The Project Gutenberg eBook, Die Aufgeregten, by Johann Wolfgang von Goethe This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included with this eBook or online at www.gutenberg.net Title: Die Aufgeregten Author: Johann Wolfgang von Goethe Release Date: December 9, 2003 [eBook #10428] Language: German Character set encoding: ASCII ***START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK DIE AUFGEREGTEN*** E-text prepared by Andrew Sly This Etext is in German. We are releasing two versions of this Etext, one in 7-bit format, known as Plain Vanilla ASCII, which can be sent via plain email-- and one in 8-bit format, which includes higher order characters-- which requires a binary transfer, or sent as email attachment and may require more specialized programs to display the accents. This is the 7-bit version. Die Aufgeregten Politisches Drama in fuenf Aufzuegen Johann Wolfgang von Goethe Personen Die Graefin. Friederike, ihre Tochter. Karl, ihr Soehnchen. Der Baron, ein Vetter. Der Hofrat. Breme von Bremenfeld, Chirurgus. Karoline, Bremens Tochter. Luise, Bremens Nichte. Der Magister, Hofmeister des jungen Grafen. Der Amtmann. Jakob, junger Landmann und Jaeger. Martin, Albert, Peter, Landleute. Georg, Bedienter der Graefin. Erster Aufzug Erster Auftritt (Ein gemeines Wohnzimmer, an der Wand zwei Bilder, eines buergerlichen Mannes und seiner Frau, in der Tracht, wie sie vor fuenfzig oder sechzig Jahren zu sein pflegte. Nacht.) Luise, an einem Tisch, worauf ein Licht steht, strickend. Karoline, in einem Grossvatersessel gegenueber, schlafend. Luise (einen eben vollendeten gestrickten Strumpf in die Hoehe haltend). Wieder ein Strumpf! Nun wollt' ich, der Onkel kaeme nach Hause; denn ich habe nicht Lust, einen andern anzufangen. (Sie steht auf und geht ans Fenster.) Er bleibt heut' ungewoehnlich lange weg, sonst kommt er doch gegen elf Uhr, und es ist jetzt schon Mitternacht. (Sie tritt wieder an den Tisch.) Was die franzoesische Revolution Gutes oder Boeses stiftet, kann ich nicht beurteilen; so viel weiss ich, dass sie mir diesen Winter einige Paar Struempfe mehr einbringt. Die Stunden, die ich jetzt wachen und warten muss, bis Herr Breme nach Hause kommt, haett' ich verschlafen, wie ich sie jetzt verstricke, und er verplaudert sie, wie er sie sonst verschlief. Karoline (im Schlaf redend). Nein, nein! Mein Vater! Luise (sich dem Sessel naehernd). Was gibt's, liebe Muhme?--Sie antwortet nicht!--Was nur dem guten Maedchen sein mag! Sie ist still und unruhig; des Nachts schlaeft sie nicht, und jetzt, da sie vor Muedigkeit eingeschlafen ist, spricht sie im Traum. Sollte meine Vermutung gegruendet sein? Sollte der Baron in diesen wenigen Tagen einen solchen Eindruck auf die gemacht haben, so schnell und so stark? (Hervortretend.) Wunderst du dich, Luise, und hast du nicht selbst erfahren, wie die Liebe wirkt, wie schnell und wie stark! Zweiter Auftritt Die Vorigen. Georg. Georg (heftig und aengstlich). Liebes Mamsellchen, geben Sie mir geschwinde, geschwinde-- Luise. Was denn, Georg? Georg. Geben Sie mir die Flasche. Luise. Was fuer eine Flasche? Georg. Ihr Herr Onkel sagte, Sie sollen mir die Flasche geschwinde geben; sie steht in der Kammer, oben auf dem Brett rechter Hand. Luise. Da stehen viele Flaschen; was soll denn drinn sein? Georg. Spiritus. Luise. Es gib allerlei Spiritus; hat er sich nicht deutlicher erklaert? Wozu soll's denn? Georg. Er sagt' es wohl, ich war aber so erschrocken. Ach, der junge Herr-- Karoline (die aus dem Schlaf auffaehrt). Was gibt's?--Der Baron? Luise. Der junge Graf? Georg. Leider, der junge Graf! Karoline. Was ist ihm begegnet? Georg. Geben Sie mir den Spiritus. Luise. Sage nur, was dem jungen Grafen begegnet ist, so weiss ich wohl, was der Onkel fuer eine Flasche braucht. Georg. Ach, das gute Kind! Was wird die Frau Graefin sagen, wenn sie morgen kommt! Wie wird sie uns ausschelten! Karoline. So red' Er doch! Georg. Er ist gefallen, mit dem Kopf vor eine Tischecke, das Gesicht ist ganz in Blut; wer weiss, ob nicht gar das Auge gelitten hat. Luise (indem sie einen Wachsstock anzuendet und in die Kammer geht). Nun weiss ich, was sie brauchen. Karoline. So spaet! Wie ging das zu? Georg. Liebes Mamsellchen, ich dachte lange, es wuerde nichts Gutes werden. Da sitzt Ihr Vater und der Hofmeister alle Abend beim alten Pfarrer und lesen die Zeitungen und Monatsschriften, und so disputieren sie und koennen nicht fertig werden, und das arme Kind muss dabei sitzen; da druckt sich's denn in eine Ecke, wenn's spaet wird, und schlaeft ein, und wenn sie aufbrechen, da taumelt das Kind schlaftrunken mit, und heute--nun sehen Sie--da schlaegt's eben zwoelfe--heute bleiben sie ueber alle Gebuehr aus, und ich sitze zu Hause und habe Licht brennen, und dabei stehen die andern Lichter fuer den Hofmeister und den jungen Herrn, und Ihr Vater und der Magister bleiben vor der Schlossbruecke stehen und koennen noch nicht fertig werden-- Luise (kommt mit einem Glase zurueck). Georg (faehrt fort). Und das Kind kommt in den Saal getappt und ruft mich, und ich fahre auf und will die Lichter anzuenden, wie ich immer tue, und wie ich schlaftrunken bin, loesche ich das Licht aus. Indessen tappt das Kind die Treppe hinauf, und auf dem Vorsaal stehen die Stuehle und Tische, die wir morgen frueh in die Zimmer verteilen wollen; das Kind weiss es nicht, geht geradezu, stoesst sich, faellt, wir hoeren es schreien, ich mache Laerm, ich mache Licht, und wie wir hinaufkommen, liegt's da und weiss kaum von sich selbst. Das ganze Gesicht ist blutig. Wenn es ein Auge verloren hat, wenn es gefaehrlich wird, geh' ich morgen frueh auf und davon, eh' die Frau Graefin ankommt; mag's verantworten, wer will! Luise (die indessen einige Buendelchen Leinwand aus der Schublade genommen, gibt ihm die Flasche). Hier! Geschwind! Trage das hinueber und nimm die Laeppchen dazu, ich komme gleich selbst. Der Himmel verhuete, dass es so uebel sei! Geschwind, Georg, geschwind! (Georg ab.) Halte warmes Wasser bereit, wenn der Onkel nach Hause kommt und Kaffee verlangt. Ich will geschwind hinueber. Es waere entsetzlich, wenn wir unsere gute Graefin so empfangen muessten. Wie empfahl sie nicht dem Magister, wie empfahl sie nicht mir das Kind bei ihrer Abreise! Leider hab' ich sehen muessen, dass es die Zeit ueber sehr versaeumt worden ist. Dass man doch gewoehnlich seine naechste Pflicht versaeumt! (Ab.) Dritter Auftritt Karoline. Hernach der Baron. Karoline (nachdem sie einige Mal nachdenkend auf und ab gegangen). Er verlaesst mich keinen Augenblick, auch im Traum selbst war er mir gegenwaertig. O, wenn ich glauben koennte, dass sein Herz, seine Absichten so redlich sind, als seine Blicke, sein Betragen reizend und einnehmend ist! Ach, und die Art, mit der er alles zu sagen weiss, wie edel er sich ausdrueckt! Man sage, was man will, welche Vorzuege gibt einem Menschen von edler Geburt eine standesmaessige Erziehung! Ach, dass ich doch seinesgleichen waere! Der Baron (an der Tuere). Sind Sie allein, beste Karoline? Karoline. Herr Baron, wo kommen Sie her? Entfernen Sie sich! Wenn mein Vater kaeme! Es ist nicht schoen, mich so zu ueberfallen. Baron. Die Liebe, die mich hieher fuehrt, wird auch mein Fuersprecher bei Ihnen sein, angebetete Karoline. (Er will sie umarmen.) Karoline. Zurueck, Herr Baron! Sie sind sehr verwegen. Wo kommen Sie her? Baron. Ein Geschrei weckt mich, ich springe herunter und finde, dass mein Neffe sich eine Brausche gefallen hat. Ich finde Ihren Vater um das Kind beschaeftigt, nun kommt auch Ihre Muhme, ich sehe, dass es keine Gefahr hat, es faellt mir ein: Karoline ist allein--und was kann mir bei jeder Gelegenheit anders einfallen als Karoline? Die Augenblicke sind kostbar, schoenes, angenehmes Kind! Gestehen Sie mir, sagen Sie mir, dass Sie mich lieben. (Will sie umarmen.) Karoline. Noch einmal, Herr Baron! Lassen Sie mich, und verlassen Sie dieses Haus! Baron. Sie haben versprochen, mich so bald als moeglich zu sehen, und wollen mich nun entfernen? Karoline. Ich habe versprochen, morgen frueh mit Sonnenaufgang in dem Garten zu sein, mit Ihnen spazieren zu gehen, mich Ihrer Gesellschaft zu freuen. Hieher hab' ich Sie nicht eingeladen. Baron. Aber die Gelegenheit-- Karoline. Hab' ich nicht gemacht. Baron. Aber ich benutze sie; koennen Sie mir es verdenken? Karoline. Ich weiss nicht, was ich von Ihnen denken soll. Baron. Auch Sie--lassen Sie es mich frei gestehen--auch Sie erkenne ich nicht. Karoline. Und worin bin ich mir denn so unaehnlich? Baron. Koennen Sie noch fragen? Karoline. Ich muss wohl, ich begreife Sie nicht. Baron. Ich soll reden? Karoline. Wenn ich Sie verstehen soll. Baron. Nun gut. Haben Sie nicht seit den drei Tagen, die ich Sie kenne, jede Gelegenheit gesucht, mich zu sehen, und zu sprechen? Karoline. Ich leugne es nicht. Baron. Haben Sie mir nicht, sooft ich Sie ansah, mit Blicken geantwortet? Und mit was fuer Blicken! Karoline (verlegen). Ich kann meine eignen Blicke nicht sehen. Baron. Aber fuehlen, was sie bedeuten.--Haben Sie mir, wenn ich Ihnen im Tanze die Hand drueckte, die Hand nicht wieder gedrueckt? Karoline. Ich erinnere mich's nicht. Baron. Sie haben ein kurzes Gedaechtnis, Karoline. Als wir unter der Linde drehten, und ich Sie zaertlich an mich schloss, damals stiess mich Karoline nicht zurueck. Karoline. Herr Baron, Sie haben sich falsch ausgelegt, was ein gutherziges, unerfahrnes Maedchen-- Baron. Liebst du mich? Karoline. Noch einmal, verlassen Sie mich! Morgen fruehe-- Baron. Werde ich ausschlafen. Karoline. Ich werde Ihnen sagen-- Baron. Ich werde nichts hoeren. Karoline. So verlassen Sie mich. Baron (sich entfernend). O, es ist mir leid, dass ich gekommen bin. Karoline (allein, nach einer Bewegung, als wenn sie ihn aufhalten wollte). Er geht, ich muss ihn fortschicken, ich darf ihn nicht halten. Ich liebe ihn und muss ihn verscheuchen. Ich war unvorsichtig und bin ungluecklich. Weg sind meine Hoffnungen auf den schoenen Morgen, weg die goldnen Traeume, die ich zu naehren wagte. O, wie wenig Zeit braucht es, unser ganzes Schicksal umzukehren! Vierter Auftritt Karoline. Breme. Karoline. Lieber Vater, wie geht's? Was macht der junge Graf? Breme. Es ist eine starke Kontusion; doch ich hoffe, die Laesion soll nicht gefaehrlich sein. Ich werde eine vortreffliche Kur machen, und der Herr Graf wird sich kuenftig, sooft er sich im Spiegel besieht, bei der Schmarre mit Achtung seines geschickten Chirurgi, seines Breme von Bremenfeld erinnern. Karoline. Die arme Graefin! Wenn sie nur nicht schon morgen kaeme. Breme. Desto besser! Und wenn sie den uebeln Zustand des Patienten mit Augen sieht, wird sie, wenn die Kur vollbracht ist, desto mehr Ehrfurcht fuer meine Kunst empfinden. Standespersonen muessen auch wissen, dass sie und ihre Kinder Menschen sind; man kann sie nicht genug empfinden machen, wie verehrungswuerdig ein Mann ist, der ihnen in ihren Noeten beisteht, denen sie wie alle Kinder Adams unterworfen sind, besonders ein Chirurgus. Ich sage dir, mein Kind, ein Chirurgus ist der verehrungswuerdigste Mann auf dem ganzen Erdboden. Der Theolog befreit dich von der Suende, die er selbst erfunden hat; der Jurist gewinnt dir deinen Prozess und bringt deinen Gegner, der gleiches Recht hat, an den Bettelstab; der Medikus kuriert dir eine Krankheit weg, die andere herbei, und du kannst nie recht wissen, ob er dir genutzt oder geschadet hat: Der Chirurgus aber befreit dich von einem reellen Uebel, das du dir selbst zugezogen hast, oder das dir zufaellig und unverschuldet ueber den Hals kommt; er nutzt dir, schadet keinem Menschen, und du kannst dich unwidersprechlich ueberzeugen, dass seine Kur gelungen ist. Karoline. Freilich auch, wenn sie nicht gelungen ist. Breme. Das lehrt dich den Pfuscher vom Meister unterscheiden. Freue dich, meine Tochter, dass du einen solchen Meister zum Vater hast: Fuer ein wohl denkendes Kind ist nichts ergoetzlicher, als sich seiner Eltern und Grosseltern zu freuen. Karoline (sie nachahmend). Das tu' ich, mein Vater. Breme (sie nachahmend). Das tust du, mein Toechterchen, mit einem betruebten Gesichtchen und weinerlichen Tone.