satan spricht aus Euch; es ist das letzte Zucken Eurer ketzerischen Irrtümer, was Euch die Wahrheit nicht sehen läßt; aber beim heiligen Kreuz, den Nägeln und der heiligen Erde beschwöre ich Euch, folget mir, lasset Euch aufnehmen in den heiligen Schoß der Kirche zur, Verherrlichung Gottes." Ha! dachte ich, den haben sie gerade recht in den Krallen. Ein schönes Weib, ein Kardinal Rocco und ein paar Gewissensbisse, wie der Herr im Zelte zu haben schien,--da kann es nicht fehlen!--Er seufzte, er blickte bald die Dame, bald den Priester mit unmutigen Blicken an. „Ich will ja alles tun, ins Teufels Namen, alles tun," sagt er, „mein Leben ist ohnedies schon verschuldet und vergiftet; aber wozu diese sonderbare Prozedur? Warum soll ich vor der Welt zum Narren werden, um die Ehre von Donna Ines wieder herzustellen?" „Mein Sohn, mein Sohn! Wie frevelt Ihr! Zum Narren werden, sagt Ihr? O, Ihr verstockter Ketzer! Ihr alle seid von eurer Taufe an, wo der Satan zu Gevatter steht, Renegaten, Abtrünnige! Es ist also nur eine Rückkehr, kein Übertritt, keine Ableugnung eines früheren Glaubens. Ihr hattet ja vorher keinen Glauben. Ihr werdet doch nicht die Ketzerei so nennen wollen, die der Erzketzer in Wittenberg aus den Fetzen, die er dem Heiligtum gestohlen, zusammenstückelte?" „Lasset mich, Eminenz! Es ist einmal gegen meine Überzeugung. Ich müßte mich ja vor ganz Deutschland schämen." „O verstockter Ketzer! Schämen, sagt Ihr? Hat sich der liebe Mann, der Herr von Haller, auch geschämt? Schämen! Wie ein Heiliger würdet Ihr dastehen. Braucht sich ein Heiliger zu schämen? Hat sich der treffliche Hohenlohe geschämt, umgeben von Ketzern, seine Wunder zu verrichten? Es sei gegen Eure Überzeugung, saget Ihr? Da sieht man wieder den Deutschen, nicht wahr, Donna Ines, den ehrlichen Deutschen! Zu was denn immer Überzeugung? Das ist ja gerade das Wunderbare am Glauben, daß er von selbst wirkt ohne Überzeugung. Gesetzt, Ihr wäret krank, mein lieber Freund; man schickt Euch den ersten Arzt der Christenheit. Ihr seid nicht überzeugt, daß er der alleinige wahre Arzt ist; aber Ihr laßt Euch gefallen, seine Arzneien einzunehmen, und siehe, sie wirken auf Euren Körper ohne Überzeugung, gerade wie uns er Glaube auf die Seele." „Otto," sprach Dame Ines mit schmelzenden Tönen, „teurer Otto! Siehe, wenn mich der heilige Mann hier nicht absolviert und beruhigt hätte, ich müßte ja schon längst verzweifelt sein, einen Ketzer so innig zu lieben! Wie leicht wird es dir gemacht, einer der Unsrigen zu sein und dann ein Weib auf ewig glücklich zu machen, das dir alles opferte! Und bedenke die schöne Villa an der Tiber und das köstliche Haus neben dem Palast Seiner Eminenz. Dies alles will uns der heilige Vater zur Ausstattung schenken. Bist du nicht gerührt von so vieler Liebe?" „Nicht verhehlen kann ich es Euch, mein Sohn," fuhr der beredte Mann mit dem roten Hute fort, „nicht verhehlen kann ich es Euch, daß man im Lateran noch heute von Euch sprach, daß es sogar Seiner Heiligkeit selbst auffällt, daß Ihr so lange zögert. Bis über acht Tage naht ein großes Fest heran; welch herrliche Gelegenheit, etwas zu Gottes Ehre zu tun, bietet sich Euch dar!" „Wozu doch diese Öffentlichkeit?" fragte Otto. „Ich hasse dieses Rühmen und Ausschreien in alle Welt. Lasset mich still in einer Kapelle die Zeremonie verrichten. Was nützt es Euch, ob ich laut und offen das Opfer bringe! O Luise; Luise! es tötet sie, wenn sie es hört!" „Elender!" rief die Dame, indem sie in Tränen ausbrach. „Sind das deine Schwüre? Du falsches Herz! Ich habe dir alles, alles geopfert, und so kannst du vergelten? O Barbar! Gehe hin zu ihr, lege dich nieder in ihre Fesseln; aber wisse, daß ich mich in die Tiber stürze! Über meine armen Würmer, meine unglücklichen Kinder, mag sich Gott erbarmen!" „Kinder, Kinder! Meine fromme Tochter, mein lieber, aber verblendeter Sohn! Wozu dieser Skandal, diese Szene auf dem Schiffe? Stillet Eure Tränen, schöne Frau, es wird noch alles gut werden; kommet, ich will einen väterlichen Kuß auf Eure Augen drücken, so. Und Ihr, wisset Ihr nicht, daß Ihr Euch versündiget gegen Donna Ines! Was wollet Ihr nur immer wieder mit der Ketzerin, die einst Eure Sinne zu bestricken wußte? Haben wir Euch nicht Beweise genug gegeben, daß sie in einem strafwürdigen Verhältnis zu dem Teufel ist, der Eure Gestalt und Sprache angenommen hat?" „Welch einfältiges Märchen!" rief der junge Mann. „Was wollet Ihr auch den Teufel ins Spiel ziehen? Ein ehrlicher Berliner ist er, ein Tropf, dem ich das Mädchen nicht gönnen mag, wenn sie mich auch zehnmal betrog!" „Mein Sohn, die heilige Jungfrau schütze uns, aber der Satan selbst ist es. Hat es nicht letzthin meinem dienenden Frater Piccolo geträumt, der Teufel gehe hier in der heiligen Stadt spazieren? Alle seine Träume sind noch eingetroffen. Der deutsche Baron ist der höllische Geist selbst. Wer es aber auch sei, sie hat Euch betrogen. Hat nicht die fromme Frau Maria Campoco Euch, selbst dieses Geständnis über ihre Nichte gemacht? Was wollet Ihr nur auf die treulose Ketzerin Rücksicht nehmen!--Und schaut, was ich Euch hier mitgebracht habe," fuhr Seine Eminenz fort, indem sie ein großes Papier entfaltete. „Sehet, wie ich Wort halte: Ich habe Euch versprochen, die Liste aller derer mitzubringen, welche in Eurem Deutschland öffentliche Ketzer, insgeheim aber gute Christen der wahren Kirche sind. Da, leset!" Der junge Mann las und staunte. Er sah den Kardinal fragend an, ob er denn wirklich dieser Schrift trauen dürfe. Donna Ines, welche bemerkte, welch günstigen Eindruck diese Liste mache, zog die Hand des heiligen Mannes an den Mund und bedeckte sie mit feurigen Küssen der Andacht. „Nicht wahr," fuhr Rocco fort, „da stehen wohlklingende Namen? Professoren, Grafen, Fürsten sogar. Freilich, diese Leute können nicht so öffentlich sich erklären, Freundchen. Die Politik, die Rücksicht auf ihre ketzerischen Untertanen erlaubt das nicht. Aber im Herzen, im H e r z e n sind sie unser. Da, dieser Nr. 8, ich kann eure barbarischen Namen nicht aussprechen, der wird sich sogar öffentlich erklären und seine Irrtümer abschwören. Der da oben wird auch einen tüchtigen Schritt vorwärts tun. O! und bedenket, was erst in Frankreich, selbst in England für uns getan wird, bald, vielleicht erlebe ich es noch, bald werdet ihr alle samt und sonders zu uns zurückgekehrt sein. Wie herrlich muß dann ein Name, wie der Eurige, leuchten, der nicht mit der Menge, sondern lange zuvor auf unsere heiligen Tafeln verzeichnet wurde!" „Aber, o Himmel, Kardinal! Ich bin ja schlechter als die ganze Liste dieser Heimlichen. Ihr selbst wisset, daß, wenn ich zu Eurer Kirche abfalle, es nur geschieht, um den ewigen Klagen der Donna Ines zu entgehen. Diese Heimlichen haben keinen Vorteil bei ihrer Heimlichkeit. Sie gelten von außen für echte Lutheraner, und was haben sie davon, daß sie von innen römisch sind?" „O Einfalt! Es ist gut, daß Ihr nicht die ketzerische Theologie studiert habt. Ihr wäret durch das Examen gefallen! Was ist denn das Schöne an unserer Kirche? He? Nicht nur, daß sie die alleinseligmachende; daß sie gleichsam eine Brandversicherungsanstalt gegen die Hölle, eine Seelenassekuranz gegen den Tod ist; denn schon aus physischen Gründen kann man annehmen, daß keine Seele von den Unserigen lange im Fegefeuer oder gar in der Hölle verweilt, wenn sie auch ohne Beichte abfährt. Antonio Montani hat berechnet, daß im Durchschnitt hundertundzwanzig Millionen Menschen in der Hölle und ebensoviele im Fegefeuer sind. Nun kann man annehmen, daß seit eurer verfluchten Reformation neunzig Millionen Ketzer, zwanzig Millionen Türken und zehn Millionen Juden hinabgefahren sind. Das macht zusammen hundertzwanzig. „O, wie gut haben wir es, hochwürdiger Herr!" sagte Ines mit zauberischem Lächeln. „Ach, Otto! Dich soll ich an jenem Ort wissen, in der Gesellschaft des Teufels und seiner Großmutter? O Gott! es ist nicht möglich!" „Sodann weiter," fuhr der Salbungsvolle fort, „euer Erzketzer in Berlin, der Schleiermacher, nimmt selbst an, daß alle Menschen prädestiniert sind, und zwar so beiläufig die Hälfte zum Bösen. Diese müssen nun eine Art von Seelenwanderung in verschiedenen Stationen des Elends machen, bis sie selig werden, und fangen mit der Hölle an. Der Mann hat vernünftige Gedanken und wäre wert, einst nur ins Fegefeuer zu kommen. Aber das weiß er doch nicht recht. Wenn einer auch zehnmal prädestiniert, zur Hölle plombiert, zum Teufel rekommandiert ist, wir können ihn doch absolvieren und _recta_ in den Himmel schicken. Nun, und wenn man annimmt, daß das Fegefeuer hundertundzwanzig Millionen faßt und darunter hundert Millionen Türken und zwanzig Millionen Ketzer, so ist, weiß Gott, auch dort wenig Raum für eine etwas liederliche Seele." „Ihr wisset, Eminenz, was ich von solchen Berechnungen halte; machet mir doch Eure Sache nicht noch lächerlicher. Eure Seelenassekuranz kann mich nicht locken. Doch ist sie gut fürs Volk, und ich begreife nicht, warum Ihr nicht schon lange ganze Regimenter, Divisionen, ja Armeen, Kavallerie, Infanterie, Artillerie samt dem Generalstab öffentlich verassekuriert habt. Das wäre eine Anstalt _à la_ Mahomed; die Kerls würden sich schlagen wie der Teufel; denn sie wüßten, wenn sie heute erschossen werden, wachen sie morgen im Paradiese auf. Lasset mich lieber noch einen Blick in die Liste werfen, sie ist mir tröstlicher; denn es stehen ganz vernünftige Männer dort." „O daß Ihr nur ein Jahr auf einer deutschen Universität zugebracht hättet! Unsere Agenten geben uns herrliche Berichte; die ketzerische Jugend soll gegenwärtig ganz absonderlich fromm, heilig und mystisch sein. Das Mittelalter, das gute, liebe Mittelalter versetzt sie in diesen liebenswürdigen Schwindel. Sie neigen sich schon ganz zu uns, und lasset nur erst die Jesuiten recht in Deutschland überhandnehmen, dann sollt Ihr erst Wunder sehen! Auch einige brave Männer, Professoren, nehmen sich unserer Sache an. Seht, dieser da, Nr. 172, Signor Crusado, der umhüllt sie mit einem so tiefen symbolischen Dunkel, daß sie bald uns er sind. Wahrlich, der Hofmechanikus Seiner Heiligkeit, der berühmte Signor Carlo Fiorini, hat vollkommen recht. Er hat berechnet, wenn Deutschland einige Grade südlicher läge, wenn ihr eine schönere Natur, ein wenig mehr Sinnlichkeit und Phantasie hättet--die Ketzerei hätte nie aufkommen können, oder ihr wäret wenigstens schon lange wieder zurückgekehrt." Die Barke stieß bei diesen Worten ans Land. Wie gerne hätte ich diesem trefflichen Pfaffen noch länger zugehört, wie er diese deutsche Seele bearbeitete; es war ein schweres Stück Arbeit, ich gestehe es. Ein Mensch ohne Phantasie, der in den Zeremonien nur Zeremonien sieht, der die Tendenz dieser Römer durchschaut, der durch keinen weltlichen Vorteil zu blenden ist; wahrlich, ein solcher ist schwer zu gewinnen. Doch für diesen war mir nicht bange. Ein Kardinal Rocco und ein schönes Weib haben schon andere geangelt als diesen. Der heilige Mann stieg aus; mit Ehrfurcht empfingen die Schiffer seinen Segen, den er mit einer Würde, einem Anstand, würdig eines Fürsten der Kirche, erteilte. Donna Ines folgte. Ich bewunderte, während sie über das Brett ging, ihren feinen, zierlichen Wuchs, die Harmonie in ihren Bewegungen und die Glut, die aus ihren Augen strahlte und den Abend schwül zu machen schien. Sie reichte dem geliebten Ketzer ihre schöne Hand mit so besorgter Zärtlichkeit, mit einem so bedeutungsvollen Lächeln, daß ich im Zweifel war, ob ich mehr seine transmontanische Kälte belächeln oder den Mut bewundern sollte, mit welchem er den geistlichen Lockungen dieser in Liebe aufgelösten Circe widerstand.--Am Ufer hielt ein schöner Wagen. Der dienende Bruder Piccolo, welchem ich im Traum, in Rom spazieren gehend, erschienen war, stand am Schlag und erwartete Seine Eminenz. Es kostete einige Zeit, bis dieser sein Gewand zu gehöriger Wirkung drapiert hatte, dann erst folgte der Frater Piccolo. Der Ketzer und seine Dame schlugen einen Fußpfad ein und gingen der Stadt zu. „Wer sind diese?" fragte ich den Schiffer. „Kennt Ihr den heiligen Mann, den Kardinal Rocco, nicht? O, es ist einer der besten Füße des Heiligen Stuhls! Alle Abende fährt er in meiner Barke auf dem Fluß." „Und die Dame?" „Ha, das ist eine gute Christin," antwortete er mit Feuer. „Sie fährt beinahe immer mit dem Kardinal, zuweilen allein mit ihm, zuweilen mit dem Manne, den Ihr gesehen. Dem traue ich nicht ganz; es ist entweder ein Deutscher oder ein Engländer, und die sind doch Kinder des Teufels." „So? Da sagt Ihr mir etwas Neues; und dieser Mann, ist er ihr Gemahl?" „Bewahre uns die heilige Jungfrau? Ihr Gemahl? Wo denkt Ihr hin? Da würde er nicht so zärtlich mit ihr spazieren fahren. Ich denke, es ist ihr Geliebter." „So ist es," sagte einer der griechischen Kaufleute, „die Dame wohnt nicht weit von mir. Sie lebt allein mit ihren Kindern. Sie sieht niemand bei sich als einige fromme Geistliche und diesen jungen Mann! Er ist ihr Geliebter. Aber sie führen ein Hundeleben zusammen. Man hört sie oft beide weinen und zanken und schreien. Der junge Mann flucht und donnert und jammert mit schrecklicher Stimme, und die Donna weint und klagt, und die Kinder erheben ein Zetergeschrei, daß die Nachbarn zusammenlaufen. Dann stürzt oft der junge Mann verzweifelnd aus dem Haus und will fliehen, aber die Donna setzt ihm mit fliegenden Haaren nach, und die Kinder laufen heulend hinterdrein. Sie faßt ihn unter der Türe am Gewand, sie achtet nicht auf die Menschen, die umherstehen. Sie zieht ihn zurück ins Haus und besänftigt ihn; und dann ist es oft auf viele Tage stille, bis das Wetter von neuem losbricht." „Heilige Jungfrau," rief der Schiffer, „und hat er sie noch nie totgestochen im Zorn?" „Wie Ihr seht, nein!" erwiderte der Grieche. „Aber krank ist sie schon oft geworden, wenn er so greulich raste. Dann lief er schnell zu drei, vier Doktoren, um sie wieder ins Leben zurückzurufen. Es sind doch gute Seelen, diese Deutschen!" So sprachen diese Männer, und ich ging von ihnen in tiefen Gedanken über das, was ich gehört und gesehen hatte. Jenes Wort des jungen Berliners fiel mir wieder bei, der den Kardinal Rocco beschuldigte, ein schönes, gutes Herz gebrochen zu haben. Welches andere Herz konnte dies sein als Luisens? Ich glaubte deutlich zu sehen, daß der Priester den Kapitän der Geliebten entzogen, indem er sie verleumdet, daß er ihn in die Fesseln dieser Donna Ines geschmiedet habe, um ihn für die Kirche zu gewinnen. Aber wie war alles dies geschehen? Wie hatte er diesen Mann aus den Armen seines Mädchens ziehen, von einem Herzen hinwegreißen können, das ihn mit so heißer Glut umfing? Sollten jene Beschuldigungen von Untreue wahr sein, die der Kardinal dem Kapitän einflüsterte? Hatte sie wirklich den jungen Mann, der ihm so ähnlich sah, vorgezogen? Doch ich wußte ja, wo ich mir Gewißheit verschaffen konnte. Ich beschloß, bei guter Zeit am nächsten Morgen den Berliner wieder aufzusuchen. Herr v. S..... schien mich liebgewonnen zu haben; denn er empfing mich mit Herzlichkeit und einem Wohlwollen, das selbst den Teufel erfreut, wenn er auch schon an dergleichen gewöhnt ist. Ich hatte mir vorgenommen, von meiner gestrigen Fahrt und den Wunderdingen, die ich gehört hatte, noch nichts zu erwähnen, um den Verlauf seiner Geschichte zuvor desto ungestörter zu vernehmen. „Von allem Unglück, das die Erde trägt," fuhr er zu erzählen fort, „scheint mir keines größer, schmerzlicher und rührender als jener stille, tiefe Gram eines Mädchens, das unglücklich liebt oder dessen zartes, glühendes Herz von einem Elenden zur Liebe hingerissen und dann betrogen wird. Der Mann hat Kraft, seinen Gram zu unterdrücken, den Verrat seiner Liebe zu rächen, die gepreßte Brust dem Freunde zu öffnen; das Leben bietet ihm tausend Wege, in Mühe und Arbeit, in weiter Ferne Vergessenheit zu erringen. Aber das Weib?--Der häusliche Kreis ist so enge, so leer. Jene täglich wiederkehrende Ordnung, jene stille Beschäftigung mit tausend kleinen Dingen, der sie sich in der Zeit glücklicher Liebe fröhlich, beinahe unbewußt hingab, wie drückend wird sie, wenn sich an jeden Gegenstand die Erinnerung an ein verlorenes Glück heftet! Wie träge schleicht der Kreislauf der Stunden, wenn nicht mehr die süßen Träume der Zukunft, nicht der Zauber der Hoffnung, nicht die Seligkeit der Erwartung den Minuten Flügel gibt, wenn nicht mehr das von glücklicher Liebe pochende Herz den Schlag der Glocke übertönt! Doch, wozu Sie auf ein Unglück vorbereiten, das Sie nur zu bald erfahren werden? Hören Sie weiter: Mein Wunsch, Luise von Palden im Hause des Gesandten zu sehen, gelang. Schon nach einigen Tagen wurde sie durch seine Schwester dort eingeführt. Sie errötete, als sie mich zum ersten Male dort sah, doch sie schien mich wie einen alten Bekannten dort zu nehmen; es schien sie zu freuen, unter so vielen fremden Männern einen zu wissen, der ihr näher stand. Denn so war es; sei es, daß die Erinnerung an unser sonderbares Abenteuer mich aus einem Fremden zum Bekannten machte, sei es, daß sie gerne zu mir sprach, weil ich die Züge ihres Freundes trug, sie unterschied mich auffallend von allen übrigen Männern, die dieser seltenen Erscheinung huldigten. Sie lächeln, Freund? Ich errate Ihre Gedanken--" „Ich finde, Sie sind zu bescheiden; könnte es nicht auch Ihre eigene Persönlichkeit gewesen sein, was das Fräulein anzog?" „Nein, denken Sie nicht so von diesem himmlischen Geschöpf; ich gestehe, ich war ein Tor, ich machte mir Hoffnung, sie für mich gewinnen zu können; ja, Freund, ich sagte ihr sogar, was ich fürchte--" „Und Sie wurden nicht erhört? Das treue, ehrliche Kind! Und ihr Kapitän lag vielleicht gerade in den Armen einer andern!" Der Berliner stutzte. „Wie? Was wissen Sie?" fragte er betroffen. „Wer hat Ihnen gesagt, daß West noch eine andere liebe?" „Nun, Sie selbst haben mich genug darauf vorbereitet," erwiderte ich; „sagten Sie nicht, daß jener das Mädchen betrog?" „Sie haben recht;--nun, ich wurde lächelnd abgewiesen, abgewiesen auf eine Art, die mich dennoch glücklich, unaussprechlich glücklich machte. Sie war keinen Augenblick ungehalten, sie gestand mir, daß ich ihr als Freund willkommen sei, daß ihr Herz keinem andern mehr gehören könne. Sie sagte mir auch manches von ihren Verhältnissen, was ganz mit dem übereinstimmte, was uns die Schwester des Gesandten erzählte; sie gestand, daß sie nur darum nach Rom gezogen sei, weil den Kapitän seine Verhältnisse hierherriefen; sie gestand, daß er einen Rechtsstreit wegen einer Erbschaft hier habe, daß er, sobald die Sache entschieden sei, vielleicht schon in wenigen Wochen, sie zum Altar führen werde. Etwa eine Woche nach diesem aufrichtigen Geständnis rief mich eines Abends der Gesandte aus dem Salon, in welchem die Gesellschaft versammelt war, zu sich. Es war nichts Seltenes, daß er sich mir in Geschäftssachen mitteilte, weil ich sein Vertrauen auf eine ehrenvolle Art besaß; doch die Zeit war mir auffallend, und es mußte etwas von Wichtigkeit sein, weswegen er mich aus dem Kreis der Damen aufstörte. ‚Kennen Sie einen gewissen Kapitän West?' fragte er, indem er mich mit forschenden Blicken ansah. ‚Ich habe einen Kapitän West flüchtig kennen gelernt,' gab ich ihm zur Antwort. ‚Nun, so flüchtig muß es doch nicht sein,' entgegnete er mir, ‚da Sie ein Duell mit ihm gehabt.' Ich sagte ihm, daß ich Streit mit ihm gehabt wegen einer ziemlich gleichgültigen Sache; es sei aber alles gütlich beigelegt worden. Dennoch war es mir auffällig, woher der Gesandte diesen Streit erfahren hatte, den ich so geheim als möglich hielt, und von welchem Luise in seinem Hause gewiß nichts erwähnt hatte. ‚Wegen einer Dame haben Sie Streit gehabt,' sagte er; ‚doch möchte ich Ihnen raten, solche Händel wegen einer so zweideutigen Person zu vermeiden. Sie wissen selbst, wenn man einmal einen öffentlichen, besonders einen diplomatischen Charakter hat, ist dergleichen in einem fremden Lande wegen der Folgen für beide Teile fatal.' Der Ton, worin dies gesagt wurde, fiel mir auf. Er war sehr ernst, sehr warnend; noch schmerzlicher berührte mich, was er über jene Dame sagte, ‚zweideutige Person'! Und doch saß gerade diese Person als Krone der Gesellschaft in seinem Salon, er selbst, ich hatte es deutlich gesehen, er selbst hatte noch vor einer halben Stunde mit ihr auf eine Art gesprochen, die mich, in dem alten Herrn einen aufrichtigen Bewunderer ihrer Reize und ihres glänzenden Verstandes sehen ließ. Ich konnte eine Bemerkung hierüber nicht unterdrücken; ich bat ihn höflich, aber so fest als möglich, in meiner Gegenwart nicht mehr s o von einer Dame zu sprechen, die ich achte und die einen so entschiedenen Rang in der Gesellschaft einnehme. Ich wolle davon gar nicht reden, daß er selbst sein Haus beschimpfe, wenn er in solchen Ausdrücken von seinen Gästen spreche. Er sah mich verwundert an; er sagte mir, er könne meine Reden nicht begreifen; denn weder behaupte die Dame einen Rang, in der Gesellschaft, die e r sehe, noch habe sie je einen Fuß über seine Schwelle gesetzt. Die Reihe zu erstaunen war jetzt an mir; ich sah, daß hier ein Irrtum vorwalte, und belehrte ihn, daß Fräulein von Palden die Dame sei, um die wir uns schlagen wollten. ‚Verzeihen Sie,' rief er, ‚man sagt mir, Sie haben sich wegen der Geliebten dieses Kapitäns West geschlagen; daher glaubte ich, Ihnen dies sagen zu müssen.' ‚Und wenn dies nun dennoch wäre?' fragte ich. ‚Kennen Sie denn die Geliebte des Kapitäns?' ‚Gott soll mich bewahren;' entgegnete er. ‚Nein, ich glaube, er hat schon selbst genug an seiner Spanierin.' Ich staunte von neuem. ‚Von einer Spanierin sprechen Sie? Wie kommen Sie nur darauf? Ich weiß bestimmt, daß der Kapitän eine deutsche Dame liebt!' ‚Um so schlimmer für das arme Kind in Deutschland,' war seine Antwort; ‚wie die Sachen stehen, scheint man im Lateran ernstlich daran zu denken, den goldenen Quadrupeln der schönen Donna Gehör zu geben und ihre frühere Ehe, weil sie nicht ganz gültig vollzogen war, für nichtig zu erklären. Der Kapitän macht eine gute Partie, aber--jeder Mann von Ehre wird diesen Schritt mißbilligen.' Ich stand wie vom Donner gerührt vor dem alten Mann; entweder lag hier eine Verwechslung der Namen und Personen zugrunde, oder es war ein schreckliches Geheimnis und der Kapitän ein Betrüger, der Luisens Glück vielleicht auf ewig zerstört hatte. Ich sagte dem Gesandten geradezu, daß er mit mir über Dinge spreche, die mir völlig unbekannt seien. Er staunte, doch glaubte er, da er schon so viel gesagt hatte, mir die weitere Erklärung dieser Rätsel schuldig zu sein. ‚Dieser Kapitän West ist ein Sachse,' erzählte er; ‚er diente früher im Generalstab und wurde dann zu einer diplomatischen Sendung nach Spanien verwandt; er soll ein Mann von vielen Talenten, aber etwas zweideutigem Charakter sein. Warum die Wahl gerade auf ihn fiel, da noch ältere Leute und aus guten Häusern im Departement waren, ist mir unbekannt; nur so viel erfuhr ich zufällig, daß man ihn damals von Dresden habe entfernen wollen. Man erzählt sich, er habe in Madrid in einem Verhältnis zu einer schönen jungen Frau gelebt; sie war eine Spanierin, aber an einen alten Engländer verheiratet, der sie vielleicht nicht so strenge unter Schloß und Riegel hielt, wie man sonst in Spanien zu tun pflegt. Als aber endlich dieses Verhältnis zu den Ohren des Engländers kam, bewirkte dieser, daß der Kapitän von seinem Posten abgerufen und sogar aus dem Dienst entlassen werde. Doch sagen andere, er selbst habe aus Ärger über seine schnelle Abberufung quittiert. Doch das Beste kommt noch; einige Wochen nach seiner Abreise war die Frau des Engländers mit ihren beiden Kindern plötzlich verschwunden, man kann sagen, spurlos verschwunden; denn so viele Mühe sich ihr Gatte gab, ihrer habhaft zu werden, alles war vergeblich. Vielleicht scheiterten auch seine Bemühungen an den Unruhen, die gerade in jener Zeit ausbrachen und die Kommunikation mit Frankreich sehr erschwerten. Der Verdacht dieses Engländers fiel, wie natürlich, vor allem auf den Kapitän West. Er wußte es zu machen, daß dieser in Paris angehalten und verhört werde. Man sagt, er solle sehr betreten gewesen sein, als er die Nachricht von der Flucht dieser Dame hörte; er wies sich aber aus, daß er die Reise bis nach Paris allein gemacht habe, und bekräftigte mit einem Eide, daß er von diesem Schritt der Donna nichts wisse. Etwa ein Vierteljahr nachher kam er nach Rom und lebt seitdem hier sehr still und eingezogen, besucht keine Gesellschaft, hat keinen Freund, keinen Bekannten; vorzüglich vermeidet er es, mit Deutschen zusammenzutreffen. Um diese Zeit, fuhr der Gesandte fort, sei von seinem Hofe die Anfrage an ihn ergangen, ob dieser West sich in Rom befinde, wie er lebe, und ob er nicht in Verhältnis mit einer Spanierin sei, die sich ebenfalls hier aufhalten müsse. Man habe ihm dabei die Geschichte dieses Kapitäns West mitgeteilt und bemerkt, daß der Engländer von neuem Spuren von seiner Frau entdeckt habe, die beinahe mit Gewißheit annehmen lassen, daß sie in Rom sich aufhalte. Man habe deswegen von Spanien aus sich an die päpstliche Kurie gewandt; es scheine aber, man wolle sich hier der Dame annehmen; denn die Antwort sei sehr zweifelhaft und unbefriedigend ausgefallen. Der Gesandte tat die nötigen Schritte und erfuhr wenigstens so viel, daß jener Verdacht bestätigt sähen. Er wandte sich nun auch an Consalvi, um zu erfahren, ob der römische Hof in der Tat die Dame in seinen Schutz nehme, und erhielt die in eine sehr bestimmte Bitte gefaßte Antwort, man möchte diese Sachen beruhen lassen, da die Ehe der Donna Ines mit dem Engländer wahrscheinlich für ungültig erklärt werde.' Dies erzählte mir der Gesandte; er fügte noch hinzu, daß er aus besonderem Interesse an diesem Fall dem Kapitän immer nachgespürt habe, und so sei ihm auch der Streit zu Ohren gekommen, den ich im Karneval mit jenem ‚wegen einer Dame' gehabt habe. Sie können sich denken, Freund, welche Qualen ich schon während seiner Erzählung