--Das soll doch wohl keine Freude vorstellen? Karoline. Ach, mein Vater! Breme. Was hast du, mein Kind? Karoline. Ich muss es Ihnen gleich sagen. Breme. Was hast du? Karoline. Sie wissen, der Baron hat diese Tage her sehr freundlich, sehr zaertlich mit mir getan; ich sagt' es Ihnen gleich und fragte Sie um Rat. Breme. Du bist ein vortreffliches Maedchen! Wert, als eine Prinzessin, eine Koenigin aufzutreten. Karoline. Sie rieten mir, auf meiner Hut zu sein, auf mich wohl Acht zu haben, aber auch auf ihn; mir nichts zu vergeben, aber auch ein Glueck, wenn es mich aufsuchen sollte, nicht von mir zu stossen. Ich habe mich gegen ihn betragen, dass ich mir keine Vorwuerfe zu machen habe; aber er-- Breme. Rede, mein Kind, rede! Karoline. O, es ist abscheulich. Wie frech, wie verwegen!-- Breme. Wie? (Nach einer Pause.) Sage mir nichts, meine Tochter, du kennst mich, ich bin eines hitzigen Temperaments, ein alter Soldat; ich wuerde mich nicht fassen koennen, ich wuerde einen tollen Streich machen. Karoline. Sie koennen es hoeren, mein Vater, ohne zu zuernen; ich darf es sagen, ohne rot zu werden. Er hat meine Freundlichkeit uebel ausgelegt, er hat sich in Ihrer Abwesenheit, nachdem Luise auf das Schloss geeilt war, hier ins Haus geschlichen. Er war verwegen, aber ich wies ihn zurechte. Ich trieb ihn fort, und ich darf wohl sagen: Seit diesem Augenblick haben sich meine Gesinnungen gegen ihn geaendert. Er schien mir liebenswuerdig, als er gut war, als ich glauben konnte, dass er es gut mit mir meine; jetzt kommt er mir vor: Schlimmer als jeder andere. Ich werde Ihnen alles, wie bisher, erzaehlen, alles gestehen und mich Ihrem Rat ganz allein ueberlassen. Breme. Welch ein Maedchen! Welch ein vortreffliches Maedchen! O, ich beneidenswerter Vater! Wartet nur, Herr Baron, wartet nur! Die Hunde werden von der Kette loskommen und den Fuechsen den Weg zum Taubenschlag verrennen. Ich will nicht Breme heissen, nicht den Namen Bremenfeld verdienen, wenn in kurzem nicht alles anders werden soll. Karoline. Erzuernt Euch nicht, mein Vater! Breme. Du gibst mir ein neues Leben, meine Tochter; ja, fahre fort, deinen Stand durch deine Tugend zu zieren, gleiche in allem deiner vortrefflichen Urgrossmutter, der seligen Burgemeisterin von Bremenfeld. Diese wuerdige Frau war durch Sittsamkeit die Ehre ihres Geschlechts und durch Verstand die Stuetze ihres Gemahls. Betrachte dieses Bild jeden Tag, jede Stunde, ahme sie nach und werde verehrungswuerdig wie sie! (Karoline sieht das Bild an und lacht.) Was lachst du, meine Tochter? Karoline. Ich will meiner Urgrossmutter gern in allem Guten folgen, wenn ich mich nur nicht anziehen soll wie sie. Ha, ha, ha! Sehn Sie nur, so oft ich das Bild ansehe, muss ich lachen, ob ich es gleich alle Tage vor Augen habe, ha, ha, ha! Sehn Sie nur das Haeubchen, dass wie Fledermausfluegel vom Kopf los steht. Breme. Nun, nun! Zu ihrer Zeit lachte niemand darueber, und wer weiss, wer ueber euch kuenftig lacht, wenn er euch gemalt sieht; denn ihr seid sehr selten angezogen und aufgeputzt, dass ich sagen moechte, ob du gleich meine huebsche Tochter bist: Sie gefaellt mir! Gleiche dieser vortrefflichen Frau an Tugenden und kleide dich mit besserm Geschmack, so hab' ich nichts dagegen, vorausgesetzt, dass, wie sie sagen, der gute Geschmack nicht teurer ist als der schlechte. Uebrigens daecht' ich, du gingst zu Bette; denn es ist spaet. Karoline. Wollen Sie nicht noch Kaffee trinken? Das Wasser siedet, er ist gleich gemacht. Breme. Setze nur alles zurechte, schuette den gemahlenen Kaffee in die Kanne, das heisse Wasser will ich selbst darueber giessen. Karoline. Gute Nacht, mein Vater! (Geht ab.) Breme. Schlaf wohl, mein Kind. Fuenfter Auftritt Breme allein. Dass auch das Unglueck just diese Nacht geschehen musste! Ich hatte alles klueglich eingerichtet, meine Einteilung der Zeit als ein echter Praktikus gemacht. Bis gegen Mitternacht hatten wir zusammen geschwatzt, da war alles ruhig; nachher wollte ich meine Tasse Kaffee trinken, meine bestellten Freunde sollten kommen zu der geheimnisvollen Ueberlegung. Nun hat's der Henker! Alles ist in Unruhe. Sie wachen im Schloss, dem Kinde Umschlaege aufzulegen. Wer weiss, wo sich der Baron herumdrueckt, um meiner Tochter aufzupassen. Beim Amtmann seh' ich Licht, bei dem verwuenschten Kerl, den ich am meisten scheue. Wenn wir entdeckt werden, so kann der groesste, schoenste, erhabenste Gedanke, der auf mein ganzes Vaterland Einfluss haben soll, in der Geburt erstickt werden. (Er geht ans Fenster.) Ich hoere jemand kommen; die Wuerfel sind geworfen, wir muessen nun die Steine setzen; ein alter Soldat darf sich vor nichts fuerchten. Bin ich denn nicht bei dem grossen unueberwindlichen Fritz in die Schule gegangen? Sechster Auftritt Breme. Martin. Breme. Seid Ihr's, Gevatter Martin? Martin. Ja, lieber Gevatter Breme, das bin ich. Ich habe mich ganz stille aufgemacht, wie die Glocke zwoelfe schlug, und bin hergekommen; aber ich habe noch Laerm gehoert und hin und wider gehen, und da bin ich im Garten einige Mal auf und ab geschlichen, bis alles ruhig war. Sagt mir nur, was Ihr wollt, Gevatter Breme, dass wir so spaet bei Euch zusammenkommen, in der Nacht; koennten wir's denn nicht bei Tage abmachen? Breme. Ihr sollt alles erfahren, nur muesst Ihr Geduld haben, bis die andern alle beisammen sind. Martin. Wer soll denn noch alles kommen? Breme. Alle unsere guten Freunde, alle vernuenftigen Leute. Ausser Euch, der Ihr Schulze von dem Ort hier seid, kommt noch Peter, der Schulze von Rosenhahn, und Albert, der Schulze von Wiesengruben; ich hoffe, auch Jakob wird kommen, der das huebsche Freigut besitzt. Dann sind recht ordentliche und vernuenftige Leute beisammen, die schon was ausmachen koennen. Martin. Gevatter Breme, Ihr seid ein wunderlicher Mann; es ist Euch alles eins, Nacht und Tag, Tag und Nacht, Sommer und Winter. Breme. Ja, wenn das auch nicht so waere, koennte nichts Rechts werden. Wachen oder Schlafen, das ist mir auch ganz gleich. Es war nach der Schlacht bei Leuthen, wo unsere Lazarette sich in schlechtem Zustande befanden und sich wahrhaftig noch in schlechterem Zustande befunden haetten, waere Breme nicht damals ein junger ruestiger Bursche gewesen. Da lagen viele Blessierte, viele Kranke, und alle Feldscherer waren alt und verdrossen, aber Breme ein junger tuechtiger Kerl, Tag und Nacht parat. Ich sag' Euch, Gevatter, dass ich acht Naechte nacheinander weg gewacht und am Tage nicht geschlafen habe. Das merkte sich aber auch der alte Fritz, der alles wusste, was er wissen wollte. Hoere Er, Breme, sagte er einmal, als er in eigner Person das Lazarett visitierte, hoere Er, Breme, man sagt, dass Er an der Schlaflosigkeit krank liege.--Ich merkte, wo das hinaus wollte; denn die andern stunden alle dabei; ich fasste mich und sagte: Ihro Majestaet, das ist eine Krankheit, wie ich sie allen Ihren Dienern wuensche, und da sie keine Mattigkeit zuruecklaesst, und ich den Tag auch noch brauchbar bin, so hoffe ich, dass Seine Majestaet deswegen keine Ungnade auf mich werfen werden. Martin. Ei, ei! Wie nahm denn das der Koenig auf? Breme. Er sah ganz ernsthaft aus, aber ich sah ihm wohl an, dass es ihm wohl gefiel. Breme, sagte er, womit vertreibt Er sich denn die Zeit? Da fasst' ich mir wieder ein Herz und sagte: Ich denke an das, was Ihro Majestaet getan haben und noch tun werden, und da koennt' ich Methusalems Jahre erreichen und immer fort wachen und koennt's doch nicht ausdenken. Da tat er, als hoert' er's nicht, und ging vorbei. Nun war's wohl acht Jahre darnach, da fasst' er mich bei der Revue wieder ins Auge. Wacht Er noch immer, Breme? reif er. Ihro Majestaet, versetzt' ich, lassen einem ja im Frieden so wenig Ruh als im Kriege. Sie tun immer so grosse Sachen, dass sich ein gescheiter Kerl daran zuschanden denkt. Martin. So habt Ihr mit dem Koenig gesprochen, Gevatter? Durfte man so mit ihm reden? Breme. Freilich durfte man so und noch ganz anders; denn er wusste alles besser. Es war ihm einer wie der andere, und der Bauer lag ihm am mehrsten am Herzen. Ich weiss wohl, sagte er zu seinen Ministern, wenn sie ihm das und jenes einreden wollten, die Reichen haben viele Advokaten, aber die Duerftigen haben nur einen, und das bin ich. Martin. Wenn ich ihn doch nur auch gesehen haette! Breme. Stille, ich hoere was! Es werden unsere Freunde sein. Sieh da! Peter und Albert. Siebenter Auftritt Peter. Albert. Die Vorigen. Breme. Willkommen!--Ist Jakob nicht bei euch? Peter. Wir haben uns bei den drei Linden bestellt; aber er blieb uns zu lang aus, nun sind wir allein da. Albert. Was habt Ihr uns Neues zu sagen, Meister Breme? Ist was von Wetzlar gekommen, geht der Prozess vorwaerts? Breme. Eben weil nichts gekommen ist, und weil, wenn was gekommen waere, es auch nicht viel heissen wuerde, so wollt' ich euch eben einmal meine Gedanken sagen: Denn ihr wisst wohl, ich nehme mich der Sachen aller, aber nicht oeffentlich, an, bis jetzt nicht oeffentlich; denn ich darf's mit der gnaedigen Herrschaft nicht ganz verderben. Peter. Ja, wir verduerben's auch nicht gern mit ihr, wenn sie's nur halbweg leidlich machte. Breme. Ich wollte euch sagen--wenn nur Jakob da waere, dass wir alle zusammen waeren, und dass ich nichts wiederholen muesste, und wir einig wuerden. Albert. Jakob? Es ist fast besser, dass er nicht dabei ist. Ich traue ihm nicht recht; er hat das Freiguetchen, und wenn er auch wegen der Zinsen mit uns gleiches Interesse hat, so geht ihn doch die Strasse nichts an, und er hat sich im ganzen Prozess gar zu laessig bewiesen. Breme. Nun, so lasst's gut sein. Setzt euch und hoert mich an. (Sie setzen sich.) Martin. Ich bin recht neugierig, zu hoeren. Breme. Ihr wisst, dass die Gemeinden schon vierzig Jahre lang mit der Herrschaft einen Prozess fuehren, der auf langen Umwegen endlich nach Wetzlar gelangt ist und von dort den Weg nicht zurueckfinden kann. Der Gutsherr verlangt Fronen und andere Dienste, die ihr verweigert, und mit Recht verweigert; denn es ist ein Rezess geschlossen worden mit dem Grossvater unsers jungen Grafen--Gott erhalt' ihn!