empfand, und als ich das ganze Unglück erfahren hatte, stand ich wie vernichtet. Der Gesandte verließ mich, um zu der Gesellschaft zurückzukehren; ich hatte kaum noch so viel Fassung, ihn zu bitten, er möchte niemand etwas von diesen Verhältnissen wissen lassen; das Warum versprach ich ihm ein andermal. Ich konnte von dem Zimmer, wohin der Gesandte mich gerufen, den Salon übersehen, ich konnte Luise sehen, und wie schmerzlich war mir ihr Anblick! Sie schien so ruhig, so glücklich. Der Friede ihrer schönen Seele lag wie der junge Tag freundlich auf ihrer Stirne; ihr sanftes blaues Auge glänzte, vielleicht von der Erwartung einer schönen Abendstunde, und das Lächeln, das ihren Mund umschwebte, schien der Nachklang einer freudigen Erinnerung hervorgelockt zu haben. Nein, es war mir nicht möglich, diesen Anblick länger zu ertragen, ich eilte ins Freie, um dieses Bild durch neue Bilder zu verdrängen; aber wie war es möglich? Der Gedanke an sie kehrte schmerzlicher als je zurück; denn der Friede der Natur, der zauberische Schmelz der Landschaft, die süße Ruhe, die diese Fluren atmeten, erinnerten sie mich nicht immer wieder an jenes holde Wesen? Und die Wolken, die sich am fernen Horizont schwärzlich auftürmten und ein nächtliches Gewitter verkündeten, hingen sie nicht über der friedlichen Landschaft wie das Unglück, das Luisen drohte? Ich ging nach Hause; ich dachte nach, ob nicht Rettung möglich sei, ob ich sie nicht losmachen könne von dieser schrecklichen Verbindung. Doch, war nicht zu befürchten, daß sie mir mißtrauen werde? Sie wußte, ich liebe sie; kannte sie mich hinlänglich, um nicht an der Reinheit meiner Absichten zu zweifeln? Ich konnte es nicht über mich gewinnen, ihr selbst ihr Unglück zu verkünden. Nur einen Ausweg glaubte ich offen zu sehen; ich wollte ihn selbst zur Rede stellen, den Elenden, ich wollte ihn bewegen, einen entscheidenden Schritt auf die eine oder die andere Seite zu tun. Ja, darin glaubte ich einen glücklichen Weg gefunden zu haben; er selbst mußte ihr sagen, daß er nicht mehr verdiene, von ihr geliebt zu werden; und dann, dachte ich, dann wird sie zwar unglücklich sein, aber ich will versuchen, sie glücklich zu machen; durch ein langes Leben voll Treue und Liebe will ich ihr Unglück zu mildern suchen." „Aber wie konnten Sie glauben," rief ich, über diese romantischen Ideen unwillkürlich lächelnd, „wie konnten Sie glauben, Freund, daß ein Kapitän West zu diesem sonderbaren Geständnisse sich hergeben werde? In Romanen mag dies der Fall sein, aber, Herr! in der Wirklichkeit? Haben Sie je einen Narren der Art gekannt?' „Ach, ich dachte zu gut von den Menschen," antwortete er. „Ich dachte, wie ich, muß jeder fühlen.--Ich ging in die Wohnung des Kapitäns West. Er wohnte schlecht, beinahe ärmlich. Ich traf ihn, wie er einen schönen Knaben von acht Jahren auf den Knien hatte, welchen er lesen lehrte. Errötend setzte er den Knaben nieder und stand auf, mich zu begrüßen. ‚Ei, Papa,' rief der Kleine, ‚wie sieht dir dieser Herr so ähnlich!' Der Kapitän geriet in Verlegenheit und führte den Knaben aus dem Zimmer. ‚Wie,' sagte ich zu ihm, Sie haben schon einen Knaben von diesem Alter? Waren Sie früher verheiratet?' Er suchte zu lachen und die Sache in einen Scherz zu drehen; er behauptete, der Knabe gehöre in die Nachbarschaft, besuche ihn zuweilen und nenne ihn Papa, weil er sich seiner annehme. ‚Er gehört wohl der Donna Ines?' fragte ich, indem ich ihn scharf ansah. Noch nie zuvor hatte ich gesehen, wie schrecklich das böse Gewissen sich kundtut; er erblaßte, seine Augen glänzten wie die einer Schlange, ich glaubte, er wolle mich durchbohren. Noch ehe er sich hinlänglich gesammelt hatte, um mir zu antworten, sagte ich ihm gerade ins Gesicht, was ich von ihm wisse und was ich von ihm verlange, um das Fräulein nicht völlig unglücklich, zu machen. Er lief in Wut im Zimmer umher, er schimpfte auf Zwischenträger und Zudringliche; er behauptete, ich habe die ganze Geschichte aufgedeckt, um Luise von ihm zu entfernen. Ich ließ ihn ausreden; dann sagte ich ihm mit kurzen Worten, wie ich sein Verhältnis zu der Spanierin erfahren habe, und bat ihn noch einmal mit den herzlichsten Tönen unserer Sprache, das Fräulein so schonend als möglich von sich zu entfernen. Es gelang mir, ihn zu rühren; aber nun hatte ich eine andere unangenehme Szene durchzukämpfen; er klagte sich an, er weinte, er verfluchte sich, das holde Geschöpf so schändlich betrogen zu haben. Er schwor, sich von der Spanierin zu trennen; er flehte mich an, ihn zu retten; er gestand mir, daß er sich von einem Netz umstrickt sehe, das er nicht gewaltsam durchbrechen könne, weil einige hohe Geistliche der Kirche kompromittiert würden. Er ging so weit, mich zu zwingen, seine Geschichte anzuhören, um vielleicht milder über ihn urteilen zu können. Es war die Geschichte eines--Leichtsinnigen. Dieses Wort möge entschuldigen, was vielleicht s c h l e c h t genannt werden könnte. Es lag in dem Wesen dieses Mannes ein Etwas, das ihn bei den Frauen sehr glücklich machen mußte. Es war der äußere Anschein von Kraft und Entschlossenheit, die ihm übrigens sein ganzes Leben hindurch gemangelt zu haben schienen. Er mußte eine für seinen Stand ausgezeichnete Bildung gehabt haben; denn er sprach sehr gut, seine Ausdrücke waren gewählt, seine Bilder oft wahrhaft poetisch, er konnte hinreißen, so daß ich oft glaubte, er spreche mit Eifer von einem Dritten, während er mir seinen eigenen beklagenswerten Zustand schilderte. Ich habe dies oft an Menschen bemerkt, die sonst ihrem Triebe folgen, in den Tag hineinleben, ohne sich selbst zu prüfen, und erst in dem Moment der Erzählung über sich selbst flüchtig nachdenken. Sie werden dann durch die Sprache selbst zu einem eigentümlichen Feuer gesteigert, sie sprechen mit Umsicht von sich selbst; doch eben weil diese ihnen sonst abging, ist man versucht, zu glauben, sie sprächen von einem Dritten. Es war Luise, die ihn zuerst liebte; er erkannte ihre Neigung; Eitelkeit, die herrlich aufblühende Schönheit, die Tochter eines der ersten Häuser der Stadt, für sich gewonnen zu haben, riß ihn zu einem Gefühl hin, das er für Liebe hielt. Der Vater sah dies Verhältnis ungerne. Ich konnte mir denken, daß es vielleicht weniger Stolz auf seine Ahnen, als die Furcht vor dem schwankenden Charakter des Kapitäns war, was ihn zu einer Härte stimmte, welche die Liebe eines Mädchens wie Luise immer mehr anfachen mußte. Er soll ihr, was ich jetzt erst erfuhr, auf seinem Sterbebette den Fluch gegeben haben, wenn sie je mit dem Kapitän sich verbinde. West suchte die Geschichte mit der Frau des Engländers auf Verführung zu schieben. Ich habe eine solche bei einem Manne, der das Bild der Geliebten fest im Herzen trägt, nie für möglich gehalten. Doch die Strafe ereilte ihn bald. Er gestand mir, daß er froh gewesen sei, als er, vielleicht durch Vermittlung des Engländers, von seinem Posten zurückberufen wurde. Donna Ines habe ihm allerlei sonderbare Vorschläge zur Flucht gemacht, in die er nicht habe eingehen können; er sei, ohne Abschied von ihr zu nehmen, abgereist. Was ihn eigentlich bestimmte, nach Rom zu gehen, sah ich nicht recht ein, und er suchte auch über diesen Punkt so schnell als möglich hinwegzukommen. Er erzählte ferner, wie er durch Luisens Ankunft erfreut worden sei, wie er sich vorgenommen, nur ihr, ihr allein zu leben. Doch da sei plötzlich Donna Ines in Rom erschienen, sie habe sich mit zwei Kindern geflüchtet, sei ihm nachgereist und habe jetzt verlangt, er solle sie heiraten. Es entging mir nicht, daß der Kapitän mich hier belog. Ich hatte von dem Gesandten bestimmt erfahren, daß jener schon in Paris angehalten und über die Flucht der Donna zur Rede gestellt worden sei; er konnte sich also denken, daß sie ihm nachreisen werde, und dennoch knüpfte er die Liebe zu Luisen von neuem an. Ferner, wie hätte es Ines wagen können, ihm zu folgen, wenn er ihr nicht versprochen hätte, sie zu heiraten, wenn er sie nicht durch tausend Vorspiegelungen aus ihrem ruhigen Leben herausgelockt und zur Abenteurerin gemacht hätte? Er schilderte mir nur ein Gewebe von unglücklichen Verhältnissen, in welche ihn diese Frau, die mit allen Kardinälen, namentlich mit Pater Rocco, schnell bekannt geworden, geführt habe. Es werde ernstlich an der Auflösung ihrer früheren Ehe gearbeitet, und es war als bekannt angenommen worden, daß er die Geschiedene heiraten werde. ‚Sie sagten mir hier nichts Neues,' antwortete ich ihm; ‚dies alles beinahe wußte ich vorher. Aber ich hoffe, daß Sie als Mann von Ehre einsehen werden, daß das Verhältnis zu Fräulein von Palden nicht fortdauern kann, oder Sie müssen sich von der Spanierin lossagen.' Das letztere könne er nicht, sagte er, er habe von ihr und dem Kardinal Rocco Vorschüsse empfangen, die sein Vermögen überstiegen; er könne also wenigstens im Augenblicke keinen entscheidenden Schritt tun. ‚Im Augenblicke heißt hier nie,' erwiderte ich ihm. ‚Sie werden sich aus diesen Banden, wenn sie s o beschaffen sind, nie mit Anstand losmachen können. Ich halte es also für Ihre heiligste Pflicht, Luise nicht noch unglücklicher zu machen; denn was kann endlich das Ziel Ihrer Bestrebungen sein?' Er errötete und meinte, ich halte ihn für schlechter, als er sei. Doch er fühle selbst, daß man einen Schritt tun müsse. Er glaube aber, es sei dies meine Sache. Er trete mir Luise ab, ich solle mir auf jede Art ihre Gunst zu erwerben suchen und sie glücklich machen. Er hatte Tränen in den Augen, als er dies sagte, und ich sah mit beinahe zu mitleidigen Augen, wie weit ein Mensch durch Leichtsinn kommen könne. Ich ging, um nichts weiser geworden, ohne daß ein wirklicher Entschluß gefaßt worden war, von dem Kapitän; mein Gefühl war eine Mischung von Verachtung und Bedauern. Auf der Treppe begegnete mir wieder der schöne Knabe und fragte, ob er wohl jetzt zu Papa kommen dürfte." „Ha! Und jetzt setzten Sie wohl alle Segel auf, Freundchen," fragte ich; „jetzt machten Sie wohl Jagd auf die schöne Galeere Luise?" „Ja und nein," antwortete er trübe; „sie schien meine Liebe zu übersehen, nicht zu achten; aber bald bemerkte ich, daß sie ängstlicher werde in meiner Nähe; es schmerzte sie, daß mir ihre Freundschaft nicht genügen wolle. Und jener Elende, sei es aus Bosheit oder Leichtsinn, zog sich nicht von ihr zurück, ich vermute es sogar, er hat sie vor mir gewarnt. So standen die Sachen, als die Zeit, die ich in Rom zubringen sollte, bald zu Ende ging. Im Kabinett des Gesandten arbeitete man schon an Memoiren, die man mir nach Berlin mitgeben wollte, man wunderte sich, daß ich noch keine Abschiedsbesuche mache,--und ich, ich lebte in dumpfem Hinbrüten; ich sah nicht ein, wie ich dieser Reise entfliehen konnte, und dennoch hielt ich es nicht für möglich, Luise zu verlassen, jetzt, da ihr vielleicht bald der schrecklichste Schlag bevorstand. Oft war ich auf dem Punkt, ihr alles, alles zu entdecken; aber wie war es mir möglich, ihre himmlische Ruhe zu zerstören, das Herz zu brechen, das ich so gerne glücklich gewußt hätte? Da stürzte eines Morgens der Kapitän West in mein Zimmer; er war bleich, verstört; es dauerte eine lange Zeit, bis er sich fassen und sprechen konnte. ‚Jetzt ist alles aus,' rief er; ‚sie stirbt, sie muß sterben, dieser Kummer wird sie zerschmettern!' Er gestand, daß Donna Ines oder der Kardinal Rocco seine Liebe zu Luisen entdeckt hätten; ihr schrieben sie sein Zögern, sein Schwanken zu, und der Kardinal hatte geschworen, er wolle an diesem Tage zu dem deutschen Fräulein gehen und sie zur Rede stellen, wie sie es wagen könne, einen Mann, der schon so gut als verehelicht sei, von seinen Pflichten zurückzuhalten. Ich kannte diesen Priester und seine tückische Arglist, ich erkannte, daß die Geliebte verloren sei. Ich weiß Ihnen von dieser Stunde, von diesem Tage wenig mehr zu erzählen. Ich weiß nur, daß ich den Kapitän in kalter Wut zur Türe hinaus schob, mich schnell in die Kleider warf und wie ein gejagtes Wild durch die Straßen dem Hause der Signora Campoco zulief. Als ich unten an dieser Straße anlangte, sah ich einen Kardinal sich demselben Hause nähern. Er schritt stolz einher, Frater Piccolo trug ihm den Mantel; es war kein Zweifel, es war Rocco. Ich setzte meine letzten Kräfte daran, ich rannte wie ein Wahnsinniger auf ihn zu; doch--ich kam eben an, als mir Piccolo mit teuflischem Lächeln die Türe vor der Nase zuwarf. Eine Art von Instinkt trieb mich, all diesem Jammer zu entfliehen. Ich ging, wie ich war, zu dem Gesandten und sagte ihm, daß ich noch in dieser Stunde abreisen werde. Er war es zufrieden, gab mir seine Aufträge, und bald hatte ich die heilige--unglückselige Stadt im Rücken. Erst als ich nach langer Fahrt zu mir selbst kam, als meine Vorstellungen sich wieder ordneten und deutlicher wurden, erst dann tadelte ich meine Feigheit, die mich zu dieser übereilten Flucht verführte. Ich tadelte meine ganze Handlungsweise, ich klagte mich an, die Unglückliche auf diesen Schlag nicht vorbereitet zu haben;--doch es war zu spät, und wenn ich mir meine Gefühle, meine ganze Lage zurückrief, ach, da schien es so verzeihlich, die Geliebte verschont zu haben! So kam ich nach Berlin, in dieser Stimmung trafen Sie mich dort, und ein Teil dieser Geschichte war es, den ich damals im Hause meiner Tante erzählt habe." Der junge Mann hatte geendet; seine Züge hatten nach und nach jene Trauer, jene Wehmut angenommen, die ich in seinem Wesen, als ich ihn in Berlin sah, zu bemerken glaubte; er war ganz derselbe, der er an jenem Abend war, und die Worte seiner Tante, er sehe seit seiner Zurückkunft so geheimnisvoll aus, kamen mir wieder in den Sinn und ließen mich den richtigen Blick dieser Dame bewundern. An seiner ganzen Historie schienen mir übrigens nur zwei Dinge auffallend. Unglückliche Mädchen wie das Fräulein, abenteuernde Damen wie Ines, intrigante Priester wie Kardinal Rocco hatte ich auf der Welt schon viele gesehen. Aber die beiden Männer waren mir als Menschenkenner etwas rätselhaft. Der Kapitän hatte allerdings schon einen bedeutenden Grad in meinem Reglement erlangt; aber unbegreiflich war es mir, wie sich dieser Mann so lange auf einer Stufe halten konnte, da doch nach moralischen wie nach physischen Gesetzen ein Körper, welcher abwärts gleitet, immer schneller fällt. Er war falsch, denn er spielte zwei Rollen; er war leichtsinnig, denn er vergaß sich alle Augenblicke; er war eifersüchtig, obgleich er es selbst mit zwei Frauen hielt; er war schnell zum Zorn reizbar; als deutscher Kapitän liebte er wahrscheinlich auch das _Est, Est, Est_, Eigenschaften, die nicht lange auf einer Stufe lassen. Ein anderer an seiner Stelle wäre vielleicht aus Eifersucht und Zorn schon längst ein Totschläger geworden; ein zweiter wäre, leichtsinnig wie er, all diesem Jammer entflohen, hätte die Donna Ines hier und Fräulein Luise dort sitzen lassen und vielleicht an einem andern Orte eine andere gefreit; ein dritter hätte vielleicht der Donna Gift beigebracht, um die schöne Sächsin zu besitzen oder aus Verzweiflung die letztere erdolcht. Aber wie langweilig dünkte es mir, daß das Fräulein noch in demselben Zustande war, daß die beiden Anbeter noch nicht in Streit geraten waren, daß das Ende von diesen Geschichten ein Übertritt zur römischen Kirche, eine Hochzeit der Donna Ines und vielleicht eine zweite, Luisens mit dem Berliner, werden sollte? Denn eben dieser ehrliche Berliner! Er stand zwar in etwas entfernten Verhältnissen zu mir, doch wußte ich, wenn ich ihm das Ziel seines heimlichen Strebens, das Fräulein, recht lockend, recht reizend vorstellte, wenn ich ihren Besitz ihm von ferne möglich zeigte, so machte er Riesenschritte abwärts, denn seine Anlagen waren gut. Ich beschloß daher, mir ein kleines Vergnügen zu machen und die Leutchen zu hetzen. Während diese Gedanken flüchtig in mir aufstiegen, wurde dem Herrn von S. ein Brief gebracht. Er sah die Aufschrift an und errötete, er riß das Siegel auf, er las, und sein Auge wurde immer glänzender, seine Stimme heiterer. „Der Engel!" rief er aus. „Sie will mich dennoch sehen! Wie glücklich macht sie mich! Lesen Sie, Freund," sagte er, indem er mir den Brief reichte; „müssen solche Zeilen nicht beglücken?" Ich las: „Mein treuer Freund! Mein Herz verlangt darnach, Sie zu sprechen. Ich wollte Sie nicht mehr sehen, nicht mehr sprechen, bis Sie mir gute Nachrichten zu bringen hätten; Sie selbst sind es eigentlich, der diesen Bann aussprach. Doch heben Sie ihn auf, Sie wissen, wie tröstlich es mir ist, mit Ihnen sprechen zu können. Der Fromme ist wieder hier; er verspricht sich das Beste von West. Ach! daß er ihn zurückbrächte von seinem Abwege, nicht zu mir, meine Augen dürfen ihn nicht mehr sehen, nur zurück von dieser Schmach, die ich nicht ertragen kann. L. v. P. N. S. Wissen Sie in Rom keinen Deutschen, der in Mecklenburg bekannt wäre? West hat dort Verwandte, die vielleicht in der Sache etwas tun könnten." „Ich kann mir denken, daß dieses schöne Vertrauen Sie erfreuen muß," sagte ich; „doch einiges ist mir nicht recht klar in diesem Brief, das Sie mir übrigens aufklären werden. Wegen der Verwandten in Mecklenburg kann sich übrigens das Fräulein an niemand besser wenden als an mich; denn ich war mehrere Jahre dort und bin beinahe in allen Familien genau bekannt." Der junge Mann war entzückt, dem Fräulein so schnell dienen zu können. „Das ist trefflich!" rief er. „Und Sie begleiten mich wohl jetzt eben zu ihr? Ich erzähle Ihnen unterwegs noch einiges, was Ihnen die Verhältnisse klarer machen wird." Ich sagte mit Freuden zu, wir gingen. „In Berlin," erzählte er, „hielt ich es nur zwei Monate aus; ich hatte niemand hier in Rom, der mir über das unglückliche Geschöpf hätte Nachricht geben können, und so lebte ich in einem Zustande, der beinahe an Verzweiflung grenzte; nur einmal schrieb mir der sächsische Gesandte: Der Papst habe sich jetzt öffentlich für den Kapitän West erklärt, man spreche davon, daß der Preis dieser Gnade der Übertritt des Kapitäns zur römischen Kirche sein solle. In demselben Briefe erwähnte er mit Bedauern, daß die junge Dame, die uns alle so sehr angezogen habe, die mich immer besonders auszuzeichnen geschienen, sehr gefährlich krank sei, die Ärzte zweifeln an ihrer Rettung. Wer konnte dies anders sein als die arme Luise. Diese letzte Nachricht entschied über mich. Zwar hätte ich mir denken können, daß alles, was ihr der Kardinal mitteilte, Krankheit, vielleicht den Tod zur Folge haben werde; aber jetzt erst, als ich diese Nachricht gewiß wußte, jetzt erst kam sie mir schrecklich vor; ich reiste nach Rom zurück, und meine Bekannten hier haben sich nicht weniger darüber gewundert, mich so unverhofft zu sehen, als meine Verwandten in Berlin, mich so plötzlich wieder entlassen zu müssen. Besonders die Tante konnte es mir nicht verzeihen; denn sie hatte schon den Plan gemacht, mich mit einem der Fräulein, die Sie beim Tee versammelt fanden, zu verheiraten. Erlassen Sie es mir, zu beschreiben, wie ich das Fräulein wieder fand! Nur eins schien diese schöne Seele zu betrüben, der Gedanke, daß West zu seiner großen Schuld noch einen Abfall von der Kirche fügen wolle. Ich lebe seitdem ein Leben voll Kummer. Ich sehe ihre Kräfte, ihre Jugend dahin schwinden; ich sehe, wie sie ein Herz voll Jammer unter einer lächelnden Miene verbirgt. Um mich noch zu tätigerem Eifer, ihr zu dienen, zu zwingen, gelobte ich, sie nicht mehr zu sprechen, bis ich von dem Kapitän erlangt hätte, daß er nicht zum Apostaten werde,-- oder bis sie mich selbst rufen lasse. Das letztere ist heute geschehen. Es scheint, sie hat Hoffnung; ich habe keine; denn er ist zu allem fähig, und Rocco hat ihn so im Netze, daß an kein Entrinnen zu denken ist." „Aber der Fromme," fragte ich; „soll wohl der seine Bekehrung übernehmen?" „Auf diesen Menschen scheint sie ihre Hoffnung zu gründen. Es ist ein deutscher Kaufmann, ein sogenannter Pietist; er zieht umher, um zu bekehren; doch leider muß er jedem Vernünftigen zu lächerlich erscheinen, als daß ich glauben könnte, er sei zur Bekehrung des Kapitäns berufen. Eher setzte ich einige Hoffnungen auf Sie, mein Freund, wenn Sie durch die Verwandten etwas bewirken könnten; doch, auch dies kömmt zu spät! Wie sie sich nur um diesen Elenden noch kümmern mag!" Viel versprach ich mir von diesem Besuch bei dem Fräulein von Palden. Was ich von ihr gesehen, von ihr gehört, hatte mir ein Interesse eingeflößt, das diese Stunde befriedigen mußte. Ich hatte mir schon lange zuvor, ehe ich sie sah, ein Bild von ihr entworfen; ich fand es, als sie mir damals im Portikus erschien, beinahe verwirklicht; nur eines schien noch zu fehlen, und auch das hatte sich jetzt bestätigt; ich dachte mir sie nämlich etwas fromm, etwas schwärmerisch, und sie mußte dies sein; wie konnte sie sonst einem deutschen Pietisten die Heilung des Kapitäns West zutrauen? Wir wurden von der Signora Campoco und ihren Hunden freundlich empfangen; den Berliner führte sie zu ihrer Nichte, mich bat sie, in ein Zimmer zu treten, wo ich einen Landsmann finden werde. Ich trat ein. Am Fenster stand ein langer, hagerer Mann von kaltem, finsteren Aussehen. Er heftete seine Augen immer zu Boden, und wenn er sie einmal aufschlug, so glühten sie von einem trüben, unsicheren Feuer. Ich machte ihm mein Kompliment, er erwiderte es mit einem leichten Neigen des Hauptes und antwortete: „Gegrüßet seist du mit dem Gruße des Friedens!" Ha, dachte ich, das ist niemand anders als der Pietist! Solche Leute sind eine wahre Augenweide für den Teufel, er weiß, wie es in ihrem Innern aussieht, und diese herrliche Charaktermaske, lächerlicher als Policinello, komischer als Passaglio, pathetischer als Truffaldin, und wahrer als sie alle, trifft man besonders in Deutschland und seit neuerer Zeit in Amerika, wohin sie die Deutschen verpflanzt haben. Diese Protestanten glauben im echten Sinne des Wortes zu handeln, wenn sie gegen alles protestieren. Der Glaube der katholischen Kirche ist ihnen ein Greuel; der Papst ist der Antichrist, gegen ihn und die Türken beten sie alle Tage ein absonderliches Gebet. Nicht zufrieden mit diesem, protestieren sie gegen ihren eigenen Staat, gegen ihre eigene Kirche. Alles ist ihnen nicht orthodox, nicht fromm genug. Man glaubt vielleicht, sie selbst sind um so frommer? O ja, wie man will. Sie gehen gesenkten Hauptes, wagen den Blick nicht zu erheben, wagen kein Weltkind anzuschauen. Ihre Rede ist, „Ja, ja, nein, nein". Auf weitere Schwüre und dergleichen lassen sie sich nicht ein. Sie sind die Stillen im Lande; denn sie leben einfach, und ohne Lärm für sich; doch diese selige Ruhe in dem Herrn verhindert sie nicht, ihre Mitmenschen zu verleumden, zu bestehlen, zu betrügen. Daher kömmt es, daß sie einander selbst nicht trauen. Sie vermeiden es, sich öffentlich zu vergnügen, und wer am Sonntag tanzt, ist in ihren Augen ein Ruchloser. Unter sich selbst aber feiern sie Orgien, von denen jeder andere sein Auge beschämt wegwenden würde. Drum lacht mir das Herz, wenn ich einen Mystiker dieser Art sehe. Sie gehen still durchs Leben und wollen die Welt glauben machen, sie seien von Anbeginn der Welt als extrafeine Sorte erschaffen und plombiert worden, und der heilige Petrus, mein lieber Cousin, werde ihnen einen näheren Weg, ein Seitenpförtchen in den Himmel aufschließen. Aber alle kommen zu mir; Separatisten, Pietisten, Mystiker, wie sie sich heißen mögen, seien sie Kathedermänner oder Schuhmacher, alle sind in Nr. 1 und 2, sie v e r n e i n e n, wenn auch nicht im Äußern; denn sie sind Heuchler in ihrem Herzen von Anbeginn. Ein solcher war nun der fromme Mann am Fenster. „Ihr seid ein Landsmann von mir," fragte ich nach seinem Gruß, „Ihr seid ein Deutscher?" „Alle Menschen sind Brüder und gleich vor Gott," antwortete er; „aber die Frommen sind ihm ein angenehmer Geruch." „Da habt Ihr recht," erwiderte ich, „besonders wenn sie in einer engen Stube Betstunde halten. Seid Ihr schon lange hier in dieser gotteslästerlichen Stadt?" Er warf einen scheuen Blick auf mich und seufzte: „O welche Freude hat mir der Herr gegeben, daß er einen Erweckten zu mir sandte! Du bist der erste, der mir hier sagt, daß dies die Stadt der babylonischen H---, der Sitz des Antichrists ist. Da sprechen sie in ihrem weltlichen Sinne von dem Altertume der Heiden, laufen umher in diesen großen Götzentempeln und nennen alles ‚heiliges Land', selbst wenn sie Protestanten sind; aber diese sind oft die Ärgsten." „Wie freut es mich, Bruder, dich gefunden zu haben! Sind noch mehrere Brüder und Schwestern hier? Doch hier kann es nicht fehlen; in einer Gemeinde, die der Apostel Paulus selbst gestiftet hat, müssen fromme Seelen sein." „Bruder, geh mir weg mit dem Apostel Paulus, dem traue ich nur halb; man weiß allerlei von seinem früheren Leben, und nachher, da hat er so etwas Gelehrtes wie unsere Professoren und Pfarrer; ich glaube, durch ihn ist dieses Übel in die Welt gekommen. Zu was denn diese Gelehrtheit, diese Untersuchungen? Sie führen zum Unglauben. Die Erleuchtung macht's, und wenn einer nicht zum D u r c h b r u c h gekommen ist, bleibt er ein Sünder. Ein altes Weib, wenn sie erleuchtet ist, kann so gut predigen und lehren in Israel als der gelehrteste Doktor." „Du hast recht, Bruder," erwiderte ich ihm; „und ich war in meinem Leben in der Seele nicht vergnügter, nie so heiter gestimmt, als wenn ich einen Bruder Schuster oder eine Schwester Spitälerin das Wort verkündigen hörte. War es auch lauterer Unsinn, was sie sprach, so hatte ihr es doch der Geist eingegeben, und wir alle waren zerknirscht. Doch sage mir, wie kömmst du ins Haus dieser Gottlosen?" „Bruder, in der Stadt Dresden im Sachsenland, wo es mehr Erleuchtete gibt als irgendwo, da wohnte ich neben ihrem Haus. Damals war sie ein Weltkind und lachte, wenn die Frommen am Sonntagsabend in mein Haus wandelten, um eine Stunde bei mir zu halten. Als ich nun hierher kam in dieses Sodom und Gomorra, da gab mir der Geist ein, meine Nachbarin aufzusuchen. Ich fand sie von einem Unglück niedergedrückt. Es