--Der sich diese Nacht eine erschreckliche Brausche gefallen hat. Martin. Eine Brausche? Peter. Gerade diese Nacht? Albert. Wie ist das zugegangen? Martin. Das arme liebe Kind! Breme. Das will ich euch nachher erzaehlen. Nun hoert mich weiter an. Nach diesem geschlossenen Rezess ueberliessen die Gemeinden an die Herrschaft ein paar Fleckchen Holz, einige Wiesen, einige Triften und sonst noch Kleinigkeiten, die euch von keiner Bedeutung waren und der Herrschaft viel nutzten; denn man sieht, der alte Graf war ein kluger Herr, aber auch ein guter Herr. Leben und leben lassen, war sein Spruch. Er erliess den Gemeinden dagegen einige zu entbehrende Fronen und-- Albert. Und das sind die, die wir noch immer leisten muessen. Breme. Und machte ihnen einige Konvenienzen-- Martin. Die wir noch nicht geniessen. Breme. Richtig, weil der Graf starb, die Herrschaft sich in Besitz dessen setzte, was ihr zugestanden war, der Krieg einfiel, und die Untertanen noch mehr tun mussten, als sie vorher getan hatten. Peter. Es ist akkurat so; so hab' ich's mehr als einmal aus des Advokaten Munde gehoert. Breme. Und ich weiss es besser als der Advokat, denn ich sehe weiter. Der Sohn des Grafen, der verstorbene gnaedige Herr, wurde eben um die Zeit volljaehrig. Das war, bei Gott! Ein wilder boeser Teufel, der wollte nichts herausgeben und misshandelte euch ganz erbaermlich. Er war im Besitz, der Rezess war fort und nirgends zu finden. Albert. Waere nicht noch die Abschrift da, die unser verstorbener Pfarrer gemacht hat, wir wuessten kaum etwas davon. Breme. Diese Abschrift ist euer Glueck und euer Unglueck. Diese Abschrift gilt alles vor jedem billigen Menschen, vor Gericht gilt sie nichts. Haettet ihr diese Abschrift nicht, so waeret ihr ungewiss in dieser Sache. Haette man diese Abschrift der Herrschaft nicht vorgelegt, so wuesste man nicht, wie ungerecht sie denkt. Martin. Da muesst Ihr auch wieder billig sein. Die Graefin leugnet nicht, dass vieles fuer uns spricht; nur weigert sie sich, den Vergleich einzugehen, weil sie, in Vormundschaft ihres Sohnes, sich nicht getraut, so etwas abzuschliessen. Albert. In Vormundschaft ihres Sohnes! Hat sie nicht den neuen Schlossfluegel bauen lassen, den er vielleicht sein Lebtage nicht bewohnt; denn er ist nicht gern in dieser Gegend. Peter. Und besonders, da er nun eine Brausche gefallen hat. Albert. Hat sie nicht den grossen Garten und die Wasserfaelle anlegen lassen, worueber ein paar Muehlen haben muessen weggekauft werden? Das getraut sie sich alles in Vormundschaft zu tun, aber das Rechte, das Billige, das getraut sie sich nicht. Breme. Albert, du bist ein wackerer Mann; so hoer' ich gern reden, und ich gestehe wohl, wenn ich von unserer gnaedigen Graefin manches Gute geniesse und deshalb mich fuer ihren untertaenigen Diener bekenne, so moecht' ich doch auch darin meinen Koenig nachahmen und euer Sachwalter sein. Peter. Das waere recht schoen. Macht nur, dass unser Prozess bald aus wird! Breme. Das kann ich nicht, das muesst ihr. Peter. Wie waere denn das anzugreifen? Breme. Ihr guten Leute wisst nicht, dass alles in der Welt vorwaerts geht, dass heute moeglich ist, was vor zehn Jahren nicht moeglich war. Ihr wisst nicht, was jetzt alles unternommen, was alles ausgefuehrt wird. Martin. O ja, wir wissen, dass in Frankreich jetzt wunderliches Zeug geschieht. Peter. Wunderliches und Abscheuliches! Albert. Wunderliches und Gutes. Breme. So recht, Albert, man muss das Beste waehlen! Da sag' ich nun: Was man in Guete nicht haben kann, soll man mit Gewalt nehmen. Martin. Sollte das gerade das beste sein? Albert. Ohne Zweifel. Peter. Ich daechte nicht. Breme. Ich muss euch sagen, Kinder: Jetzt oder niemals! Albert. Da duerft Ihr uns in Wiesengruben nicht viel vorschwatzen; dazu sind wir fix und fertig. Unsere Leute wollten laengst rebellern; ich habe nur immer abgewehrt, weil mir Herr Breme immer sagte, es sei noch nicht Zeit, und das ist ein gescheiter Mann, auf den ich Vertrauen habe. Breme. Gratias, Gevatter, und ich sage euch: Jetzt ist es Zeit. Albert. Ich glaub's auch. Peter. Nehmt mir's nicht uebel, das kann ich nicht einsehen; denn, wenn's gut Aderlassen ist, gut Purgieren, gut Schroepfen, das steht im Kalender, und darnach weiss ich mich zu richten; aber wenn's just gut Rebellern sei, das, glaub' ich, ist viel schwerer zu sagen. Breme. Das muss unsereiner verstehen. Albert. Freilich versteht Ihr's. Peter. Aber sagt mir nur, woher's eigentlich kommt, dass Ihr's besser versteht als andere gescheite Leute? Breme (gravitaetisch). Erstlich, mein Freund, weil schon vom Grossvater an meine Familie die groessten politischen Einsichten erwiesen. Hier dieses Bildnis zeigt euch meinen Grossvater Hermann Breme von Bremenfeld, der, wegen grosser und vorzueglicher verdienste zum Buergermeister seiner Vaterstadt erhoben, ihr die groessten und wichtigsten Dienste geleistet hat. Dort schwebt sein Andenken noch in Ehren und Segen, wenngleich boshafte, pasquillantische Schauspieldichter seine grossen Talente und gewisse Eigenheiten, die er an sich haben mochte, nicht sehr glimpflich behandelten. Seine tiefe Einsicht in die ganze politische und militaerische Lage von Europa wird ihm selbst von seinen Feinden nicht abgesprochen. Peter. Es war ein huebscher Mann, er sieht recht wohlgenaehrt aus. Breme. Freilich genoss er ruhigere Tage als sein Enkel. Martin. Habt Ihr nicht auch das Bildnis Eures Vaters? Breme. Leider, nein! Doch muss ich euch sagen: Die Natur, indem sie meinen Vater Jost Breme von Bremenfeld hervorbrachte, hielt ihre Kraefte zusammen, um euren Freund mit solchen Gaben auszuruesten, durch die er euch nuetzlich zu werden wuenscht. Doch behuete der Himmel, dass ich mich ueber meine Vorfahren erheben sollte; es wird uns jetzt viel leichter gemacht, und wir koennen mit geringern natuerlichen Vorzuegen eine grosse Rolle spielen. Martin. Nicht zu bescheiden, Gevatter! Breme. Es ist lautre Wahrheit. Sind nicht jetzt der Zeitungen, der Monatsschriften, der fliegenden Blaetter so viel, aus denen wir uns unterrichten, an denen wir unsern Verstand ueben koennen! Haette mein seliger Grossvater nur den tausendsten Teil dieser Hilfsmittel gehabt, er waere ein ganz anderer Mann geworden. Doch, Kinder, was rede ich von mir! Die Zeit vergeht, und ich fuerchte, der Tag bricht an. Der Hahn macht uns aufmerksam, dass wir uns kurz fassen sollen. Habt ihr Mut? Albert. An mir und den Meinigen soll's nicht fehlen. Peter. Unter den Meinigen findet sich wohl einer, der sich an die Spitze stellt; ich verbitte mir den Auftrag. Martin. Seit den paar letzten Predigten, die der Magister hielt, weil der alte Pfarrer so krank liegt, ist das ganze grosse Dorf hier in Bewegung. Breme. Gut! So kann was werden. Ich habe ausgerechnet, dass wir ueber sechshundert Mann stellen koennen. Wollt ihr, so ist in der naechsten Nacht alles getan. Martin. In der naechsten Nacht? Breme. Es soll nicht wieder Mitternacht werden, und ihr sollt wieder haben alles, was euch gebuehrt, und mehr dazu. Peter. So geschwind? Wie waere das moeglich? Albert. Geschwind oder gar nicht. Breme. Die Graefin kommt heute an, sie darf sich kaum besinnen. Rueckt nur bei einbrechender Nacht vor das Schloss und fordert eure Rechte, fordert eine neue Ausfertigung des alten Reverses, macht euch noch einige kleine Bedingungen, die ich euch schon angeben will, lasst sie unterschreiben, lasst sie schwoeren, und so ist alles getan. Peter. Vor einer solchen Gewalttaetigkeit zittern mir Arm' und Beine. Albert. Narr! Wer Gewalt braucht, darf nicht zittern. Martin. Wie leicht koennen sie uns aber ein Regiment Dragoner ueber den Hals ziehen. So arg duerfen wir's doch nicht machen. Das Militaer, der Fuerst, die Regierung wuerden uns schoen zusammenarbeiten. Breme. Gerade umgekehrt. Das ist's eben, worauf ich fusse. Der Fuerst ist unterrichtet, wie sehr das Volk bedruckt sei. Er hat sich ueber die Unbilligkeit des Adels, ueber die Langweiligkeit der Prozesse, ueber die Schikane der Gerichtshalter und Advokaten oft genug deutlich und stark erklaert, so dass man voraussetzen kann: Er wird nicht zurueck, wenn man sich Recht verschafft, da er es selbst zu tun gehindert ist. Peter. Sollte das gewiss sein? Albert. Es wird im ganzen Lande davon gesprochen. Peter. Da waere noch allenfalls was zu wagen. Breme. Wie ihr zu Werke gehen muesst, wie vor allen Dingen der abscheuliche Gerichtshalter beiseite muss, und auf wen noch mehr genau zu sehen ist, das sollt ihr alles noch vor Abend erfahren. Bereitet eure Sachen vor, regt eure Leute an und seid mir um Sechse beim Herrenbrunnen. Dass Jakob nicht kommt, macht ihn verdaechtig; ja, es ist besser, dass er nicht gekommen ist. Gebt auf ihn acht, dass er uns wenigstens nicht schade; an dem Vorteil, den wir uns erwerben, wird er schon teilnehmen wollen. Es wird Tag; lebt wohl und bedenkt nur, dass, was geschehen soll, schon geschehen ist. Die Graefin kommt eben erst von Paris zurueck, wo sie das alles gesehn und gehoert hat, was wir mit so vieler Verwunderung lesen; vielleicht bringt sie schon selbst mildere Gesinnungen mit, wenn sie gelernt hat, was Menschen, die zu sehr gedruckt werden, endlich fuer ihre Rechte tun koennen und muessen. Martin. Lebt wohl, Gevatter, lebt wohl! Punkt Sechse bin ich am Herrenbrunnen. Albert. Ihr seid ein tuechtiger Mann! Lebt wohl. Peter. Ich will Euch recht loben, wenn's gut ablaeuft. Martin. Wir wissen nicht, wie wir's Euch danken sollen. Breme (mit Wuerde). Ihr habt Gelegenheit genug, mich zu verbinden. Das kleine Kapital zum Exempel von zweihundert Talern, das ich der Kirche schuldig bin, erlasst ihr mir ja wohl. Martin. Das soll uns nicht reuen. Albert. Unsere Gemeine ist wohlhabend und wird auch gern was fuer Euch tun. Breme. Das wird sich finden. Das schoene Fleck, das Gemeindegut war und das der Gerichtshalter zum Garten einzaeunen und umarbeiten lassen, das nehmt ihr wieder in Besitz und ueberlasst mir's. Albert. Das wollen wir nicht ansehen, das ist schon verschmerzt. Peter. Wir wollen auch nicht zurueckbleiben. Breme. Ihr habt selbst einen huebschen Sohn und schoenes Gut; dem koennt' ich meine Tochter geben. Ich bin nicht stolz, glaubt mir, ich bin nicht stolz. Ich will Euch gern meinen Schwaeher heissen. Peter. Das Mamsellchen ist huebsch genug; nur ist sie schon zu vornehm erzogen. Breme. Nicht vornehm, aber gescheit. Sie wird sich in jeden Stand zu finden wissen. Doch darueber laesst sich noch vieles reden. Lebt jetzt wohl, meine Freunde, lebt wohl! Alle. So lebt denn wohl! Zweiter Aufzug Erster Auftritt (Vorzimmer der Graefin. Sowohl im Fond als an den Seiten haengen adlige Familienbilder in mannigfaltigen geistlichen und weltlichen Kostuemen.) Der Amtmann tritt herein, und indem er sich umsieht, ob niemand da ist, kommt Luise von der andern Seite. Amtmann. Guten Morgen, Demoiselle! Sind Ihro Exzellenz zu sprechen? Kann ich meine untertaenigste Devotion zu Fuessen legen? Luise. Verziehen Sie einigen Augenblick, Herr Amtmann. Die Frau Graefin wird gleich herauskommen. Die Beschwerlichkeiten der Reise und das Schrecken bei der Ankunft haben einige Ruhe noetig gemacht. Amtmann. Ich bedaure von ganzem Herzen! Nach einer so langen Abwesenheit, nach einer so beschwerlichen Reise ihren einzig geliebten Sohn in einem so schrecklichen Zustande zu finden! Ich muss gestehen, es schaudert mich, wenn ich nur daran denke. Ihro Exzellenz waren wohl sehr alteriert? Luise. Sie koennen sich leicht vorstellen, was eine zaertliche sorgsame Mutter empfinden musste, als sie ausstieg, ins Haus trat und da die Verwirrung fand, nach ihrem Sohne fragte und aus ihrem Stocken und Stottern leicht schliessen konnte, dass ihm ein Unglueck begegnet sei. Amtmann. Ich bedaure von Herzen. Was finden Sie an? Luise. Wir mussten nur geschwind alles erzaehlen, damit sie nicht etwas Schlimmeres besorgte; wir mussten sie zu dem Kinde fuehren, das mit verbundenem Kopf und blutigen Kleidern dalag. Wir hatten nur fuer Umschlaege gesorgt und ihn nicht ausziehen koennen. Amtmann. Es muss ein schrecklicher Anblick gewesen sein. Luise. Sie blickte hin, tat einen lauten Schrei und fiel mir ohnmaechtig in die Arme. Sie war untroestlich, als sie wieder zu sich kam, und wir hatten alle Muehe, sie