ist ihr ganz recht geschehen; denn so straft der Herr den Wandel der Sünder. Aber mich erbarmte doch ihre junge Seele, daß sie so sicherlich abfahren soll dorthin, wo Heulen und Zähneklappern. Ich sprach ihr zu, sie ging ein in meine Lehren, und ich hoffe, es wird bei ihr bald zum Durchbruch kommen. Und da erzählte sie mir von einem Manne, den der Satan und der Antichrist in ihren Schlingen gefangen haben, und bat mich, ob ich nicht lösen könne diese Bande kraft des Geistes, der in mir wohnet. Und darum bin ich hier." Während der fromme Mann die letzten Worte sprach, kam der Berliner mit dem Fräulein. Jener stellte mich vor, und sie fragte errötend, ob ich mit der Familie des Kapitäns West in Mecklenburg bekannt sei. Ich bejahte es; ich hatte mit mehreren dieser Leute zu tun gehabt und gab ihr einige Details an, die sie zu befriedigen schienen. „Der Kapitän ist auf dem Sprung, einen sehr törichten Schritt zu tun, der ihn gewiß nicht glücklich machen kann; S. hat Ihnen wohl schon davon gesagt, und es kömmt jetzt darauf an, ihm das Mißliche eines solchen Schrittes auch von seiten seiner Familie darzutun." „Mit Vergnügen; dieser fromme Mann wird uns begleiten; er ist in geistlichen Kämpfen erfahrener als ich; ich hoffe, er wird sehr nützlich sein können." „Es ist mein Beruf," antwortete der Pietist, die Augen greulich verdrehend, „es ist mein Beruf, zu kämpfen, solange es Tag ist. Ich will setzen meinen Fuß auf den Kopf der Schlange und will ihr den Kopf zertreten wie einer Kröte; soeben ist der Geist in mich gefahren. Ich fühle mich wacker wie ein gewappneter Streiter. Liebe Brüder, lasset uns nicht lange zaudern, denn die Stunde ist gekommen; Sela!" „Gehen wir!" sagte der Berliner. „Seien Sie versichert, Luise, daß Freund Stobelberg und ich alles tun werden, was zu Ihrer Beruhigung dienen kann. Fassen Sie sich, sehen Sie mutig, heiter in die Zukunft; die Zeit bringt Rosen." Das schöne bleiche Mädchen antwortete durch ein Lächeln, das sie einem wunden Herzen mühsam abgezwungen hatte. Wir gingen, und als ich mich in der Türe umwandte, sah ich sie heftig weinen. Wir drei gingen ziemlich einsilbig über die Straße; der Pietist, vom Geiste befallen, murmelte unverständliche Worte vor sich hin und verzog sein Gesicht, rollte seine Augen wie ein Hierophant. Der Berliner schien an dem guten Erfolg unseres Beginnens zu zweifeln und ging sinnend neben mir her; ich selbst war von dem Anblick der stillen Trauer jenes Mädchens, ich möchte sagen, beinahe gerührt; ich dachte nach, wie man es möglich machen könnte, sie der Schwärmerei zu entreißen, sie dem Leben, der Freude wiederzugeben; denn so gerne ich ihr den Himmel und alles Gute wünschte, so schien sie mir doch zu jung und schön, als daß sie jetzt schon auf eine etwas langweilige Seligkeit spekulieren sollte. Durch den Berliner schien ich dies am besten erreichen zu können, besser vielleicht noch durch den Kapitän West, der mir ohnedies verfallen war; doch zweifelte ich, ob man ihn noch von der Spanierin werde losmachen können. Auf dem Hausflur des Kapitäns ließ uns der Pietist vorangehen, weil er hier beten und unsern Ein= und Ausgang segnen wolle. Doch, o Wunder! Als wir uns umsahen, nahm er nach jedem Stoßseufzer einen Schluck aus einem Fläschchen, das seiner Farbe nach einen guten italienischen Likör enthalten mußte. Ha! jetzt muß der Geist erst recht über ihn kommen, dachte ich, jetzt kann es nicht fehlen, er muß mit großer Begeisterung sprechen. Der Kapitän empfing uns mit einer etwas finsteren Stirne. Der Berliner stellte uns ihm vor, und sogleich begann der Pietist, vom Geiste getrieben, seinen Sermon. Er stellte sich vor den Kapitän hin, schlug die Augen zum Himmel und sprach: „Bruder! Was haben meine Ohren von dir vernommen? So ganz hat dich der Teufel in seinen Klauen, daß du dich dem Antichrist ergeben willst, daß du absagen willst der heiligen christlichen Kirche, der Gemeinschaft der Heiligen? Sela. Aber da sieht man es deutlich. Wie heißt es Sirach am 9. im dritten Vers? He? ‚Fliehe die Buhlerin, daß du nicht in ihre Stricke fallest.'" „Zu was soll diese Komödie dienen, Herr von S.?" sprach der Kapitän gereizt. „Ich hoffe, Sie sind nicht gekommen, mir in meinem Zimmer Sottisen zu sagen." „Ich wollte Sie mit Herrn von Stobelberg, der Ihre Familie kennt, besuchen. Da ließ sich dieser fromme Mann, der gehört hat, daß Sie übertreten wollen, nicht abhalten, uns zu begleiten." „Große Ehre für mich, geben Sie sich aber weiter keine Mühe; denn--" „Höret, höret, wie er den Herrn lästert, in dessen Namen ich komme," schrie der Pietist. „Der Antichrist krümmet sich in ihm wie ein Wurm, und der Teufel sitzt ihm auf der Zunge. O, warum habt Ihr Euch blenden lassen von Weltehre? Was sagt derselbe Sirach? Laß dich nicht bewegen von dem Gottlosen in seinen großen Ehren; denn du weißt nicht, wie es ein Ende nehmen wird.--Wisse, daß du unter den Stricken wandelst und gehest auf eitel hohen Spitzen!"' „Sie kennen meine Familie, Herr von Stobelberg? Sind Sie vielleicht selbst ein Landsmann aus Mecklenburg?" „Nein! Aber ich kam viel in Berührung mit Ihrer Familie und bin mit einigen Gliedern derselben sehr nahe liiert. So zum Beispiel mit Ihrem Onkel F., mit Ihrer Tante W., mit Ihrem Schwager Z." „Wie? Der Satan hat ihm die Ohren zugeleimt?" rief der fromme Protestant, als sein abtrünniger Bruder ihn völlig ignorierte. „Auf, ihr Brüder, ihr Streiter des Herrn, lasset uns ein geistliches Lied singen, vielleicht hilft es." Er drückte die Augen zu und fing an, mit näselnder, zitternder Stimme zu singen: „Herr, schütz' uns vor dem Antichrist, Und laß uns doch nicht fallen; Es streckt der Papst mit Hinterlist Nach uns die langen Krallen; Und laß dich erbitten, Vor den Jesuiten Und den argen Missionaren Wollest gnädig uns bewahren. Sie sind des Teufels Knechte all, Nur wir sind fromme Seelen; Wir kommen in des Himmels Stall, Uns kann es gar nicht fehlen; Denn nach kurzem Schlafe Ziehn wir frommen Schafe In den Pferch für uns bereitet, Wo der Hirt die Schäflein weidet; Dort scheidet er die Böcke aus--" Man kann eben nicht sagen, daß der Fromme wie eine Nachtigall sang; aber komisch genug war es anzusehen, wie er, vom Geiste getrieben, dazu agierte. Auf den Wangen des Kapitäns wechselte Scham und Zorn, und man war ungewiß, ob er mehr über die Unverschämtheit dieses Proselytenmachers staunte oder mehr über den Inhalt der frommen Hymne erbost sei. Als der Pietist nach einem tiefen Seufzer den dritten Vers anhub, ging die Türe auf, und die hohe, majestätische, Gestalt des Kardinals Rocco trat ein. Er war angetan mit einem weißen, faltenreichen Gewand, und der Purpur, der über seine Schultern herabfloß, gab ihm etwas Erhabenes, Fürstliches. Er übersah uns mit gebietendem Blick, und die Rechte, die er ausstreckte, mochte vielleicht den ehrerbietigen Kuß eines Gläubigen erwarten. Der Kapitän war in sichtbarer Verlegenheit. Er fühlte, daß der Kardinal uns den Protestantismus sogleich anriechen, daß es ihn erzürnen werde, seinen Katechumenen in so schlechter Gesellschaft zu sehen. Er nannte der Eminenz unsere Namen, doch als er Herrn v. S. erblickte, trat er erschrocken einen Schritt zurück und flüsterte dem Frater Piccolo in der violetten Kutte zu: „Das ist wohl der Teufel, den du im Traume gesehen?" Piccolo antwortete mit drei Kreuzen, die er ängstlich auf seinen Leib zeichnete, und der Kardinal fing an, leise einige Stellen aus dem Exorzismus zu beten. Während dieser Szene hatte sich der fromme Kaufmann, dem das Wort auf der Lippe stehen geblieben war, wieder erholt. Er betrachtete die imponierende Gestalt dieses Kirchenfürsten; doch schien sie ihm nicht mehr zu imponieren, nachdem er bei sich zu dem Resultate gelangt war, daß nur ein frommer protestantisch= mystischer Christ zur Seligkeit gelangen könne. Er hub im heulenden Predigerton auf italienisch an: „Siehe da, ein Sohn der babylonischen H---, ein Nepote des Antichrists. Er hat sich angetan mit Leide und Purpur, um eure armen Seelen zu verlocken. Hebe dich weg, Satanas!" „Ist der Mensch ein Narr?" fragte der Kardinal, indem er näher trat und den Prediger ruhig und groß anschaute. „Piccolo, merke dir diesen Menschen, wir wollen ihn im Spital versorgen." Der Pietist geriet in Wut. „Baalspfaffe, Götzendiener, Antichrist!" schrie er. „Du willst mich ins Spital tun? Ha, jetzt kömmt der Geist erst recht über mich. Ich will barmherzig sein mit dir, Sodomiter! Ich will dich lehren die Hauptstücke der Religion, daß du deine ketzerischen Irrtümer einsehest. Aber zuvor ziehe sogleich den Purpur ab! Zu was soll dieser Flitter dienen? Meinst du, du gefallest dem Herrn besser, wenn du violette Strümpfe anhast? O du Tor! Das sind die eitlen Lehren des Antichrists, des Drachen, der auf dem Stuhle sitzt; in Sack und Asche mußt du Buße tun." Jetzt glühte Roccos Auge vor Wut, seine Stirne zog sich zusammen, seine Wangen glühten. „Jetzt sehe ich, Kapitän," rief er, „was Euch solange zögern macht. Ihr haltet Zusammenkünfte mit diesen wahnsinnigen Ketzern, die Euch in Eurem Aberglauben bestärken. Ha! bei der heiligen Erde, Ihr habt uns tief gekränkt." „Herr Kardinal!" fiel ihm Herr v. S. in die Rede. „Ich bitte, uns nicht alle in eine Klasse zu werfen. Wenn jener Mann dort den Trieb in sich fühlt, alle Welt zu bekehren, so können wir ihn nicht daran verhindern. Doch meine ich, man habe sich nicht darüber zu beklagen; denn Ew. Eminenz wissen, daß es gleichsam nur Repressalien für die Missionen und die Jesuiterei sind, mit welcher man gegenwärtig alle Welt über schwemmt." Jetzt war der rechte Zeitpunkt, die Leutchen zu hetzen. Jetzt galt es, sie zu verwickeln, um sie nachher desto länger trauern zu lassen. „Herr v. S.," sagte ich, „der Herr Kapitän will, denke ich, durch sein Schweigen beweisen, daß er Seiner Eminenz recht gibt. Zwar schließt mich mein Bewußtsein von den ‚wahnsinnigen Ketzern' aus: ich mache keine Proselyten, ich unterrichte niemand in der Religion; aber Ihrer werten Familie in Mecklenburg werde ich bei meiner Rückkehr sagen können--" „Stille!" rief der Pietist mit feierlicher Stimme. „Bruder, Mann Gottes, willst du dich so versündigen, mit dem Baalspfaffen zu rechten? Er geht einher wie ein Pharisäer; aber es wäre ihm besser, ein Mühlstein hänge an seinem Hals, und er würde ertränket, wo es am tiefsten ist." „Hüte dich, einen Pfaffen zu beleidigen," ist ein altes Sprichwort, und der Kapitän mochte auch so denken. Ich sah, daß die Beschämung, vor uns von Rocco wie ein Schulknabe behandelt zu werden, und die Furcht, ihn zu beleidigen, in seinem Gesichte kämpften. „Ich muß Ihren Irrtum berichtigen, Eminenz," entgegnete er. „Diesen Mann hier kenne ich nicht, und er kann sich auch entfernen, wann er will, denn seine schwärmerischen Reden sind mir zum Ekel; aber über diese Herren hier haben Sie eine ganz falsche Ansicht. Herr von Stobelberg bringt mir Nachrichten von meiner Familie, Herr v. S. besucht mich. Ich weiß nicht, welche bösliche Absicht Sie darein legen wollen." Weit entfernt, den Kardinal durch diese Worte zu besänftigen, brachte er ihn nur noch mehr auf; doch bezähmte er laute Ausbrüche desselben, und seine stille Wut werde nur in kaltem Spott sichtbar. „Ja, ich habe mich freilich höchlich geirrt," sagte er lächelnd, „und bitte um Verzeihung, meine Herren. Ich dachte, Ihr Besuch betreffe religiöse Gegenstände; doch nun merke ich, daß es friedlichere Absichten sind, was Sie herführt. Herr v. S. wird wahrscheinlich den Herrn Kapitän wieder in die süßen Fesseln des deutschen Fräuleins legen wollen? Trefflich! Ob auch eine andere Dame darüber sterben wird, ist ihm gleichgültig. Ich bewundere nebenbei auch Ihre Gutmütigkeit, Capitano, daß Sie sich von demselben Manne zurückführen lassen, der Sie so geschickt aus dem Sattel hob!" Zu welch sonderbaren Sprüngen steigert doch den Sterblichen die Beschämung. Gefühl des Unrechts, wirkliche Beleidigung, Zorn, alle Leidenschaften seiner Seele hätten den Kapitän wohl nicht so außer sich gebracht als das Gefühl der Scham, vor deutschen Männern von einem römischen Priester so verhöhnt zu werden. „Die Achtung, Signore Rocco," sagte er, „die Achtung, die ich vor Ihrem Gewand habe, schützt mich, Ihnen zu erwidern, was Sie mir in meinem Zimmer über mich gesagt haben. Ich kenne jetzt Ihre Ansichten über mich hinlänglich und wundere mich, wie Sie sich um meine arme Seele so viele Mühe geben wollten. Diesem Herrn, der, wie Sie sagten, mich aus dem Sattel hob, werde ich folgen. Doch wissen Sie, daß, was er getan hat, mit meiner Zustimmung geschah. Ich werde ihm folgen, obgleich es zuvor gar nicht in meiner Absicht lag; nur um Ihnen zu zeigen, daß weder Ihr Spott noch Ihre Drohungen auf mich Eindruck machen; und wenn Sie ein andermal wieder einen Mann meiner Art unter der Arbeit haben, so rate ich Ihnen, Ihren Spott oder Ihren Zorn zurückzuhalten, bis er im Schoße der Kirche ist." Das reiche, rosige Antlitz Roccos war so weiß geworden als sein seidenes Gewand. „Geben Sie sich keine Mühe," entgegnete er, „mir zu beweisen, wie wenig man an einem seichten Kopf Ihrer Art verliert. Glauben Sie mir, die Kirche hat höhere Zwecke, als einen Kapitän West zu bekehren--" „Wir kennen diese schönen Zwecke," rief der Berliner mit sehr überflüssigem Protestantismus; „Ihre Pläne sind freilich nicht auf einen einzelnen gerichtet, sie gehen auf uns arme Seelen alle. Sie möchten gar zu gerne unser ganzes Vaterland und England und alles, was noch zum Evangelium hält, unter den heiligen Pantoffel bringen. Aber Sie kommen hundert Jahre zu spät oder zu früh; noch gibt es, Gott sei Dank, Männer genug in meinem Vaterlande, die lieber des Teufels sein wollen, als den heiligen Stuhl anbeten." „Bringe mir meinen Hut, Piccolo," sagte der Priester sehr gelassen. „Ihnen, mein Herr v. S., danke ich für diese Belehrung; doch lag uns an den dummen Deutschen wenig. Es liegt ein sicheres Mittel in der Erbärmlichkeit Ihrer Nation und in ihrer Nachahmungssucht. Ich kann Sie versichern, wenn man in Frankreich recht fromm wird, wenn England über kurz über lang zur alleinseligmachenden Kirche zurückkehrt, dann werden auch die ehrlichen Deutschen nicht mehr lange protestieren. Drum leben Sie wohl, mein Herr, auf Wiedersehen!" Die Züge des Kardinals hatten etwas Hohes, Gebietendes, das mir beinahe nie so sichtbar wurde als in diesem Moment. Ich mußte gestehen, er hatte sich gut aus der Sache gezogen und verließ als Sieger die Walstatt. Frater Piccolo setzte ihm den roten Hut auf, ergriff die Schleppe seines Talars und, mit Anstand und Würde grüßend, schritt der Kardinal aus dem Zimmer. Der Berliner fühlte sich beschämt und sprach kein Wort; der Pietist murmelte Stoßgebetlein und war augenscheinlich düpiert; denn der Streit ging über seinen Horizont, an welchem nur die Ideen von dem Antichrist, dem Drachen auf dem Stuhl des Lammes, dem Baalspfaffen, der babylonischen Dame, dem ewigen Höllenpfuhl und dem Paradiesgärtlein, in lieblichem Unsinn verschlungen, schwebten. Dem Kapitän schien übrigens nicht gar zu wohl bei der Sache zu sein. Ich erinnerte mich, gehört zu haben, daß er von Donna Ines und diesem Priester bedeutende Vorschüsse empfangen habe, die er nicht zahlen sonnte; es war zu erwarten, daß sie ihn von dieser Seite bald quälen würden, und ich freute mich schon vorher, zu sehen, was er dann in der Verzweiflung beginnen werde. Auch zu diesem Auftritt hatte ihn sein Leichtsinn verleitet; denn hätte er bedacht, was für Folgen für ihn daraus entstehen könnten,--er hätte sich von falscher Scham nicht so blindlings hinreißen lassen. Der Berliner fuhr übrigens bei dieser Partie ebenso schlimm. Ich wußte wohl, daß er die Hoffnung auf Luisens Besitz nicht ausgegeben hatte, daß er sie mächtiger als je nährte, da sie ihn heute hatte rufen lassen; ich wußte auch, daß sie den Kapitän nicht gerade zu sich zurückwünschte, sondern ihn nur nicht katholisch wissen wollte; ich wußte, daß sie dem Berliner vielleicht bald geneigt worden wäre, weil sie sah, mit welchem Eifer er sich um sie bemühte; und jetzt hatte der Kapitän vor uns allen ausgesprochen, daß er das Fräulein wiedersehen wolle; und so war es. „Es ist mein voller Ernst, Herr v. S.," sagte er, „ich sehe ein, daß ich mich diesen unwürdigen Verbindungen entreißen muß. Können Sie mir Gelegenheit geben, das Fräulein wiederzusehen und ihre Verzeihung zu erbitten?" „Ich weiß nicht, wie Fräulein von Palden darüber denkt," antwortete der junge Mann etwas verstimmt und finster; „ich glaube nicht, daß nach diesen Vorgängen--" „O! Ich habe die beste Hoffnung," rief jener, „ich kenne Luisens gutes Herz und kann nicht glauben, daß sie aufgehört habe, mich zu lieben. Hören Sie einen Vorschlag. Signora Campoco hat einen Garten an der Tiber; bitten Sie das Fräulein, mit ihrer Tante heute abend dorthin zu kommen. Ich will sie ja nicht allein sehen, Sie alle können zugegen sein; ich will ja nichts, als Vergebung lesen in ihren Augen; ein Wort von ihr soll mir genug sein, um mich mit mir selbst und mit dem Himmel zu versöhnen. Ach, wie schmerzlich fühle ich meine Verirrungen!" „Gut, ich will es sagen," erwiderte der Berliner, indem er mit Mühe nach Fassung rang. „Soll ich Ihnen Antwort bringen?" „Ist nicht nötig; wenn Sie keine Antwort bringen, bin ich um sechs Uhr als reuiger Sünder in dem Garten an der Tiber." * * * * * Ich gestehe, der Berliner hatte ein sonderbares Geschick. Das Verhängnis zog ihn in diese Verhältnisse; seine Gestalt, sein Gesicht, zufällig dem Kapitän West sehr ähnlich, bringt ihm Glück und Unglück; es zieht ihn in die Nähe des Mädchens; er lernt ihr Schicksal kennen, er sieht sie leiden, er leidet mit ihr; die Zeit, die alle Wunden heilt, bewirkt endlich, daß sie den Kapitän vielleicht nicht mehr so sehnlich zurückwünscht; sie will nur, daß er jenen Schritt nicht tue, den sie für einen törichten hält; sich selbst unbewußt, gibt sie dem armen S. Hoffnungen; er glaubt, sie errungen zu haben durch die vielen Bemühungen um ihre Wahl, und jetzt muß er den gefährlichen Nebenbuhler, einen Mann, den er verachtet, zu ihr zurückführen! Ich war begierig auf diesen Abend; der Berliner hatte mir gesagt, daß sie einwillige, ihn, von Signora Campoco begleitet, zu sehen. Sie hatte ihn eingeladen, zugegen zu sein, und er bat mich, ihn zu begleiten, weil er diese Szene allein nicht mit ansehen könne. Als ich seiner Wohnung zuging, trat mir auf einmal Frater Piccolo in den Weg mit der Frage, wo er wohl den Kapitän finden könnte? Ich forschte ihn aus, zu welchem Zwecke er wohl den Kapitän suche, und er sagte mir ohne Umschweife, daß er ihm von dem Kardinal einen Schuldschein auf fünftausend Scudi zu überreichen habe, die jener zwölf Stunden nach Sicht bezahlen müsse. „Wertester Frater Piccolo," erwiderte ich ihm, „das sicherste ist, Ihr bemühet Euch nach sechs Uhr in den Garten der Signora Campoco, welcher an der Tiber gelegen; dort werdet Ihr ihn finden, dafür stehe ich Euch." Er dankte und ging weiter; daß er diese Nachricht dem Kardinal und vielleicht auch Donna Ines mitteilen werde, glaubte ich voraussehen zu dürfen. „Fünftausend Scudi, zwölf Stunden nach Sicht!" sagte ich zu mir. „Ich will doch sehen, wie er sich heraushilft!" Den armen Berliner traf ich sehr niedergeschlagen. Er schien zu fühlen, daß seine Hoffnungen auf ewig zerstört seien; doch nicht nur dies Gefühl war es, was ihn unglücklich machte, er fürchtete, Luise werde nicht auf die Dauer glücklich werden. „Dieser West!" rief er. „Ist es nicht immer wieder Leichtsinn, was ihn zu uns, zu ihr zurückführt! Wie leicht ist es möglich, wenn einmal die Reue über ihn kommt, die Spanierin so unglücklich gemacht zu haben--wie leicht ist es möglich, daß er auch Luise wieder verläßt!" Ja, dachte ich, und wenn erst das Wechselchen anlangt und er nicht zahlen kann, und wenn ihn Donna Ines mit den funkelnden Augen sucht und bei der Fremden findet, und wenn erst der Kardinal seine Künste anwendet! Die Schule der Verzweiflung hat er noch nicht ganz durch gemacht. Aber auch das Fräulein, hoffe ich, wird jetzt auftauen und ihre Hilfe zu kleinen Teufeleien und Höllenkünsten nehmen, und der gute Berliner soll wohl auch bekannter mit mir werden müssen! Wir gingen hinaus an die Tiber zum verhängnisvollen Garten der Signora Campoco. Unterwegs sagte mir der junge Mann, das Fräulein sei ihm unbegreiflich. Als er ihr die Nachricht gebracht, wie sich im Hause des Kapitäns auf einmal alles so sonderbar, wie durch eine höhere Leitung, gefügt habe, wie West nicht nur zur protestantischen Kirche zurücktreten, sondern auch als reuiger Sünder zu ihr zurückkehren wolle, da sei, so sehr sie ihn zuvor angeklagt, ein seliges Lächeln auf ihren schönen Zügen aufgegangen. Sie habe geweint vor Freude, sie habe mit tausend Tränen ihre Tante dazu vermocht, uns in ihrem Garten zu empfangen. Und dennoch sei sie jetzt nicht mehr recht heiter; eine sonderbare Befangenheit, ein Zittern banger Erwartung habe sie befallen, sie habe ihm gestanden, daß sie der Gedanke an den Fluch ihres Vaters, wenn sie je die Gattin des Kapitäns werde, immer verfolge. Es sei, als liege eine schwarze Ahnung vor ihrer sonst so kindlich frohen Seele, als fürchte sie, trotz der Rückkehr des Geliebten dennoch nicht glücklich zu werden. Unter den Klagen des Berliners, unter seinen Beschuldigungen gegen das weibliche Geschlecht hatten wir uns endlich dem Garten genähert. Er lag, von Bäumen umgeben, wie ein Versteck der Liebe. Signora Campoco empfing uns mit ihren Hündlein aufs freundlichste; sie erzählte, daß sie das deutsche Geplauder der Versöhnten nicht mehr länger hören könne und zeigte uns eine Laube, wo wir sie finden würden. Errötend, mit glänzenden Augen, Verwirrung und Freude auf dem schönen Gesicht, trat uns das Fräulein entgegen. Der Kapitän aber schien mir ernster, ja, es war mir, als müßte ich in seinen scheuen Blicken eine neue Schuld lesen, die er zu der alten gefügt. Dem Berliner war wohl das schmerzlichste der feurige Dank, den ihm das schöne Mädchen für seine eifrigen Bemühungen ausdrückte. Sie umfing ihn, sie nannte ihn ihren treuesten Freund, sie bot ihm ihre Lippen, und er hat wohl nie so tief als in jenem Augenblicke gefühlt, wie die höchste Lust mit Schmerz sich paaren könne. Mir, ich gestehe es, war diese Szene etwas langweilig; ich werde daher die nähere Beschreibung davon nicht in diese Memoiren eintragen, sondern als Surrogat eine Stelle aus Jean Pauls Flegeljahren einschieben, die den Leser weniger langweilen dürfte: „Selige Stunden, welche auf die Versöhnung der Menschen folgen! Die Liebe ist wieder blöde und jungfräulich, der Geliebte neu und verklärt, das Herz feiert seinen Mai, und die Auferstandenen vom Schlachtfelde begreifen den vorigen, vergessenen Krieg nicht." So sagt dieser große Mensch, und er kann recht haben, aus Erfahrung; ich habe, seit sich der Himmel hinter mir geschlossen, nicht mehr geliebt, und mit der Versöhnung will es nicht recht gehen. Bei jener ganzen Szene ergötzte ich, mich mehr an der Erwartung als an der Gegenwart. Wenn jetzt mit einem Male, dachte ich mir, Frater Piccolo durch die Bäume herbei käme, um seinen Wechsel honorieren zu lassen,--welche Angst, welcher Kummer bei dem Kapitän, welch es Staunen, welcher Mißmut bei dem Fräulein! Ich dachte mir allerlei dergleichen Möglichkeiten, während die andern in süßem Geplauder mit vielen Worten nichts sagten--da hörte ich auf einmal das Plätschern von Rudern in der Tiber. Es war nach sechs Uhr es war die Stunde, um welche ich Frater Piccolo hierher bestellt hatte; wenn er es wäre!-- Die Ruderschläge wurden vernehmlicher, kamen näher. Weder die Liebenden, noch der Berliner schienen es zu hören. Jetzt hörte man nur noch das Rauschen des Flusses, die Barke mußte sich in der Nähe ans Land gelegt haben. Die Hunde der Signora schlugen an, man hörte Stimmen in der Ferne, es rauschte in den Bäumen, Schritte knisterten auf dem Sandweg des Gartens, ich sah mich um--Donna Ines und der Kardinal Rocco standen vor uns. Luise starrte einen Augenblick diese Menschen an, als sehe sie ein Gebild der Phantasie. Aber sie mochte sich des Kardinals aus einem schrecklichen Augenblick erinnern, sie schien den Zusammenhang zu begreifen, schien zu ahnen, wer Ines sei und sank lautlos zurück, indem sie die schönen Augen und das erbleichende Gesicht in den Händen verbarg. Der Kapitän hatte den Kommenden den Rücken zugekehrt und sah also nicht sogleich die Ursache von Luisens Schrecken. Er drehte sich um, er begegnete zornsprühenden Blicken der Donna, die diese Gruppe musterte, er suchte vergeblich nach Worten; das Gefühl seiner Schande, die Angst, die Verwirrung schnürten ihm die Kehle zu. „Schändlich!" hob Ines an. „So muß ich dich treffen? Bei deiner deutschen Buhlerin verweilst du und vergißt, was du deinem Weibe schuldig bist? Ehrvergessener! Statt meine Ehre, die du mir gestohlen, durch Treue zu ersetzen, statt mich zu entschädigen für so großen Jammer, dem ich mich um deinetwillen ausgesetzt habe, schwelgst du in den Armen einer andern?" „Folget uns, Kapitän West!" sagte der Kardinal sehr strenge. „Es ist Euch nicht erlaubt, noch einen Augenblick hier zu verweilen. Die Barke wartet. Gebt der Donna Euren Arm und verlasset diese ketzerische Gesellschaft." „Du bleibst!" rief Luise, indem sie ihre schönen Finger um seinen Arm schlang und sich gefaßt und stolz aufrichtete. „Schicke diese Leute fort. Du hast ja noch soeben diese Abenteurerin verschworen. Du zauderst? Monsignore, ich weiß nicht, wer Ihnen das Recht gibt, in diesen Garten zu dringen; haben Sie die Güte, sich, mit dieser Dame zu entfernen." „Wer mir das Recht gibt, junge Ketzerin?" entgegnete Rocco. „Diese ehrwürdige Frau Campoco; ich denke, ihr gehört der Garten, und es wird sie nicht belästigen, wenn wir hier verweilen." „Ich bitte um Euren Segen, Eminenz," sagte, sich tief verneigend, Signora Campoco; „wie möget Ihr doch sprechen? Meinem geringen Garten ist heute Heil widerfahren! Denn heilige Gebeine wandeln darin umher!" „Nicht gezaudert, Kapitän!" rief der Kardinal. „Werfet den Satan zurück, der Euch wieder in den Klauen hat; folget uns, wohin die Pflicht Euch ruft!