zu ueberfuehren, dass das Kind sich nur eine starke Beule gefallen, dass es aus der Nase blutet, und dass keine Gefahr sei. Amtmann. Ich moechte' es mit dem Hofmeister nicht teilen, der das gute Kind so vernachlaessigt. Luise. Ich wunderte mich ueber die Gelassenheit der Graefin, besonders da er den Vorfall leichter behandelte, als es ihm in dem Augenblick geziemte. Amtmann. Sie ist gar zu gnaedig, gar zu nachsichtig. Luise. Aber sie kennt ihre Leute und merkt sich alles. Sie weiss, wer ihr redlich und treu dient; sie weiss, wer nur dem Schein nach ihr untertaeniger Knecht ist. Sie kennt die Nachlaessigen so gut als die Falschen, die Unklugen sowohl als die Boesartigen. Amtmann. Sie sagen nicht zu viel; es ist eine vortreffliche Dame, aber ebendeswegen! Der Hofmeister verdiente doch, dass sie ihn geradezu wegschickte. Luise. In allem, was das Schicksal des Menschen betrifft, geht sie langsam zu Werke, wie es einem Grossen geziemt. Es ist nichts schrecklicher als Macht und Uebereilung. Amtmann. Aber Macht und Schwaeche sind auch ein trauriges Paar. Luise. Sie werden der gnaedigen Graefin nicht nachsagen, dass sie schwach sei. Amtmann. Behuete Gott, dass ein solcher Gedanke einem alten treuen Diener einfallen sollte! Aber es ist denn doch erlaubt, zum Vorteil seiner gnaedigen Herrschaft zu wuenschen, dass man manchmal mit mehr Strenge gegen Leute zu Werke gehe, die mit Strenge behandelt sein wollen. Luise. Die Frau Graefin! (Luise tritt ab.) Zweiter Auftritt Die Graefin im Neglige. Der Amtmann. Amtmann. Euer Exzellenz haben zwar auf eine angenehme Weise, doch unvermutet Ihre Dienerschaft ueberrascht, und wir bedauern nur, dass Dieselben bei Ihrer Ankunft durch einen so traurigen Anblick erschreckt worden. Wir hatten alle Anstalten zu Dero Empfang gemacht: Das Tannenreisig zu einer Ehrenpforte liegt wirklich schon im Hofe; die saemtlichen Gemeinden wollten reihenweise an dem Wege stehen und Hochdieselben mit einem lauten Vivat empfangen, und jeder freute sich schon, bei einer so feierlichen Gelegenheit seinen Festtagsrock anzuziehen und sich und seine Kinder zu putzen. Graefin. Es ist mir lieb, dass die guten Leute sich nicht zu beiden Seiten des Wegs gestellt haben; ich haette ihnen unmoeglich ein freundlich Gesicht machen koennen und Ihnen am wenigsten, Herr Amtmann! Amtmann. Wie so? Wodurch haben wir Euer Exzellenz Ungnade verdient? Graefin. Ich kann nicht leugnen, ich war sehr verdriesslich, als ich gestern auf den abscheulichen Weg kam, der gerade da anfaengt, wo meine Besitzungen angehen. Die grosse Reise hab' ich fast auf lauter guten Wegen vollbracht, und eben, da ich wieder in das Meinige zurueckkomme, find' ich sie nicht nur schlechter wie vorm Jahr, sondern so abscheulich, dass sie alle Uebel einer schlechten Chaussee verbinden. Bald tief ausgefahren Loecher, in die der Wagen umzustuerzen droht, aus denen die Pferde mit aller Gewalt ihn kaum herausreissen, bald Steine ohne Ordnung uebereinander geworfen, dass man eine Viertelstunde lang selbst in dem bequemsten Wagen aufs unertraeglichste zusammengeschuettelt wird. Es sollte mich wundern, wenn nichts daran beschaedigt waere. Amtmann. Euer Exzellenz werden mich nicht ungehoert verdammen; nur mein eifriges Bestreben, von Euer Exzellenz Gerechtsamen nicht das mindeste zu vergeben, ist Ursache an diesem ueblen Zustande des Wegs. Graefin. Ich verstehe.-- Amtmann. Sie erlauben, Ihrer tiefen Einsicht nur anheim zu stellen, wie wenig es mir haette ziemen wollen, den widerspenstigen Bauern auch nur ein Haarbreit nachzugeben. Sie sind schuldig, die Wege zu bessern, und da Euer Exzellenz Chaussee befehlen, sind sie auch schuldig, die Chaussee zu machen. Graefin. Einige Gemeinden waren ja willig. Amtmann. Das ist eben das Unglueck. Sie fuhren die Steine an; als aber die uebrigen, widerspenstigen sich weigerten und auch jene widerspenstig machten, blieben die Steine liegen und wurden nach und nach, teils aus Notwendigkeit, teils aus Mutwillen, in die Gleise geworfen, und da ist nun der Weg freilich ein bisschen holprig geworden. Graefin. Sie nennen das ein wenig holprig? Amtmann. Verzeihen Euer Exzellenz, wenn ich sogar sage, dass ich diesen Weg oefters mit vieler Zufriedenheit zuruecklege. Es ist ein vortreffliches Mittel gegen die Hypochondrie, sich dergestalt zusammenschuetteln zu lassen. Graefin. Das, gesteh' ich, ist eine eigne Kurmethode. Amtmann. Und freilich, da nun eben wegen dieses Streites, welcher vor dem Kaiserlichen Reichskammergericht auf das eifrigste betrieben wird, seit einem Jahr an keine Wegebesserung zu denken gewesen, und ueberdies die Holzfuhren stark gehen, in diesen letzten Tagen auch anhaltendes Regenwetter eingefallen, so moechte denn freilich jemanden, der gute Chausseen gewohnt ist, unsere Strasse gewissermassen impraktikable vorkommen. Graefin. Gewissermassen? Ich daechte ganz und gar. Amtmann. Euer Exzellenz beleiben zu scherzen. Man kommt doch noch immer fort-- Graefin. Wenn man nicht liegen bleibt. Und doch hab' ich an der Meile sechs Stunden zugebracht. Amtmann. Ich, vor einigen Tagen, noch laenger. Zweimal wurd' ich gluecklich herausgewunden, das dritte Mal brach ein Rad, und ich musste mich noch nur so hereinschleppen lassen. Aber bei allen diesen Unfaellen war ich getrost und gutes Muts; denn ich bedachte, dass Euer Exzellenz und Ihres Herrn Sohnes Gerechtsame salviert sind. Aufrichtig gestanden, ich wollte auf solchen Wegen lieber von hier nach Paris fahren, als nur einen Fingerbreit nachgeben, wenn die Rechte und Befugnisse meiner gnaedigen Herrschaft bestritten werden. Ich wollte daher, Euer Exzellenz daechten auch so, und Sie wuerden gewiss diesen Weg nicht mit so viel Unzufriedenheit zurueckgelegt haben. Graefin. Ich muss sagen, darin bin ich anderer Meinung, und gehoerten diese Besitztuemer mir eigen, muesste ich mich nicht bloss als Verwalterin ansehen, so wuerde ich ueber manche Bedenklichkeit hinausgehen, ich wuerde mein Herz hoeren, das mir Billigkeit gebietet, und meinen Verstand, der mich einen wahren Vorteil von einem scheinbaren unterscheiden lehrt. Ich wuerde grossmuetig sein, wie es dem gar wohl ansteht, der Macht hat. Ich wuerde mich hueten, unter dem Scheine des Rechts auf Forderungen zu beharren, die ich durchzusetzen kaum wuenschen muesste, und die, indem ich Widerstand finde, mir auf lebenslang den voelligen Genuss eines Besitzes rauben, den ich auf billige Weise verbessern koennte. Ein leidlicher Vergleich und der unmittelbare Gebrauch sind besser als eine wohl gegruendete Rechtssache, die mir Verdruss macht, und von der ich nicht einmal den Vorteil fuer meine Nachkommen einsehe. Amtmann. Euer Exzellenz erlauben, dass ich darin der entgegen gesetzten Meinung sein darf. Ein Prozess ist eine so reizende Sache, dass, wenn ich reich waere, ich eher einige kaufen wuerde, um nicht ganz ohne dieses Vergnuegen zu leben. (Amtmann tritt ab.) Graefin. Es scheint, dass er seine Lust an unsern Besitztuemern buessen will. Dritter Auftritt Graefin. Magister. Magister. Darf ich fragen, gnaedige Graefin, wie sie sich befinden? Graefin. Wie Sie denken koennen, nach der Alteration, die mich bei meinem Eintritt ueberfiel. Magister. Es tat mir herzlich Leid; doch, hoff' ich, soll es von keinen Folgen sein. Ueberhaupt aber kann Ihnen schwerlich der Aufenthalt hier so bald angenehm werden, wenn Sie ihn mit dem vergleichen, den Sie vor kurzem genossen haben. Graefin. Es hat auch grosse Reize, wieder zu Hause bei den Seinigen zu wohnen. Magister. Wie oftmals hab' ich Sie um das Glueck beneidet, gegenwaertig zu sein, als die groessten Handlungen geschahen, die je die Welt gesehen hat, Zeuge zu sein des seligen Taumels, der eine grosse Nation in dem Augenblick ergriff, als sie sich zum ersten Mal frei und von den Ketten entbunden fuehlte, die sie so lange getragen hatte, dass diese schwere fremde Last gleichsam ein Glied ihres elenden, kranken Koerpers geworden. Graefin. Ich habe wunderbare Begebenheiten gesehen, aber wenig Erfreuliches. Magister. Wenngleich nicht fuer die Sinne, doch fuer den Geist. Wer aus grossen Absichten fehl greift, handelt immer lobenswuerdiger, als wer dasjenige tut, was nur kleinen Absichten gemaess ist. Man kann auf dem rechten Wege irren und auf dem falschen recht gehen-- -- Vierter Auftritt Die Vorigen. Luise. (Durch die Ankunft dieses vorzueglichen Frauenzimmers wird die Lebhaftigkeit des Gespraechs erst gemildert und sodann die Unterredung von dem Gegenstande gaenzlich abgelenkt. Der Magister, der nun weiter kein Interesse findet, entfernt sich, und das Gespraech unter den beiden Frauenzimmern setzt sich fort, wie folgt.) Graefin. Was macht mein Sohn? Ich war eben im Begriff, zu ihm zu gehen. Luise. Er schlaeft recht ruhig, und ich hoffe, er wird bald wieder herumspringen und in kurzer Zeit keine Spur der Beschaedigung mehr uebrig sein. Graefin. Das Wetter ist gar zu uebel, sonst ging' ich in den Garten. Ich bin recht neugierig, zu sehen, wie alles gewachsen ist, und wie der Wasserfall, wie die Bruecke und die Felsenkluft sich jetzt ausnehmen. Luise. Es ist alles vortrefflich gewachsen; die Wildnisse, die Sie angelegt haben, scheinen natuerlich zu sein; sie bezaubern jeden, der sie zum ersten Mal sieht, und auch mir geben sie noch immer in einer stillen Stunde einen angenehmen Aufenthalt. Doch muss ich gestehen, dass ich in der Baumschule unter den fruchtbaren baeumen lieber bin. Der Gedanke des Nutzens fuehrt mich aus mir selbst heraus und gibt mir eine Froehlichkeit, die ich sonst nicht empfinde. Ich kann saeen, pfropfen, okulieren; und wenngleich mein Auge keine malerische Wirkung empfindet, so ist mir doch der Gedanke von Fruechten hoechst reizend, die einmal und wohl bald jemanden erquicken werden. Graefin. Ich schaetze Ihre guten haeuslichen Gesinnungen. Luise. Die einzigen, die sich fuer den Stand schicken, der ans Notwendige zu denken hat, dem wenig Willkuer erlaubt ist. Graefin. Haben Sie den Antrag ueberlegt, den ich Ihnen in meinem letzten Briefe tat? Koennen Sie sich entschliessen, meiner Tochter Ihre Zeit zu widmen, als Freundin, als Gesellschafterin mit ihr zu leben? Luise. Ich habe kein Bedenken, gnaedige Graefin. Graefin. Ich hatte viel Bedenken, Ihnen den Antrag zu tun. Die wilde und unbaendige Gemuetsart meiner Tochter macht ihren Umgang unangenehm und oft sehr verdriesslich. So leicht mein Sohn zu behandeln ist, so schwer ist es meine Tochter. Luise. Dagegen ist ihr edles Herz, ihre Art, zu handeln, aller Achtung wert. Sie ist heftig, aber bald zu besaenftigen, unbillig, aber gerecht, stolz, aber menschlich. Graefin. Hierin ist sie ihrem Vater-- Luise. Aeusserst aehnlich. Auf eine sehr sonderbare Weise scheint die Natur in der Tochter den rauen Vater, in dem Sohne die zaertliche Mutter wieder hervorgebracht zu haben. Graefin. Versuchen Sie, Luise, dieses wilde, aber edle, Feuer zu daempfen. Sie besitzen alle Tugenden, die ihr fehlen. In Ihrer Naehe, durch Ihr Beispiel wird sie gereizt werden, sich nach einem Muster zu bilden, das so liebenswuerdig ist. Luise. Sie beschaemen mich, gnaedige Graefin. Ich kenne an mir keine Tugend als die, dass ich mich bisher in mein Schicksal zu finden wusste, und selbst diese hat kein Verdienst mehr, seitdem Sie, gnaedige Graefin, so viel getan haben, um es zu erleichtern. Sie tun jetzt noch mehr, da Sie mich naeher an sich heranziehen. Nach dem Tode meines Vaters und dem Umsturz meiner Familie habe ich vieles entbehren lernen, nur nicht gesitteten und verstaendigen Umgang. Graefin. Bei Ihrem Onkel muessen Sie von dieser Seite viel ausstehen. Luise. Es ist ein guter Mann; aber seine Einbildung macht ihn oft hoechst albern, besonders seit der letzten Zeit, da jeder ein Recht zu haben glaubt, nicht nur ueber die grossen Welthaendel zu reden, sondern auch darin mitzuwirken. Graefin. Es geht ihm wie sehr vielen. Luise. Ich habe manchmal meine Bemerkungen im stillen darueber gemacht. Wer die Menschen nicht kennte, wuerde sie jetzt leicht kennen lernen. So viele nehmen sich der Sache der Freiheit, der allgemeinen Gleichheit an, nur um fuer sich eine Ausnahme zu machen, nur um zu wirken, es sei, auf welche Art es wolle. Graefin. Sie haetten nichts mehr erfahren koennen, und wenn Sie mit mir in Paris gewesen waeren. Fuenfter Auftritt Friederike. Der Baron. Die Vorigen. Friederike. Hier, liebe Mutter, ein Hase und zwei Feldhuehner! Ich habe die drei Stuecke geschossen, der Vetter hat immer gepudelt. Graefin. Du siehst wild aus, Friederike; wie du durchnaesst bist! Friederike (das Wasser vom Hute abschwingend). Der erste glueckliche Morgen, den ich seit langer Zeit gehabt habe. Baron. Sie jagt mich nun schon vier Stunden im Felde herum. Friederike. Es war eine rechte Lust. Gleich nach Tische wollen wir wieder hinaus. Graefin. Wenn du's so heftig treibst, wirst du es blad ueberdruessig werden. Friedericke. Geben Sie mir das Zeugnis, liebe Mama! Wie oft hab' ich mich aus Paris wieder nach unsern Revieren gesehnt. Die Opern, die Schauspiele, die Gesellschaften, die Gastereien, die Spaziergaenge, was ist das alles gegen einen einzigen vergnuegten Tag auf der Jagd, unter freiem Himmel, auf unsern Bergen, wo wir eingeboren und eingewohnt sind.--Wir muessen ehesten tags hetzen, Vetter. Baron. Sie werden noch warten muessen, die Frucht ist noch nicht aus dem Felde. Friederike. Was will das viel schaden? Es ist fast von gar keiner Bedeutung. Sobald es ein bisschen auftrocknet, wollen wir hetzen. Graefin. Geh, zieh dich um! Ich vermute, dass wir zu Tische noch einen Gast haben, der sich nur kreuz Zeit bei uns aufhalten kann. Baron. Wird der Hofrat kommen? Graefin. Er versprach mir, heute wenigstens auf ein Stuendchen einzusprechen. Er geht auf Kommission. Baron. Es sind einige Unruhen im Lande. Graefin. Es wird nichts zu bedeuten haben, wenn man sich nur vernuenftig gegen die Menschen betraegt und ihnen ihren wahren Vorteil zeigt. Friederike. Unruhen? Wer will Unruhen anfangen? Baron. Missvergnuegte Bauern, die von ihren Herrschaften gedruckt werden, und die leicht Anfuehrer finden. Friederike. Die muss man auf den Kopf schiessen. (Sie macht Bewegungen mit der Flinte.) Sehen Sie, gnaedige Mama, wie mir der Magister die Flinte verwahrlost hat! Ich wollte sie doch mitnehmen, und da Sie es nicht erlaubten, wollte ich sie dem Jaeger aufzuheben geben. Da bat mich der Graurock so instaendig, sie ihm zu lassen: Sie sei so leicht, sagt' er, so bequem, er wolle sie so gut halten, er wolle so oft auf die Jagd gehen. Ich ward ihm wirklich gut, weil er so oft auf die Jagd gehen wollte, und nun, sehen Sie, find' ich sie heute in der Gesindestube hinterm Ofen. Wie das aussieht! Sie wird in meinem Leben nicht wieder rein. Baron. Er hatte die Zeit her mehr zu tun; er arbeitet mit an der allgemeinen Gleichheit, und da haelt er wahrscheinlich die Hasen auch mit fuer seinesgleichen und scheut sich, ihnen was zuleide zu tun. Graefin. Zieht euch an, Kinder, damit wir nicht zu warten brauchen. Sobald der Hofrat kommt, wollen wir essen. (Ab.) Friederike (ihre Flinte besehend). Ich habe die franzoesische Revolution schon so oft verwuenscht, und jetzt tu' ich's doppelt und dreifach. Wie kann mir nun der Schaden ersetzt werden, dass meine Flinte rostig ist? Dritter Aufzug Erster Auftritt (Saal im Schlosse.) Graefin. Hofrat. Graefin. Ich geb' es Ihnen recht aufs Gewissen, teurer Freund. Denken Sie nach, wie wir diesem unangenehmen Prozesse ein Ende machen. Ihre grosse Kenntnis der Gesetze, Ihr Verstand und Ihre Menschlichkeit helfen gewiss ein Mittel finden, wie wir aus dieser widerlichen Sache scheiden koennen. Ich habe es sonst leichter genommen, wenn man unrecht hatte und im Besitz war: Je nun, dacht' ich, es geht ja wohl so hin, und wer hat, ist am besten dran. Seitdem ich aber bemerkt habe, wie sich Unbilligkeit von Geschlecht zu Geschlecht so leicht aufhaeuft, wie grossmuetige Handlungen meistenteils nur persoenlich sind, und der Eigennutz allein gleichsam erblich wird; seitdem ich mit Augen gesehen habe, dass die menschliche Natur auf einen unglaublichen Grad gedrueckt und erniedrigt, aber nicht unterdrueckt und vernichtet werden kann: So habe ich mir fest vorgenommen, jede einzelne Handlung, die mir unbillig scheint, selbst streng zu vermeiden und unter den Meinigen, in Gesellschaft, bei Hofe, in der Stadt ueber solche Handlungen meine Meinung laut zu sagen. Zu keiner Ungerechtigkeit will ich mehr schweigen, keine Kleinheit unter einem grossen Scheine ertragen, und wenn ich auch unter dem verhassten Namen einer Demokratin verschrien werden sollte. Hofrat. Es ist schoen, gnaedige Graefin, und ich freue mich, Sie wieder zu finden, wie ich Abschied von Ihnen genommen, und noch ausgebildeter. Sie waren eine Schuelerin der grossen Maenner, die uns durch ihre Schriften in Freiheit gesetzt haben, und nun finde ich in Ihnen einen Zoegling der grossen Begebenheiten, die uns einen lebendigen Begriff geben von allem, was der wohl denkende Staatsbuerger wuenschen und verabscheuen muss. Es ziemt Ihnen, Ihrem eigenen Stande Widerpart zu halten. Ein jeder kann nur seinen eignen Stand beurteilen und tadeln. Aller Tadel heraufwaerts oder hinabwaerts ist mit Nebenbegriffen und Kleinigkeiten vermischt, man kann nur durch seinesgleichen gerichtet werden. Aber ebendeswegen, weil ich ein Buerger bin, der es zu bleiben denkt, der das grosse Gewicht des hoeheren Standes im Staate anerkennt und zu schaetzen Ursache hat, bin ich auch unversoehnlich gegen die kleinlichen neidischen Neckereien, gegen den blinden Hass, der nur aus eigner Selbstigkeit erzeugt wird, praetentios Praetentionen bekaempft, sich ueber Formalitaeten formalisiert und, ohne selbst Realitaet zu haben, da nur Schein sieht, wo er Glueck und Folge sehen koennte. Wahrlich! Wenn alle Vorzuege gelten sollen, Gesundheit, Schoenheit, Jugend, Reichtum, Verstand, Talente, Klima, warum soll der Vorzug nicht auch irgendeine Art von Gueltigkeit haben, dass ich von einer Reihe tapferer, bekannter, ehrenvoller Vaeter entsprungen bin! Das will ich sagen da, wo ich eine Stimme habe, und wenn man mir auch den verhassten Namen eines Aristokraten zueignete. (Hier findet sich eine Luecke, welche wir durch Erzaehlung ausfuellen. Der trockne Ernst dieser Szene wird dadurch gemildert, dass der Hofrat seine Neigung zu Luisen bekennt, indem er sich bereit zeigt, ihr seine Hand zu geben. Ihre fruehern Verhaeltnisse, vor dem Umsturz, den Luisens Familie erlitt, kommen zur Sprache, sowie die stillen Bemuehungen des vorzueglichen Mannes, sich und zugleich Luisen eine Existenz zu verschaffen. Eine Szene zwischen der Graefin, Luisen und dem Hofrat gibt Gelegenheit, drei schoene Charaktere naeher kennen zu lernen und uns fuer das, was wir in den naechsten Auftritten erdulden sollen, vorlaeufig einigermassen zu entschaedigen. Denn nun versammelt sich um den Teetisch, wo Luise einschenkt, nach und nach das ganze Personal des Stuecks, so dass zuletzt auch die Bauern eingefuehrt werden. Da man sich nun nicht enthalten kann, von Politik zu sprechen, so tut der Baron, welcher Leichtsinn, Frevel und Spott nicht verbergen kann, den Vorschlag, sogleich eine Nationalversammlung vorzustellen. Der Hofrat wird zum Praesidenten erwaehlt, und die Charaktere der Mitspielenden, wie man sie schon kennt, entwickeln sich freier und heftiger. Die Graefin, das Soehnchen mit verbundenem Kopfe neben sich, stellt die Fuerstin vor, deren Ansehen geschmaelert werden soll und die aus eigenen liberalen Gesinnungen nachzugeben geneigt ist. Der Hofrat, verstaendig und gemaessigt, sucht ein Gleichgewicht zu erhalten, ein Bemuehen, das jeden Augenblick schwieriger wird. Der Baron spielt die Rolle des Edelmanns, der von seinem Stande abfaellt und zum Volke uebergeht. Durch seine schelmische Verstellung werden die andern gelockt, ihr Innerstes hervorzukehren. Auch Herzensangelegenheiten mischen sich mit ins spiel. Der Baron verfehlt nicht, Karolinen die schmeichelhaftesten Sachen zu sagen, die sie zu ihren schoensten Gunsten auslegen kann. An der Heftigkeit, womit Jakob die Gerechtsame des graeflichen Hauses verteidigt, laesst sich eine stille, unbewusste Neigung zu der jungen Graefin nicht verkennen. Luise sieht in allem diesen nur die Erschuetterung des haeuslichen Gluecks, dem sie sich so nahe glaubt, und wenn die Bauern mitunter schwerfaellig werden, so erheitert Bremenfeld die Szene durch seinen Duenkel, durch Geschichtchen und guten Humor. Der Magister, wie wir ihn schon kennen, ueberschreitet vollkommen die Grenze, und da der Baron immerfort hetzt, laeuft es endlich auf Persoenlichkeiten hinaus, und als nun vollends die Brausche des Erbgrafen als unbedeutend, ja laecherlich behandelt wird, so bricht die Graefin los, und die Sache kommt so weit, dass dem Magister aufgekuendigt wird. Der Baron verschlimmert das Uebel, und er bedient sich, da der Laerm immer staerker wird, der Gelegenheit, mehr in Karolinen zu dringen und sie zu einer heimlichen Zusammenkunft fuer die Nacht zu bereden. Bei allem diesen zeigt sich die junge Graefin entschieden heftig, parteiisch auf ihren Stand, hartnaeckig auf ihren besitz, welche Haerte jedoch durch ein unbefangenes, rein natuerliches und im tiefsten Grunde rechtliches weibliches Wesen bis zur Leibenswuerdigkeit gemildert wird. Und so laesst sich einsehen, dass der Akt ziemlich tumultuarisch und, insofern es der bedenkliche Gegenstand erlaubt, fuer das Gefuehl nicht ganz unertraeglich geendigt wird. Vielleicht bedauert man, dass der Verfasser die Schwierigkeiten einer solchen Szene nicht zur rechten Zeit zu ueberwinden bemueht war.) Vierter Aufzug Erster Auftritt (Bremens Wohnung.) Breme. Martin. Albert. Breme. Sind eure Leute alle an ihren Posten? Habt ihr sie wohl unterrichtet? Sind sie gutes Muts? Martin. Sobald Ihr mit der Glocke stuermt, werden sie alle da sein. Breme. So ist's recht! Wenn im Schlosse die Lichter alle aus sind, wenn es Mitternacht ist, soll es gleich angehen. Unser Glueck ist's, dass der Hofrat fortgeht. Ich fuerchte sehr, er moechte bleiben und uns den ganzen Spass verderben. Albert. Ich fuerchte so noch immer, es geht nicht gut ab. Es ist mir schon zum voraus bange, die Glocke zu hoeren. Breme. Seid nur ruhig. Habt ihr nicht heute selbst gehoert, wie uebel es jetzt mit den vornehmen Leuten steht? Habt ihr gehoert, was wir der Graefin alles unters Gesicht gesagt haben? Martin. Es war ja aber nur zum Spass. Albert. Es war schon zum Spasse grob genug. Breme. Habt ihr gehoert, wie ich eure Sache zu verfechten weiss? Wenn's Ernst gilt, will ich so vor den Kaiser treten. Und was sagt ihr zum Herrn Magister, hat sich der nicht auch wacker gehalten? Albert. Sie haben's Euch aber auch brav abgegeben. Ich dachte zuletzt, es wuerde Schlaege setzen; und unsere gnaedige Kontess--war's doch, als wenn ihr seliger Herr Vater leibhaftig dastuende. Breme. Lasst mir das gnaedige weg, es wird sich bald nichts mehr zu gnaedigen haben. Seht, hier hab' ich die Briefe schon fertig, die schick' ich in die benachbarten