--Ha! Ihr zaudert noch immer, Verräter? Soll ich," fuhr er mit höhnischem Lächeln fort, „soll ich Euch etwa dies Papier vorzeigen? Kennet Ihr diese Unterschrift? Wie steht es mit den fünftausend Scudi, verehrter Herr? Soll ich Euch durch die Wache abholen lassen?" „Fünftausend Scudi?" unterbrach ihn der Berliner. „Ich leiste Bürgschaft, Herr Kardinal, sichere Bürgschaft"-- „Mitnichten!" antwortete er mit großer Ruhe. „Ihr seid ein Ketzer; _haeretico non servanda fides_. Ihr könntet leicht ebenso denken und mit der Bürgschaft in die Weite gehen. Nein,--Piccolo! Sende einen der Schiffer in die Stadt; man solle die Wache holen." „Um Gottes willen, Otto! Was ist das?" rief Luise, indem ihr Tränen entstürzten. „Du wirst dich doch nicht diesen Menschen so ganz übergeben haben? O Herr? Nur eine Stunde gestattet Aufschub, mein ganzes Vermögen soll Euer sein; mehr, viel mehr will ich Euch geben, als Ihr fordert"-- „Meinst du, schlechtes Geschöpf," fiel ihr die Spanierin in die Rede, „meinst du, es handle sich um Geld? Mir, mir hat er seine Seele verpfändet; er hat mich gelockt aus den Tälern meiner Heimat, er hat mir ein langes seliges Leben in seinen Armen vorgespiegelt, er hat mich betrogen um diese Seligkeit; du--du hast mich betrogen, deutsche Dirne; aber siehe zu, wie du es einst vor den Heiligen verantworten kannst, daß du dem Weib den Gatten raubst, den Kindern, den armen Würmern, den Vater!" „Ja, das ist dein Fluch, alter Vater!" sagte Luise, von tiefer Wehmut bewegt. „Das ist dein Fluch, wenn ich je die Seine würde; er nahte schnell! Ich hätte dir ihn entrissen, unglückliches Weib? Nein, so tief möchte ich nicht einmal dich verachten. Er kannte mich längst, ehe er dich nur sah, und die Treue, die er dir schwur, hat er mir gebrochen!" „Von dieser Sünde werden wir ihn absolvieren," sprach der Kardinal; „sie ist um so weniger drückend für ihn, als Ihr selbst, Signora, mit einem andern, der hier neben sitzt, in Verhältnissen waret. Zaudere nicht mehr, folge uns! Bei den Gebeinen aller Heiligen, wenn du jetzt nicht folgst, wirst du sehen, was es heißt, den heiligen Vater zu verhöhnen!" Der Kapitän war ein miserabler Sünder. So wenig Kraft, so wenig Entschluß! Ich hätte ihn in den Fluß werfen mögen; doch mußte es zu einem Resultate kommen, drum schob ich schnell ein paar Worte ein: „Wie? Was ist das für ein Geschrei von Kindern?" rief ich erstaunt. „Es wird doch kein Unglück geben?" „Ha, meine Kinder!" weinte die Spanierin. „O, weinet nur, ihr armen Kleinen! Der, der euch Vater sein sollte, hat Erz in seiner Brust. Ich gehe, ich werfe sie in die Tiber und mich mit ihnen; so ende ich ein Leben, das du, Verfluchter, vergiftetest!" Sie rief es und wollte nach der Tiber eilen; doch das Fräulein faßte ihr Gewand; bleich zum Tod, mit halbgeschlossenen Augen führte sie Donna Ines zu dem Kapitän und stürzte dann aus der Laube. Ich selbst war einige Augenblicke im Zweifel, ob sie nicht denselben Entschluß ausführen wolle, den die Donna für sich gefaßt; doch der Weg, den sie einschlug, führte tiefer in den Garten, und sie wollte nur diesem Jammer entgehen. Der Berliner aber lief ihr ängstlich nach, und als sich auch der Kapitän losriß, ihr zu folgen, stürzte die ganze Gesellschaft, der Kardinal, ich und Signora Campoco, in den Garten. Wir kamen zu ihnen, als eben Luise erschöpft und ohnmächtig zusammensank. S. fing sie in seinen Armen auf und trug die teure Last nach einer Bank. Dort wollte ihn der Kapitän verdrängen; er wollte vielleicht seinen Entschluß zeigen, nur ihr anzugehören; er glaubte heiligere Rechte an sie zu haben und entfernte den Arm des jungen Mannes, um den seinigen unterzuschieben. Doch dieser, ergriffen von Liebe und Schmerz, aufgeregt von der Szene, die wir gesehen, stieß den Kapitän zurück. „Fort mit dir!" rief er. „Gehe zu Pfaffen und Ehebrechern, zu Schurken deines Gelichters! Du hast deine Rolle künstlich gespielt; um diese Blume zu pflücken, mußtest du dich den Armen jenes hergelaufenen Weibe noch einmal entreißen, Hinweg mit dir, du Ehrloser!" „Was sprechen Sie da?" schrie der Kapitän schäumend, es mochte in der Rede des jungen Mannes etwas liegen, was als Wahrheit um so beißender war. „Welche Absichten legen Sie mir unter? Was hätte ich getan? Erklären Sie sich deutlicher!" „Jetzt hast du Worte, Schurke; aber als dieser Engel zu dir flehte, da hatte deinen Mund die Schande verschlossen. Rühre sie nicht an, oder ich schlage dich nieder!" „Das kann dir geschehen," entgegnete jener, und einem Blitze gleich fuhr er mit etwas Glänzendem aus der Tasche nach der Brust des jungen Mannes.--In Spanien lernt man gut stoßen. Der Berliner hatte einen Messerstich in der Brust und sank, ohne das Haupt der Geliebten zu lassen, in die Knie. „Jetzt wird der tapfere Hauptmann gewiß katholisch," war mein Gedanke, als das Herzblut des jungen Mannes hervorströmte; „jetzt wird er sich bergen im Schoße der Kirche!" Und es schien so zu kommen. Denn willenlos ließ, sich der Kapitän von Ines und dem Kardinal wegführen, und die Barke stieß vom Lande. * * * * * Wenige Tage nach diesem Vorfall erschien jener glorreiche Tag, an welchem der Papst vor dem versammelten Volke mir, dem Teufel, alle Seelen der Ketzer übermacht; ich habe zwar durch diese Anweisung noch nie eine erhalten und weiß nicht, ob Seine Heiligkeit falliert haben und nun auf der Himmelsbörse keine Geschäfte mehr machen, also wenig Einfluß auf das Steigen und Fallen der Seelen haben, oder ob vielleicht diese Verwünschung nur zur Vermehrung der Rührung dient, um den Wirten und Gewerbsleuten in Rom auf versteckte Weise zu verstehen zu geben, daß sie sich kein Gewissen daraus machen sollen, die Beutel der Engländer, Schweden und Deutschen zu schröpf en, da ihre Seelen doch einmal verloren seien. An einem solchen Tage pflegt ganz Rom zusammenzuströmen, besonders die Weiber kommen gerne, um die Ketzer im Geiste abfahren zu sehen. Man drängt und schlägt sich auf dem großen Platz, man hascht nach dem Anblick des heiligen Vaters, und wenn er den heiligen Bannstrahl herabschleudert, durchzückt ein mächtiges Gefühl jedes Herz, und alle schlagen an die Brust und sprechen. „Wohl mir, daß ich nicht bin wie dieser einer." An diesem Tage aber hatte das Fest noch eine ganz besondere Bedeutung; man sprach nämlich in allen Zirkeln, in allen Kaffeehäusern, auf allen Straßen davon, daß ein berühmter, tapferer ketzerischer Offizier an diesem Tage sich taufen lassen wolle. Dieser Offizier machte seine Grade erstaunlich schnell durch. Am Montag hieß es, er sei Kapitän, am Dienstag, er sei Major, am Mittwoch war er Obrist, und wenn man am Donnerstag frühe ein schönes Kind auf der Straße anhielt, um zu fragen, wohin es so schnell laufe, konnte man auf die Antwort rechnen: „Ei, wisset Ihr nicht, daß zur Ehre Gottes ein General der Ketzer sich taufen läßt und ein guter Christ wird wie ich und Ihr?" Wer der berühmte Täufling war, werden die Leser meiner Memoiren leicht erraten. Endlich, endlich war er abgefallen! Sie hatten ihn wohl nach der Szene in Signoras Garten so lange und heftig mit Vorwürfen, Bitten, Drohungen, Versprechungen und Tränen bestürmt, daß er einwilligte, besonders da er durch den Übertritt nicht nur Absolution für seine Seele, was ihm übrigens wenig helfen wird, sondern auch Schutz vor der Justiz bekam, die ihm schon nachzuspüren anfing, da der Berliner einige Tage zwischen Leben und Tod schwebte, und sein Gesandter auf strenge Ahndung des Mordes angetragen hatte. Ich stellte mich auf dem Platze so, daß der Zug mit dem Täufling an mir vorüber kommen mußte. Und sie nahten. Ein langer Zug von Mönchen, Priestern, Nonnen, andächtigen Männern und Frauen kam heran. Ihre halblaut gesprochenen Gebete rollten wie Orgelton durch die Lüfte. Sie zogen im Kreis um den ungeheuern Platz, und jetzt wurden die Römer um mich her aufmerksamer. „_Ecco, ecco lo_!" flüsterte es von allen Seiten; ich sah hin--in einem grauen Gewand, das Haupt mit Asche bestreut, ein Kruzifix in den gefalteten Händen, nahte mit unsicheren Schritten der Kapitän. Zwei Bischöfe in ihren violetten Talaren gingen vor ihm, und Chorknaben aller Art und Größe folgten seinen Sch ritten. „Ein schöner Ketzer, bei St. Peter! Ein schmucker Mann!" hörte ich die Weiber um mich her sagen. „Welch ein frommer Soldat!" „Wie freut man sich, wenn man sieht, wie dem Teufel eine Seele entrissen wird!"-- „Werden sie ihn vorher taufen oder nachher?" „Vorher," antwortete ein schöne schwarzlockiges Mädchen, „vorher; denn nachher verflucht der heilige Vater alle Ketzer, und da würde er ihn ja ewig verdammen und nachher segnen und taufen."-- „Ach, das verstehst du nicht," sagte ihr Vater, „der Papst kann alles, was er will, so oder so." „Nein, er kann nicht alles," erwiderte sie schelmisch lächelnd; „nicht alles!" „Was kann er denn nicht?" fragten die Umstehenden. „Er kann alles; was sollte er denn nicht können?" „Er kann nicht heiraten!" lachte sie; doch nicht so schnell folgt der Donner dem Blitz, als die schwere Hand des Vaters auf ihre Wange fiel. „Was? Du versündigst dich, Mädchen?" schrie er. „Welche unheiligen Gedanken gibt dir der Teufel ein? Was geht es dich an, ob der Papst heiratet oder nicht? Dich nimmt er auf keinen Fall." Das Volk begann indes in die Peterskirche zu strömen, und auch ich folgte dorthin. Es ist eine lächerlich materielle Idee, wenn die Menschen sich vorstellen, ich könne in keine christliche Kirche kommen. So schreiben viele Leute C. M. B. (Caspar, Melchior, Balthasar) über ihre Türen und glauben, die drei Könige aus Morgenland werden sich bemühen, ihre schlechte Hütte gegen die Hexen zu schützen. Ich drängte mich so weit als möglich vor, um die Zeremonien dieser Taufe recht zu sehen. Der tapfere Kapitän hatte jetzt sein graues Gewand mit einem glänzend weißen vertauscht und kniete unweit des Hochaltars. Kardinäle, Erzbischöfe, Bischöfe standen umher, der ungewisse Schein des Tages, vermischt mit dem Flackern der Lichter, der Kerzen, welche die Chorknaben hielten, umgab sie mit einem ehrwürdigen Heiligenschein, der jedoch bei manchem wie Scheinheiligkeit aussah. Auf der andern Seite kniete unter vielen schönen Frauen Donna Ines mit ihren Kindern. Sie war lockender und reizender als je, und wer Luise und ihr sanftes blaues Auge nicht gesehen hatte, konnte dem Täufling verzeihen, daß er sich durch dieses schöne Weib und einen listigen Priester unter den Pantoffel St. Petri bringen ließ. Neben mir stand eine schwarzverschleierte Dame. Sie stützte sich mit einer Hand an eine Säule, und ich glaubte, sie wäre ohne diese Hilfe auf den Marmorboden gesunken, denn sie zitterte beinahe krampfhaft. Der Schleier war zu dicht, als daß ich ihre Züge erkennen konnte. Doch sagte mir eine Ahnung, wer es sein könnte. Jetzt erhoben die Priester den Gesang, er zog mit den blauen Wölkchen des arabischen Weihrauchs hinauf durch die Gewölbe und berauschte die Sinne der Sterblichen, übertäubte ihre Seelen und riß sie hin zu einer Andacht, die sie zwar über das Irdische, aber auch über die ewigen Gesetze ihrer Vernunft hinwegführt. Die Priester sangen. Jetzt fing der Täufling an, sein Glaubensbekenntnis zu sprechen. „Er hat mich nie geliebt," seufzte die Dame an meiner Seite; „er hat auch dich nie geliebt, o Gott, verzeihe ihm diese Sünde!" Er sprach weiter, er verfluchte den Glauben, in welchem er bisher gelebt. „Gib Frieden seiner Seele," flüsterte sie; „wir alle irren, so lange wir sterblich sind, vielleicht hat er den wahren Trost gefunden! Laß ihn Frieden finden, o Herr!" Da fingen die Priester wieder an zu singen. Ihre tiefen Töne drangen schneidend in das Herz der Dame. Jetzt wurde das Sakrament an ihm vollzogen; der Kardinal Rocco, im vollen Ornat seiner Würde, segnete ihn ein, und Donna Ines warf dem Getauften frohlockende Grüße zu. „Vater, laß ihm mein Bild nie erscheinen," betete die Dame an meiner Seite, „daß nie der Stachel der Reue ihn quäle! Laß ihn glücklich werden!" Und mit dem Pomp des heiligen Triumphs schloß die Taufe, und der Kapitän stand auf, zwar als ein so großer Sünder wie zuvor, doch als ein rechtgläubiger katholischer Christ. Das Volk drängte sich herzu und drückte seine Hände, und Donna Ines führte ihm mit holdem Lächeln ihre Kinder zu. Aber noch war die Szene nicht zu Ende. Kardinal Luighi führte den Getauften an die Stuf en des Altars, stieg die heiligen Stufen hinan und las die Messe. Die Dame im schwarzen Schleier zitterte heftiger, als sie dies alles sah; ihre Knie fingen an zu wanken. „Wer Ihr auch seid, mein Herr," flüsterte sie mir plötzlich zu, „seid so barmherzig und führt mich aus der Kirche; ich fühle mich sehr unwohl." Ich gab ihr meinen Arm, und die frommste Seele in St. Peters weiten Hallen ging hinweg, begleitet vom Teufel. Auf dem Platze vor der Peterskirche deutete sie schweigend auf eine Equipage, die unfern hielt. Ich führte sie dorthin, ich öffnete ihr den Schlag und bot ihr die Hand zum Einsteigen. Sie