Gerichtsdoerfer. Sobald's hier losgeht, sollen die auch stuermen und rebellieren und auch ihre Nachbarn auffordern. Martin. Das kann was werden. Breme. Freilich! Und alsdann Ehre, dem Ehre gebuehrt! Euch, meine leiben Kinder. Ihr werdet als die Befreier des Landes angesehn. Martin. Ihr, Herr Breme, werdet das groesste Lob davontragen. Breme. Nein, das gehoert sich nicht; es muss jetzt alles gemein sein. Martin. Indessen habt Ihr's doch angefangen. Breme. Gebt mir die Haende, brave Maenner! So standen einst die drei grossen Schweizer, Wilhelm Tell, Walther Staubbach, Fuerst von Uri, die standen auf dem Gruetliberg beisammen und schwuren den Tyrannen ew'gen Hass und ihren mitgenossen ewige Freiheit. Wie oft hat man diese wackern Helden gemalt und in Kupfer gestochen! Auch uns wird diese Ehre widerfahren. In dieser Positur werden wir auf die Nachwelt kommen. Martin. Wie Ihr Euch das alles so denken koennt. Albert. Ich fuerchte nur, dass wir im Karrn eine boese Figur machen koennen. Horcht! Es klingelt jemand. Mir zittert das Herz im Leibe, wenn sich nur was bewegt. Breme. Schaemt Euch! Ich will aufziehen. Es wird der Magister sein; ich habe ihn herueber bestellt. Die Graefin hat ihm den Dienst aufgesagt; die Kontess hat ihn sehr beleidigt. Wir werden ihn leicht in unsere Partei ziehen. Wenn wir einen Geistlichen unter uns haben, sind wir unserer Sache desto gewisser. Martin. Einen Geistlichen und Gelehrten. Breme. Was die Gelehrsamkeit betrifft, geb' ich ihm nichts nach, und besonders hat er weit weniger politische Lektuere als ich. Alle die Chroniken, die ich von meinem seligen Grossvater geerbt habe, waren in meiner Jugend schon durchgelesen, und das Theatrum Europaeum kenn' ich in- und auswendig. Wer recht versteht, was geschehen ist, der weiss auch, was geschieht und geschehen wird. Es ist immer einerlei; es passiert in der Welt nichts Neues. Der Magister kommt. Halt! Wir muessen ihn feierlich empfangen. Er muss Respekt vor uns kriegen. Wir stellen jetzt die Repraesentanten der ganzen Nation gleichsam in Nuce vor. Setzt euch. (Er setzt drei Stuehle auf die eine Seite des Theaters, auf die andere einen Stuhl. Die beiden Schulzen setzen sich, und wie der Magister herein tritt, setzt sich Breme geschwind in ihre Mitte und nimmt ein gravitaetisches Wesen an.) Zweiter Auftritt Die Vorigen. Der Magister. Magister. Guten Morgen, Herr Breme. Was gibt's Neues? Sie wollen mir etwas Wichtiges vertrauen, sagten Sie. Breme. Etwas sehr Wichtiges, gewiss! Setzen Sie sich. (Magister will den einzelnen Stuhl nehmen und zu ihnen ruecken.) Nein, bleiben Sie dort, sitzen Sie dort nieder! Wir wissen noch nicht, ob Sie an unserer Seite nieder sitzen wollen. Magister. Eine wunderbare Vorbereitung. Breme. Sie sind ein Mann, ein freigeborner, ein freidenkender, ein geistlicher, ein ehrwuerdiger Mann. Sie sind ehrwuerdig, weil Sie geistlich sind, und noch ehrwuerdiger, weil Sie frei sind. Sie sind frei, weil Sie edel sind, und sind schaetzbar, weil Sie frei sind. Und nun! Was haben wir erleben muessen! Wir sahen Sie verachtet, wir sahen Sie beleidigt; aber wir haben zugleich Ihren edlen Zorn gesehen, einen edlen Zorn, aber ohne Wirkung. Glauben Sie, dass wir Ihre Freunde sind, so glauben Sie auch, dass sich unser Herz im Busen umkehrt, wenn wir Sie verkehrt behandelt sehen. Ein edler Mann und verhoehnt; ein freier Mann und bedroht; ein geistlicher Mann und verachtet; ein treuer Diener und verstossen! Zwar verhoehnt von Leuten, die selbst Hohn verdienen; verachtet von Menschen, die keiner Achtung wert sind; verstossen von Undankbaren, deren Wohltaten man nicht geniessen moechte; bedroht von einem Kinde, von einem Maedchen--das scheint freilich nicht viel zu bedeuten; aber wenn Ihr bedenkt, dass dieses Maedchen kein Maedchen, sondern ein eingefleischter Satan ist, dass man sie Legion nennen sollte--denn es sind viele tausend aristokratische Geister in sie gefahren--so seht Ihr deutlich, was uns von allen Aristokraten bevorsteht, Ihr seht es, und wenn Ihr klug seid, so nehmt Ihr Eure Massregeln. Magister. Wozu soll diese sonderbare Rede? Wohin wird Euch der seltsame Eingang fuehren? Sagt Ihr das, um meinen Zorn gegen diese verdammte Brut noch mehr zu erhitzen, um meine aufs aeusserste getriebene Empfindlichkeit noch mehr zu reizen? Schweigt stille! Wahrhaftig, ich wuesste nicht, wozu mein gekraenktes Herz jetzt nicht alles faehig waere. Was! Nach so vielen Diensten, nach so vielen Aufopferungen mir so zu begegnen, mich vor die Tuere zu setzen! Und warum? Wegen einer elenden Beule, wegen einer gequetschten Nase, mit der so viele hundert Kinder auf und davon springen. Aber es kommt eben recht, eben recht! Sie wissen nicht, die Grossen, wen sie in uns beleidigen, die wir Zungen, die wir Federn haben. Breme. Dieser edle Zorn ergoetzt mich, und so frage ich Euch denn im Namen aller edlen, frei gebornen, der Freiheit werten Menschen, ob Ihr diese Zunge, diese Feder von nun an dem Dienste der Freiheit voellig widmen wollt? Magister. O ja, ich will, ich werde! Breme. Dass Ihr keine Gelegenheit versaeumen wollt, zu dem edlen Zwecke mitzuwirken, nach dem jetzt die ganze Menschheit emporstrebt? Magister. Ich gebe Euch mein Wort. Breme. So gebt mir Eure Hand, mir und diesen Maennern. Magister. Einem jedem; aber was haben diese armen Leute, die wie Sklaven behandelt werden, mit der Freiheit zu tun? Breme. Sie sind nur noch eine Spanne davon, nur so breit, als die Schwelle des Gefaengnisses ist, an dessen eroeffneter Tuere sie stehen. Magister. Wie? Breme. Euer Ehrenwort, dass Ihr schweigen werdet! Magister. Ich gebe es. Breme. Der Augenblick ist nahe, die Gemeinden sind versammelt, in einer Stunde sind sie hier. Wir ueberfallen das Schloss, noetigen die Graefin zur Unterschrift des Rezesses und zu einer eidlichen Versicherung, dass kuenftighin alle drueckenden Lasten aufgehoben sein sollen. Magister. Ich erstaune! Breme. Da habe ich nur noch ein Bedenken wegen des Eids. Die vornehmen Leute glauben nichts mehr. Sie wird einen Eid schwoeren und sich davon entbinden lassen. Man wird ihr beweisen, dass ein gezwungener Eid nichts gelte. Magister. Dafuer will ich Rat schaffen. Diese Menschen, die sich ueber alles wegsetzen, ihresgleichen behandeln wie das Vieh, ohne Liebe, ohne Mitleid, ohne Furcht frech in den Tag hinein leben, solange sie mit Menschen zu tun haben, die sie nicht schaetzen, solange sie von einem Gott sprechen, den sie nicht erkennen: Dieses uebermuetige Geschlecht kann sich doch von dem geheimen Schauer nicht losmachen, der alle lebendigen Kraefte der Natur durchschwebt, kann die Verbindung sich nicht leugnen, in der Worte und Wirkung, Tat und Folge ewig miteinander bleiben. Lasst sie einen feierlichen Eid tun. Martin. Sie soll in der Kirche schwoeren. Breme. Nein, unter freiem Himmel. Magister. Das ist nichts. Diese feierlichen Szenen ruehren nur die Einbildungskraft. Ich will es euch anders lehren. Umgebt sie, lasst sie in eurer Mitte die Hand auf ihres Sohnes Haupt legen, bei diesem geliebten Haupte ihr Versprechen beteuern und alles Uebel, was einen Menschen betreffen kann, auf diese kleine Gefaess herab rufen, wenn sie unter irgendeinem Vorwande ihr Versprechen zuruecknaehme oder zugaebe, dass es vereitelt wuerde. Breme. Herrlich! Martin. Schrecklich! Albert. Entsetzlich! Magister. Glaubt mir, sie ist auf ewig gebunden. Breme. Ihr sollt zu ihr in den Kreis treten und ihr das Gewissen schaerfen. Magister. An allem, was ihr tun wollt, nehm' ich Anteil; nur sagt mir, wie wird man es in der Residenz ansehen? Wenn sie euch Dragoner schicken, so seid ihr alle gleich verloren. Martin. Da weiss Herr Breme schon Rat. Albert. Ja, was das fuer ein Kopf ist! Magister. Klaert mich auf. Breme. Ja, ja, das ist's nun eben, was man hinter Hermann Breme dem Zweiten nicht sucht. Er hat Konnexionen, Verbindungen da, wo man glaubt, er habe nur Kunden. So viel kann ich euch nur sagen, und es wissen's diese Leute, dass der Fuerst selbst eine Revolution wuenscht. Magister. Der Fuerst? Breme. Er hat die Gesinnungen Friedrichs und Josephs, der beiden Monarchen, welche alle wahre Demokraten als ihre Heiligen anbeten sollten. Er ist erzuernt, zu sehen, wie der Buerger- und Bauernstand unterm Druck des Adels seufzt, und leider kann er selbst nicht wirken, da er von lauter Aristokraten umgeben ist. Haben wir uns nur aber erst legitimiert, dann setzt er sich an unsere Spitze, und seine Truppen sind zu unsern Diensten, und Breme und alle brave Maenner sind an seiner Seite. Magister. Wie habt Ihr das alles erforscht und getan und habt Euch nichts merken lassen? Breme. Man muss im stillen viel tun, um die Welt zu ueberraschen. (Er geht ans Fenster.) Wenn nur erst der Hofrat fort waere, dann solltet ihr Wunder sehen. Martin (auf Bremen deutend). Nicht wahr, das ist ein Mann! Albert. Er kann einem recht Herz machen. Breme. Und, lieber Magister, die Verdienste, die Ihr Euch diese Nacht erwerbt, duerfen nicht unbelohnt bleiben. Wir arbeiten heute fuers ganze Vaterland. Von unserm Dorfe wird die Sonne der Freiheit aufgehen. Wer haette das gedacht! Magister. Befuerchtet Ihr keinen Widerstand? Breme. Dafuer ist schon gesorgt. Der Amtmann und die Gerichtsdiener werden gleich gefangen genommen. Der Hofrat geht weg, die paar Bedienten wollen nichts sagen, und der Baron ist nur der einzige Mann im Schlosse; den locke ich durch meine Tochter herueber ins Haus und sperre ihn ein, bis alles vorbei ist. Martin. Wohl ausgedacht. Magister. Ich verwundere mich ueber Eure Klugheit. Breme. Nu, nu! Wenn es Gelegenheit gibt, sie zu zeigen, sollt Ihr noch mehr sehen, besonders was die auswaertigen Angelegenheiten betrifft. Glaubt mir, es geht nichts ueber einen guten Chirurgus, besonders wenn er dabei ein geschickter Barbier ist. Das unverstaendige Volk spricht viel von Bartkratzern und bedenkt nicht, wie viel dazu gehoert, jemanden zu barbieren, eben dass es nicht kratze. Glaubt mir nur, es wird zu nichts mehr Politik erfordert, als den Leuten den Bart zu putzen, ihnen diese garstigen barbarischen Exkremente der Natur, diese Barthaare, womit sie das maennliche Kinn taeglich verunreinigt, hinweg zu nehmen und den Mann dadurch an Gestalt und Sitten einer glattwangigen Frau, einem zarten liebenswuerdigen Juengling aehnlich zu machen. Komme ich dereinst dazu, mein Leben und Meinungen aufzusetzen, so soll man ueber die Theorie der Barbierkunst erstaunen, aus der ich zugleich alle Lebens- und Klugheitsregeln herleiten will. Magister. Ihr seid ein originaler Kopf! Breme. Ja, ja, das weiss ich wohl, und deswegen habe ich auch den Leuten verziehen, wenn sie mich oft nicht begreifen konnten, und wenn sie, albern genug, glaubten mich zum Besten zu haben. Aber ich will ihnen zeigen, dass, wer einen rechten Seifenschaum zu schlagen weiss, wer mit Leichtigkeit, Bequemlichkeit und Gewandtheit der Finger einzuseifen, den sproedesten Bart zahm zu machen versteht; wer da weiss, dass ein frisch abgezognes Messer ebenso gut rauft als ein stumpfes, wer mit dem Strich oder wider den Strich die Haare wegnimmt, als waeren sie gar nicht dagewesen; wer dem warmen Wasser zum Abwaschen die gehoerige Temperatur verleiht und selbst das Abtrocknen mit Gefaelligkeit verrichtet und in seinem ganzen Benehmen etwas Zierliches darstellt-- das ist kein gemeiner Mensch, sondern er muss alle Eigenschaften besitzen, die einem Minister Ehre machen. Albert. Ja, ja, es ist ein Unterschied zwischen Barbier und Barbier. Martin. Und Herr Breme besonders, das ist dir eine ordentliche Lust. Breme. Nu, nu, es wird sich zeigen. Es ist bei der ganzen Kunst nichts Unbedeutendes. Die Art, den Schersack aus- und einzukramen, die Art, die Geraetschaften zu halten, ihn unterm Arm zu tragen--ihr sollt Wunder hoeren und sehen. Nun wird's aber Zeit, dass ich meine Tochter vorkriege. Ihr Leute, geht an eure Posten! Herr Magister, halten Sie sich in der Naehe. Magister. Ich gehe in den Gasthof, wohin ich gleich meine Sachen habe bringen lassen, als man mir im Schlosse uebel begegnete. Breme. Wenn Sie stuermen hoeren, so soll's Ihnen frei stehen, sich zu uns zu schlagen oder abzuwarten, ob es uns glueckt, woran ich gar nicht zweifele. Magister. Ich werde nicht fehlen. Breme. So lebt denn wohl und gebt aufs Zeichen Acht! Dritter Auftritt Breme allein. Wie wuerde mein sel'ger Grossvater sich freuen, wenn er sehen koennte, wie gut ich mich in das neue Handwerk schicke. Glaubt doch der Magister schon, dass ich grosse Konnexionen bei Hofe habe. Da sieht man, was es tut, wenn man sich Kredit zu machen weiss. Nun muss Karoline kommen. Sie hat das Kind so lange gewartet, ihre Schwester wird sie abloesen. Da ist sie. Vierter Auftritt Breme. Karoline. Breme. Wie befindet sich der junge Graf? Karoline. Recht leidlich. Ich habe ihm Maerchen erzaehlt, bis er eingeschlafen ist. Breme. Was gibt's sonst im Schlosse? Karoline. Nichts Merkwuerdiges. Breme. Der Hofrat ist noch nicht weg? Karoline. Er scheint Anstalt zu machen. Sie binden eben den Mantelsack auf. Breme. Hast du den Baron nicht gesehen? Karoline. Nein, mein Vater. Breme. Er hat dir heute in der Nationalversammlung allerlei in die Ohren geraunt? Karoline. Ja, mein Vater. Breme. Das eben nicht die ganze Nation, sondern meine Tochter Karoline betraf? Karoline. Freilich, mein Vater. Breme. Du hast dich doch klug gegen ihn zu benehmen gewusst? Karoline. O gewiss. Breme. Er hat wohl wieder stark in dich gedrungen? Karoline. Wie Sie denken koennen. Breme. Und du hast ihn abgewiesen? Karoline. Wie sich's ziemt. Breme. Wie ich es von meiner trefflichen Tochter erwarten darf, die ich aber auch mit Ehre und Glueck ueberhaeuft und fuer ihre Tugend reichlich belohnt sehen werde. Karoline. Wenn Sie nur nicht vergebens hoffen. Breme. Nein, meine Tochter, ich bin eben im Begriff, einen grossen Anschlag auszufuehren, wozu ich deine Hilfe brauche. Karoline. Was meinen Sie, mein Vater? Breme. Es ist dieser verwegenen Menschenrasse der Untergang gedroht. Karoline. Was sagen Sie? Breme. Setze dich nieder und schreib. Karoline. Was? Breme. Ein Billett an den Baron, dass er kommen soll. Karoline. Aber wozu? Breme. Das will ich dir schon sagen. Es soll ihm kein Leids widerfahren, ich sperre ihn nur ein. Karoline. O Himmel! Breme. Was gibt's? Karoline. Soll ich mich einer solchen Verraeterei schuldig machen? Breme. Nur geschwind. Karoline. Wer soll es denn hinueberbringen? Breme. Dafuer lass mich sorgen. Karoline. Ich kann nicht. Breme. Zuerst eine Kriegslist. (Er zuendet eine Blendlaterne an und loescht das Licht aus.) Geschwind, nun schreib, ich will dir leuchten. Karoline (fuer sich). Wie soll das werden? Der Baron wird sehen, dass das Licht ausgeloescht ist; er wird auf das Zeichen kommen. Breme (zwingt sie zum Sitzen). Schreib! "Luise bleibt im Schlosse, mein Vater schlaeft. Ich loesche das Licht aus, kommen Sie!" Karoline (widerstrebend). Ich schreibe nicht. Fuenfter Auftritt Die Vorigen. Der Baron am Fenster. Baron. Karoline! Breme. Was ist das? (Er schiebt die Blendlaterne zu und haelt Karoline fest, die aufstehen will.) Baron (wie oben). Karoline! Sind Sie nicht hier? (Er steigt herein.) Stille! Wo bin ich? Dass ich nicht fehlgehe. Gleich dem Fenster gegenueber ist des Vaters Schlafzimmer, und hier rechts an der Wand die Tuere in der Maedchen Kammer. (Er tappt an der Seite hin und trifft die Tuer.) Hier ist sie, nur angelehnt. O, wie gut sich der blinde Kupido im Dunkeln zu finden weiss! (Er geht hinein.) Breme. In die Falle! (Er schiebt die Blendlaterne auf, eilt nach der Kammertuere und stoesst den Riegel vor.) So recht, und das Vorlegeschloss ist auch schon in Bereitschaft. (Er legt ein Schloss vor.) Und du, Nichtswuerdige! So verraetst du mich? Karoline. Mein Vater! Breme. So heuchelst du mir Vertrauen vor? Baron (inwendig). Karoline! Was heisst das? Karoline. Ich bin das ungluecklichste Maedchen unter der Sonne. Breme (laut an der Tuere). Das heisst: Dass Sie hier schlafen werden, aber allein. Baron (inwendig). Nichtswuerdiger! Machen Sie auf, Herr Breme, der Spass wird Ihnen teuer zu stehen kommen. Breme (laut). Es ist mehr als Spass, es ist bitterer Ernst. Karoline (an der Tuere). Ich bin unschuldig an dem Verrat! Breme. Unschuldig? Verrat? Karoline (an der Tuere kniend). O, wenn du sehen koenntest, mein Geliebter, wie ich hier vor dieser Schwelle liege, wie ich untroestlich meine Haende ringe, wie ich meinen grausamen Vater bitte!--Machen Sie auf, mein Vater!--Er hoert nicht, er sieht mich nicht an.--O, mein Geliebter, habe mich nicht im Verdacht, ich bin unschuldig! Breme. Du unschuldig? Niedertraechtige feile Dirne! Schande deines Vaters! Ewiger schaendender Flecken in dem Ehrenkleid, das er eben in diesem Augenblicke angezogen hat. Steh auf, hoer' auf zu weinen, dass ich dich nicht an den Haaren von der Schwelle wegziehe, die du, ohne zu erroeten, nicht wieder betreten solltest. Wie! In dem Augenblick, da Breme sich den groessten Maennern des Erdbodens gleichsetzt, erniedrigt sich seine Tochter so sehr! Karoline. Verstosst mich nicht, verwerft mich nicht, mein Vater! Er tat mir die heiligsten Versprechungen. Breme. Rede mir nicht davon, ich bin ausser mir. Was! Ein Maedchen, das sich wie eine Prinzessin, wie eine Koenigin auffuehren sollte, vergisst sich so ganz und gar? Ich halte mich kaum, dass ich dich nicht mit Faeusten schlage, nicht mit Fuessen trete. Hier hinein! (Er stoesst sie in sein Schlafzimmer.) Dies franzoesische Schloss wird dich wohl verwahren. Von welcher Wut fuehl' ich mich hingerissen! Das waere die rechte Stimmung, um die Glocke zu ziehen.--Doch nein, fasse dich, Breme!-- Bedenke, dass die groessten Menschen in ihrer Familie manchen Verdruss gehabt haben. Schaeme dich nicht einer frechen Tochter und bedenke, dass Kaiser Augustus in ebendem Augenblick mit Verstand und Macht die Welt regierte, da er ueber die Vergehungen seiner Julie bittere Traenen vergoss. Schaeme dich nicht, zu weinen, dass eine solche Tochter dich hintergangen hat; aber bedenke auch zugleich, dass der Endzweck erreicht ist, dass der Widersacher eingesperrt verzweifelt, und dass deiner Unternehmung ein glueckliches Ende bevorsteht. Sechster Auftritt (Saal im Schlosse, erleuchtet.) Friederike mit einer gezogenen Buechse. Jakob mit einer Flinte. Friederike. So ist's recht, Jakob, du bist ein braver Bursche. Wenn du mir die Flinte zurecht bringst, dass mir der Schulfuchs nicht gleich einfaellt, wenn ich sie ansehe, sollst du ein gut Trinkgeld haben. Jakob. Ich nehme sie mit, gnaedige Graefin, und will mein Bestes tun. Ein Trinkgeld braucht's nicht, ich bin Ihr Diener fuer ewig. Friederike. Du willst in der Nacht noch fort? Es ist dunkle und regnicht; bleibe noch beim Jaeger. Jakob. Ich weiss nicht, wie mir ist; es treibt mich etwas fort. Ich habe eine Art von Ahnung. Friederike. Du siehst doch sonst nicht Gespenster. Jakob. Es ist auch nicht Ahnung, es ist Vermutung. Mehrere Bauern sind beim Chirurgus in der Nacht zusammengekommen; sie hatten mich auch eingeladen, ich ging aber nicht hin; ich will keine Haendel mit der graeflichen Familie. Und jetzt wollt' ich doch, ich waere hingegangen, damit ich wuesste, was sie vorhaben. Friederike. Nun was wird's sein? Es ist die alte Prozessgeschichte. Jakob. Nein, nein, es ist mehr! Lassen Sie mir meine Grille; es ist fuer Sie, es ist fuer die Ihrigen, dass ich besorgt bin. (Ab.) Siebenter Auftritt Friederike, nachher die Graefin und der Hofrat. Friederike. Die Buechse ist noch, wie ich sie verlassen habe; die hat mir der Jaeger recht gut versorgt. Ja, das ist auch ein Jaeger, und ueber die geht nichts. Ich will sie gleich laden und morgen frueh bei guter Tageszeit einen Hirsch schiessen. (Sie beschaeftigt sich an einem Tische, worauf ein Armleuchter steht, mit Pulverhorn, Lademass, Pflaster, Kugel, Hammer und laedt die Buechse ganz langsam und methodisch.) Graefin. Da hast du schon wieder das Pulverhorn beim Licht; wie leicht kann eine Schnuppe herunterfallen. Sei doch vernuenftig, du kannst dich ungluecklich machen! Friedericke. Lassen Sie mich, liebe Mutter, ich bin schon vorsichtig. Wer sich vor dem Pulver fuerchtet, muss nicht mit Pulver umgehen. Graefin. Sagen Sie mir, lieber Hofrat, ich habe es recht auf dem Herzen: Koennten wir nicht einen Schritt tun, wenigstens bis Sie zurueckkommen? Hofrat. Ich verehre in Ihnen diese Heftigkeit, das Gute zu wirken und nicht einen Augenblick zu zaudern. Graefin. Was ich einmal fuer Echt erkenne, moechte' ich auch gleich getan sehn. Das Leben ist so kurz, und das Gute wirkt so langsam. Hofrat. Wie meinen Sie denn? Graefin. Sie sind moralisch ueberzeugt, dass der Amtmann in dem Kriege das Dokument beiseite gebracht hat-- Friederike (heftig). Sind Sie's? Hofrat. Nach allen Anzeigen kann ich wohl sagen, es ist mehr als Vermutung. Graefin. Sie glauben, dass er es noch zu irgendeiner Absicht verwahre? Friederike (wie oben). Glauben Sie? Hofrat. Bei der Verworrenheit seiner Rechnungen, bei der Unordnung des Archives, bei der ganzen Art, wie er diesen Rechtshandel benutzt hat, kann ich vermuten, dass er sich einen Rueckzug vorbehaelt, dass er vielleicht, wenn man ihn von dieser Seite draengt, sich auf die andere zu retten und das Dokument dem Gegenteile fuer eine ansehnliche Summe zu verhandeln denkt. Graefin. Wie waer' es, man suchte ihn durch Gewinst zu locken? Er wuenscht, seinen Neffen substituiert zu haben; wie waer' es, wir verspraechen diesem jungen Menschen eine Belohnung, wenn er zur Probe das Archiv in Ordnung braechte, besonders eine ansehnliche, wenn er das Dokument ausfindig machte? Man gaebe ihm Hoffnung zur Substitution. Sprechen Sie ihn noch, ehe Sie fortgehen; indes, bis Sie wiederkommen, richtet sich's ein. Hofrat. Es ist zu spaet, der Mann ist gewiss schon zu Bette. Graefin. Glauben Sie das nicht. So alt er ist, passt er Ihnen auf, bis Sie in den Wagen steigen. Er macht Ihnen noch in voelliger Kleidung seinen Scharrfuss und versaeumt gewiss nicht, sich Ihnen zu empfehlen. Lassen wir ihn rufen. Friederike. Lassen Sie ihn rufen, man muss doch sehen, wie er sich gebaerdet. Hofrat. Ich bin's zufrieden. Friederike (klingelt und sagt zum Bedienten, der hereinkommt). Der Amtmann moechte doch noch einen Augenblick herueberkommen! Graefin. Die Augenblicke sind kostbar. Wollen Sie nicht indes noch einen Blick auf die Papiere werfen, die sich auf diese Sache beziehen? (Zusammen ab.) Achter Auftritt Friederike allein, nachher der Amtmann. Friederike. Das will mir nicht gefallen. Sie sind ueberzeugt, dass er ein Schelm ist, und wollen ihm nicht zu Leibe. Sie sind ueberzeugt, dass er sie betrogen, ihnen geschadet hat, und wollen ihn belohnen. Das taugt nun ganz und gar nichts. Es waere besser, dass man ein Exempel statuierte. --Da kommt er eben recht. Amtmann. Ich hoere, dass des Herrn Hofrats Wohlgeboren noch vor ihrer Abreise mir etwas zu sagen haben. Ich komme, dessen Befehle zu vernehmen. Friederike (indem sie die Buechse nimmt). Verziehen Sie einen Augenblick, er wird gleich wieder hier sein. (Sie schuettet Pulver auf die Pfanne.) Amtmann. Was machen Sie da, gnaedige Graefin? Friederike. Ich habe die Buechse auf morgen frueh geladen, da soll ein alter Hirsch fallen. Amtmann. Ei, ei! Schon heute geladen und Pulver auf die Pfanne, das ist verwegen! Wie leicht kann da ein Unglueck geschehen. Friederike. Ei was! Ich bin gern fix und fertig. (Sie hebt das Gewehr auf und haelt es, gleichsam zufaellig, gegen ihn.) Amtmann. Ei, gnaedige Graefin, kein geladen Gewehr jemals auf einen Menschen halten! Da kann der Boese sein Spiel haben. Friederike (in de vorigen Stellung). Hoeren Sie, Herr Amtmann, ich muss Ihnen ein Wort im Vertrauen sagen: --Das Sie ein erzinfamer Spitzbube sind. Amtmann. Welche Ausdruecke, meine Gnaedige!