schlug den dunklen Schleier zurück; es war, wie ich mir gesagt hatte, es waren die bleichen, schönen Züge Luisens. „Ich danke, Herr!" sagte sie. „Ihr habt mir einen großen Dienst erwiesen." Noch zitterte ihre Hand in der meinigen, ihre schönen Augen wandten sich noch einmal nach St. Peter und füllten sich dann mit einer Träne. Aber schnell schlug sie den Schleier nieder und schlüpfte in den Wagen; die Pferde zogen an, ich habe sie--nie wieder gesehen. * * * * * Eine wichtige Angelegenheit, die wankende Sache der hohen Pforte, welcher ich immer besondere Aufmerksamkeit geschenkt habe, rief mich an diesem Tage nach ...., wo ich mit einem berühmten Staatsmann eine Konferenz halten mußte. Man kennt die Zuneigung dieses erlauchten Wesirs eines christlichen Potentaten zum Halbmond; und ich hatte nicht erst nötig, ihn zu überzeugen, daß die Türken seine natürlichen Alliierten seien. Von .... eilte ich zurück nach Rom. Ich gestehe, ich war begierig, wie sich die Verhältnisse lösen würden, in welche ich verflochten war und die mir durch einige Situationen so interessant geworden waren. Der erste, den ich unter der Porta del Popolo traf, war der deutsche Kaufmann. Er saß in einem schönen Wagen und hatte, wie es schien, Streit mit einigen päpstlichen Polizeisoldaten. Ich trat als Stobelberg zu ihm. „Lieber Bruder," sagte ich, „es scheint, du willst Sodom verlassen gleich dem frommen Lot?" „Ja, fliehen will ich aus dieser Stätte des Satan," war seine Antwort; „und hier läßt mich der Drache auf dem Stuhl des Lammes noch einmal anhalten, aus Zorn, weil ich einen seiner Baalspfaffen im Christentume unterweisen wollte." Ich sah hin und merkte jetzt erst die Ursache des Streites. Die Polizei hatte, ich weiß nicht aus welchem Grunde, den Wagen noch einmal untersucht. Da war man auf ein Kistchen gestoßen und hatte den Pietisten gefragt, was es enthalte. „Geistliche Bücher," antwortete er. Man glaubte aber nicht, schloß auf, und siehe da, es war ein gutes Flaschenfutter, und die Polizeimänner wollten wegen seines Betruges einige Scudi von ihm nehmen. „Aber, Bruder!" sagte ich zu ihm. „Eine fromme Seele sollte nach nichts dürsten als nach dem Tau des Himmels, nach nichts hungern als nach dem Manna des Wortes, und doch führst du ein Dutzend Flaschen mit dir, und hier liegt ein ganzer Pack Salamiwürste? Pfui, Bruder, heißt es nicht: ‚Was werden wir essen, was werden wir trinken, nach dem allem fragen die Heiden?'" „Bruder," erwiderte jener und drehte die Augen gen Himmel, „Bruder, bei dir muß es noch nicht völlig zum Durchbruch gekommen sein, daß du einem Mann von so felsenfestem Glauben, daß du mir solche Fragen vorlegst. Gerade, daß ich nicht zu seufzen brauche: ‚Was werden wir essen, was werden wir trinken, womit uns kleiden?' Gerade deswegen habe ich mir den neuen Rock hier gekauft, habe meinen Flaschenkeller gefüllt und diese aus Eselsfleisch bereiteten Würste gekauft; es geschah also aus reinem Glaubensdrang, und der Geist hat es mir eingegeben. Da, ihr lumpigen Söhne von Astaroth, ihr Brut des Basilisken, so auf dem Stuhl des Lammes sitzt und an seinen Klauen Pantoffeln führt, da nehmet diesen holländischen Dukaten und lasset mir meine geistlichen Bücher in Ruhe!--So, nun lebe wohl, Bruder, der Geist komme über dich und stärke deinen Glauben!" Da fuhr er hin, und wieder werde ich in dem Glauben bestärkt, daß diese christlichen Pharisäer schlimmer sind als die Kinder der Welt. Ich ging weiter, den Korso hinab. Am unteren Ende der Straße begegnete mir der Kardinal Rocco und Piccolo, sein Diener. Der Kardinal schien sehr krank zu sein; denn ganz gegen die Etikette trug ihm Piccolo nicht die Schleppe nach, sondern führte ihn unter dem Arm, und dennoch wankte Rocco zuweilen hin und her. Sein Gesicht war rot und glühend, seine Augen halb geschlossen, und der rote Hut saß ihm etwas schief auf dem Ohr. „Siehe da, ein bekanntes Gesicht!" rief er, als er mich sah, und blieb stehen. „Komm hierher, mein Sohn, und empfange den Segen. Haben wir uns nicht schon irgendwo gesehen?" „O ja, und ich, hoffe noch öfters das Vergnügen zu haben; ich hatte die Ehre, Ew. Eminenz im Garten der Frau Campoco zu sehen." „Ja, ja! Ich erinnere mich, Ihr seid ein junger Ketzer; wisset Ihr, woher ich komme? Geradenwegs von dem Hochzeitsschmause des lieben Paares." Jetzt konnte ich mir die Krankheit des alten Herrn erklären; die spanischen Weine der Donna Ines waren ihm wohl zu stark gewesen, und Piccolo mußte ihn jetzt führen. „Ihr waret wohl recht vergnügt?" fragte ich ihn. „Es ist doch Euer Werk, daß die Donna den Kapitän endlich doch noch überwunden hat?" „Das ist es, lieber Ketzer," sagte er, stolz lächelnd. „Mein Werk ist es; kommt, gehen wir noch ein paar hundert Schritte zusammen!--Was wollte ich sagen? Ja--mein Werk ist es; denn ohne mich hätte die Donna gar keine Kunde von ihm bekommen. Ich schrieb ihr, daß er sich in Rom befinde. Ohne mich wäre ihre frühere Ehe nicht für ungültig erklärt worden; ohne mich wäre der Kapitän nicht rechtgläubig geworden, was zur Glorie unserer Kirche notwendig war; ohne mich wäre er nicht von seiner Ketzerin losgekommen,--kurz, ohne mich--ja, ohne mich stände alles noch wie zuvor." „Es ist erstaunlich!" „Höret, Ihr gefallt mir, lieber Ketzer. Hört einmal, werdet auch rechtgläubig. Brauchet Ihr Geld? Könnet haben soviel Ihr wollt, gegen ein Reverschen, zahlbar gleich nach Sicht. O, damit kann man einen köstlich in Verlegenheit bringen. Brauchet Ihr eine schöne, frische, reiche Frau? Ich habe eine Nichte, Ihr sollt sie haben. Brauchet Ihr Ehren und Würden? Ich will Euch _pro primo_ den goldenen Sporenorden verschaffen. Es kann ihn zwar jeder Narr um einige Scudi kaufen--aber Ihr sollet ihn umsonst haben. Wollet Ihr in Eurer barbarischen Heimat große Ehrenstellen? Dürfet nur befehlen. Wir haben dort großen Einfluß, geheim und öffentlich. Na! was sagt Ihr dazu?" „Der Vorschlag ist nicht übel," erwiderte ich. „Ihr seid nobel in Euern Versprechungen. Ich glaube, Ihr könntet den Teufel selbst katholisch machen?" „_Anathema sit! anathema sit!_ Es wäre uns übrigens nicht schwer," antwortete der Kardinal. „Wir können ihn von seinen zweitausendjährigen Sünden absolvieren und dann taufen. Überdies ist er ein dummer Kerl, der Teufel, und hat sich von der Kirche noch immer überlisten lassen!" „Wisset Ihr das so gewiß?" „Das will ich meinen. Zum Beispiel, kennet Ihr die Geschichte, die er mit einem Franziskaner gehabt?" „Nein, ich bitte Euch, erzählet!" „Ein Franziskaner zankte sich einmal mit ihm wegen einer armen Seele. Der Teufel wollte sie durchaus haben und hatte allerdings nach dem Maß ihrer Sünden das Recht dazu. Der Mönch aber wollte sie _in majorem dei gloriam_ für den Himmel zustutzen. Da schlug endlich der Satan vor, sie wollten würfeln; wer die meisten Augen mit drei Würfeln werfe, solle die Seele haben. Der Teufel warf zuerst, und, wie er ein falscher Spieler ist, warf er achtzehn; er lachte den Franziskaner aus. Doch dieser ließ sich, nicht irre machen. Er nahm die Würfel und warf--neunzehn. Und die Seele war sein." „Herr, das ist erlogen," rief ich, „wie kann er mit drei Würfeln neunzehn werfen?" „Ei, wer fragt nach der Möglichkeit? Genug, er hat's getan, es war ein Wunder. Nun, kommet morgen in mein Haus, lieber Sohn, wir wollen dann den Unterricht beginnen." Er gab mir den Segen und wankte weiter. „Nein, Freund Rocco!" dachte ich. „Eher bekomme ich dich als du mich. Von dir läßt sich der Satan nicht überlisten." Es trieb mich jetzt, nach dem Hause des Berliners zu gehen, den ich schwer verwundet verlassen hatte. Zu meiner großen Verwunderung sagte man mir, er sei ausgegangen, und werde wohl vor Nacht nicht zurückkehren. So mußte ich den Gedanken aufgeben, heute noch zu erfahren, wie es ihm ergangen sei, wie das Fräulein sich befinde, ob er wohl Hoffnung habe, jetzt, da der Kapitän auf immer für sie verloren sei, sie für sich zu gewinnen. Es blieb mir keine Zeit, ihn heute noch zu sehen; denn den Abend über wußte ich ihn nicht zu finden, und auf die kommende Nacht hatte ich eine Zusammenkunft mit jenen kleineren Geistern verabredet, die als meine Diener die Welt durchstreifen. Ich trat zu diesem Zwecke, als die Nacht einbrach, ins Kolosseum; denn dies war der Ort, wohin ich sie beschieden hatte. Noch war die Stunde nicht da; aber ich liebe es, in der Stille der Nacht auf den Trümmern einer großen Vorzeit meinen Gedanken über das Geschlecht der Sterblichen nachzuhängen. Wie erhaben sind diese majestätischen Trümmer in einer schönen Mondnacht! Ich stieg hinab in den mittleren Raum. Aus dem blauen, unbewölkten Himmel blickte der Mond durch die gebrochenen Wölbungen der Bogen herein, und die hohen überwachsenen Mauern der Ruine warfen lange Schatten über die Arena. Dunkle Gestalten schienen durch die verfallenen Gänge zu schweben, wenn ein leiser Wind die Gesträuche bewegte und ihren Schatten hin und wieder zog. Wo sie schwebten, diese Schatten, da sah man einst ein fröhliches Volk, schöne Frauen, tapfere Männer und die ernste, feierliche Pracht der kriegerischen Kaiser. Geschlecht um Geschlecht ist hinunter, diese Mauern allein überdauerten ihre Zeit, um durch ihre erhabenen Formen diese Sterblichen zu erinnern, wie unendlich größer der Sinn jenes Volkes war, das einst ein Jahrtausend vor ihnen um diese Stätte lebte. Die ernste Würde der Konsuln und des Senates, der kriegerische Prunk der Cäsaren und--d i e s e r römische Hof und d i e s e Römer! Der Mond war, während ich zu mir sprach, heraufgekommen und stand jetzt gerade über dem Zirkus. Ich sah mich um; da gewahrte ich, daß ich nicht allein in den Ruinen sei. Eine dunkle Gestalt saß seitwärts auf dem gebrochenen Schaft einer Säule. Ich trat näher hin,--es war Otto von S..... Ich war freudig erstaunt, ihn zu sehen. Ich warf mich schnell in den Herrn von Stobelberg, um mit ihm zu sprechen. Ich redete ihn an und wünschte ihm Glück, ihn so gesund zu sehen. Er richtete sich auf; der Mond beschien ein sehr bleiches Gesicht, weinende Augen blickten mich wehmütig an, schweigend sank er an meine Brust. „Sie scheinen noch nicht ganz geheilt, Lieber!" sagte ich. „Sie sind noch sehr bleich; die Nachtluft wird Ihnen schaden!" Er verneinte es mit dem Haupt, ohne zu sprechen. Was war doch dem armen Jungen geschehen, hatte er wohl von neuem einen Korb bekommen? „Nun, ein Mittel gibt es wohl, Sie gänzlich zu heilen," fuhr ich fort. „Jetzt steht Ihnen ja nichts mehr im Wege, jetzt wird sie hoffentlich so spröde nicht mehr sein. Ich will den Brautwerber machen. Sie müssen Mut fassen, Luise wird Sie erhören, und dann ziehen Sie mit ihr aus dieser unglücklichen Stadt, führen sie nach Berlin zu der Tante. Wie werden sich die ästhetischen Damen wundern, wenn Sie Ihre Novelle auf diese Art schließen und die holde Erscheinung aus den Lamentationen persönlich einführen!" Er schwieg, er weinte stille. „Oder wie! Haben Sie etwa den Versuch schon gemacht? Sollten Sie abgewiesen worden sein? Will sie die Rolle der Spröden fortspielen?" „Sie ist tot!" antwortete der junge Mann. „Ist's möglich! Höre ich recht? So plötzlich ist sie gestorben?" „Der Gram hat ihr Herz gebrochen. Heute hat man sie begraben." Er sagte es, drückte mir die Hand, und einsam weinend ging er durch die Ruinen des Kolosseums. * * * * * *** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK, MITTEILUNGEN AUS DEN MEMOIREN DES SATAN V2 *** This file should be named 8msv210.txt or 8msv210.zip Corrected EDITIONS of our eBooks get a new NUMBER, 8msv211.txt VERSIONS based on separate sources get new LETTER, 8msv210a.txt Project Gutenberg eBooks are often created from several printed editions, all of which are confirmed as Public Domain in the US unless a copyright notice is included. Thus, we usually do not keep eBooks in compliance with any particular paper edition. 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If the value per text is nominally estimated at one dollar then we produce $2 million dollars per hour in 2002 as we release over 100 new text files per month: 1240 more eBooks in 2001 for a total of 4000+ We are already on our way to trying for 2000 more eBooks in 2002 If they reach just 1-2% of the world's population then the total will reach over half a trillion eBooks given away by year's end. The Goal of Project Gutenberg is to Give Away 1 Trillion eBooks! This is ten thousand titles each to one hundred million readers, which is only about 4% of the present number of computer users. Here is the briefest record of our progress (* means estimated): eBooks Year Month 1 1971 July 10 1991 January 100 1994 January 1000 1997 August 1500 1998 October 2000 1999 December 2500 2000 December 3000 2001 November 4000 2001 October/November 6000 2002 December* 9000 2003 November* 10000 2004 January* The Project Gutenberg Literary Archive Foundation has been created to secure a future for Project Gutenberg into the next millennium. We need your donations more than ever! 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