--Tun Sie die Buechse weg. Friedericke. Ruehre dich nicht vom Platz, verdammter Kerl! Siehst du, ich spanne, siehst du, ich lege an! Du hast ein Dokument gestohlen-- Amtmann. Ein Dokument? Ich weiss von keinem Dokumente. Friederike. Siehst du, ich steche, es geht alles in der Ordnung, und wenn du nicht auf der Stelle das Dokument herausgibst oder mir anzeigst, wo es sich befindet, oder was mit ihm vorgefallen, so ruehr' ich diese kleine Nadel, und du bist auf der Stelle mausetot. Amtmann. Um Gottes willen! Friederike. Wo ist das Dokument? Amtmann. Ich weiss nicht--Tun Sie die Buechse weg--Sie koennten aus Versehen-- Friederike (wie oben). Aus Versehen oder mit Willen bist du tot. Rede, wo ist das Dokument? Amtmann. Es ist--verschlossen. Neunter Auftritt Graefin. Hofrat. Die Vorigen. Graefin. Was gibt's hier? Hofrat. Was machen Sie? Friederike (immer zum Amtmann). Ruehren Sie sich nicht, oder Sie sind des Todes! Wo verschlossen? Amtmann. In meinem Pulte. Friederike. Und in dem Pulte! Wo? Amtmann. Zwischen einem Doppelboden. Friederike. Wo ist der Schluessel? Amtmann. In meiner Tasche. Friedericke. Und wie geht der doppelte Boden auf? Amtmann. Durch einen Druck an der rechten Seite. Friederike. Heraus den Schluessel! Amtmann. Hier ist er. Friederike. Hingeworfen! Amtmann (wirft ihn auf die Erde). Friederike. Und die Stube? Amtmann. Ist offen. Friederike. Wer ist drinnen? Amtmann. Meine Magd und mein Schreiber. Friederike. Sie haben alles gehoert, Herr Hofrat. Ich habe Ihnen ein umstaendliches Gespraech erspart. Nehmen Sie den Schluessel, und holen Sie das Dokument. Bringen Sie es nicht zurueck, so hat er gelogen, und ich schiesse ihn darum tot. Hofrat. Lassen Sie ihn mitgehen; bedenken Sie, was Sie tun. Friederike. Ich weiss, was ich tue. Machen Sie mich nicht wild, und gehen Sie. (Hofrat ab.) Graefin. Meine Tochter, du erschreckst mich. Tu das Gewehr weg! Friederike. Gewiss nicht eher, als bis ich das Dokument sehe. Graefin. Hoerst du nicht? Deine Mutter befiehlt's. Friederike. Und wenn mein Vater aus dem Grabe aufstuende, ich gehorchte nicht. Graefin. Wenn es losginge! Friederike. Welch Unglueck waere das? Amtmann. Es wuerde Sie gereuen. Friederike. Gewiss nicht. Erinnerst du dich noch, Nichtswuerdiger, als ich vorm Jahr im Zorn nach dem Jaegerburschen schoss, der meinen Hund pruegelte, erinnerst du dich noch, da ich ausgescholten wurde, und alle Menschen den gluecklichen Zufall priesen, der mich hatte fehlen lassen, da warst du's allein, der haemisch laechelte und sagte: Was waer' es denn gewesen? Ein Kind aus einem vornehmen Hause! Das waere mit Geld abzutun. Ich bin noch immer ein Kind, ich bin noch immer aus einem vornehmen Hause; so muesste das auch wohl mit Geld abzutun sein. Hofrat (kommt zurueck). Hier ist das Dokument. Friederike. Ist es? (Sie bringt das Gewehr in Ruh.) Graefin. Ist's moeglich? Amtmann. O, ich Ungluecklicher! Friederike. Geh! Elender! Dass deine Gegenwart meine Freude nicht vergaelle! Hofrat. Es ist das Original. Friederike. Geben Sie mir's. Morgen will ich's den Gemeinden selbst zeigen und sagen, dass ich's ihnen erobert habe. Graefin (sie umarmend). Meine Tochter. Friederike. Wenn mir der Spass nur die Lust an der Jagd nicht verdirbt. Solch ein Wildpret schiess' ich nie wieder! Fuenfter Aufzug (Nacht, trueber Mondschein.) Das Theater stellt einen teil des Parks vor, der frueher beschrieben worden. Raue steile Felsenbaenke, auf denen ein verfallenes Schloss. Natur und Mauerwerk ineinander verschraenkt. Die Ruine, sowie die Felsen mit Baeumen und Bueschen bewachsen. Eine dunkle Kluft deutet auf Hoehlen, wo nicht gar unterirdische Gaenge. Frederike, Fackel tragend, die Buechse unterm Arm, Pistolen im Guertel, tritt aus der Hoehle, umherspuerend. Ihr folgt die Graefin, den Sohn an der Hand. Auch Luise. Sodann der Bediente, mit Kaestchen beschwert. Man erfaehrt, dass von hier ein unterirdischer Gang zu den Gewoelben des Schlosses reicht, dass man die Schlosspforten gegen die andringenden Bauern verriegelt, dass die Graefin verlangt habe, man solle ihnen aus dem Fenster das Dokument ankuendigen und zeigen und so alles beilegen. Friederike jedoch sei nicht zu bewegen gewesen, sich in irgendeine Kapitulation einzulassen, noch sich einer Gewalt, selbst nach eigenen Absichten, zu fuegen. Sie habe vielmehr die Ihrigen zur Flucht genoetigt, um auf diesem geheimen Wege ins Freie zu gelangen und den benachbarten Sitz eines Anverwandten zu erreichen. Eben will man sich auf den Weg machen, als man oben in der Ruine Licht sieht, ein Geraeusch hoert. Man zieht sich in die Hoehle zurueck. Herunter kommen Jakob, der Hofrat und eine Partei Bauern. Jakob hatte sie unterwegs angetroffen und sie zugunsten der Herrschaft zu bereden gesucht. Der Wagen des wegfahrenden Hofrats war unter sie gekommen. Dieser wuerdige Mann verbindet sich mit Jakob und kann das Hauptargument, dass der Originalrezess gefunden sei, allen uebrigen Beweggruenden hinzufuegen. Die aufgeregte Schar wird beruhigt, ja sie entschliesst sich, den Damen zu Hilfe zu kommen. Friederike, die gelauscht hat, nun von allem unterrichtet, tritt unter sie, dem Hofrat und dem jungen Landmann sehr willkommen, auch den uebrigen durch die Vorzeigung des Dokuments hoechst erwuenscht. Eine frueher ausgesendete Patrouille dieses Trupps kommt zurueck und meldet, dass ein Teil der Aufgeregten vom Schlosse her im Anmarsche sei. Alles verbirgt sich, teils in die Hoehle, teils in Felsen und Gemaeuer. Breme mit einer Anzahl bewaffneter Bauern tritt auf, schilt auf den Magister, dass er aussen geblieben, und erklaert die Ursache, warum er einen teil der Mannschaft in den Gewoelben des Schlosses gelassen und mit dem andern sich hieher verfuegt. Er weiss das Geheimnis des unterirdischen Ganges und ist ueberzeugt, dass die Familie sich darein versteckt, und dies gibt die Gewissheit, ihrer habhaft zu werden. Sie zuenden Fackeln an und sind im Begriff, in die Hoehle zu treten. Friederike, Jakob, der Hofrat erscheine in dem Augenblicke, bewaffnet, sowie die uebrige Menge. Breme sucht der Sache eine Wendung durch Beispiele aus der alten Geschichte zu geben und tut sich auf seine Einfaelle viel zugute, da man sie gelten laesst, und als nun das Dokument auch hier seine Wirkung nicht verfehlt, so schliesst das Stueck zu allgemeiner Zufriedenheit. Die vier Personen, deren Gegenwart einen unangenehmen Eindruck machen koennte: Karoline, der Baron, der Magister und der Amtmann, kommen nicht mehr zum Vorschein. Ende dieses Projekt Guetnberg Etextes Die Aufgeregten, von Johann Wolfgang von Goethe. ***END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK DIE AUFGEREGTEN*** ******* This file should be named 10428.txt or 10428.zip ******* This and all associated files of various formats will be found in: http://www.gutenberg.net/1/0/4/2/10428 Updated editions will replace the previous one--the old editions will be renamed. Creating the works from public domain print editions means that no one owns a United States copyright in these works, so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United States without permission and without paying copyright royalties. Special rules, set forth in the General Terms of Use part of this license, apply to copying and distributing Project Gutenberg-tm electronic works to protect the PROJECT GUTENBERG-tm concept and trademark. Project Gutenberg is a registered trademark, and may not be used if you charge for the eBooks, unless you receive specific permission. 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It exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations from people in all walks of life. Volunteers and financial support to provide volunteers with the assistance they need, is critical to reaching Project Gutenberg-tm's goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will remain freely available for generations to come. In 2001, the Project Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure and permanent future for Project Gutenberg-tm and future generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4 and the Foundation web page at http://www.pglaf.org. Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit 501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification number is 64-6221541. Its 501(c)(3) letter is posted at http://pglaf.org/fundraising. Contributions to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by U.S. federal laws and your state's laws. The Foundation's principal office is located at 4557 Melan Dr. S. Fairbanks, AK, 99712., but its volunteers and employees are scattered throughout numerous locations. Its business office is located at 809 North 1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887, email business@pglaf.org. Email contact links and up to date contact information can be found at the Foundation's web site and official page at http://pglaf.org For additional contact information: Dr. Gregory B. Newby Chief Executive and Director gbnewby@pglaf.org Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide spread public support and donations to carry out its mission of increasing the number of public domain and licensed works that can be freely distributed in machine readable form accessible by the widest array of equipment including outdated equipment. Many small donations ($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt status with the IRS. The Foundation is committed to complying with the laws regulating charities and charitable donations in all 50 states of the United States. Compliance requirements are not uniform and it takes a considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up with these requirements. We do not solicit donations in locations where we have not received written confirmation of compliance. To SEND DONATIONS or determine the status of compliance for any particular state visit http://pglaf.org While we cannot and do not solicit contributions from states where we have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition against accepting unsolicited donations from donors in such states who approach us with offers to donate. International donations are gratefully accepted, but we cannot make any statements concerning tax treatment of donations received from outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff. Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation methods and addresses. Donations are accepted in a number of other ways including including checks, online payments and credit card donations. To donate, please visit: http://pglaf.org/donate Section 5. General Information About Project Gutenberg-tm electronic works. Professor Michael S. Hart is the originator of the Project Gutenberg-tm concept of a library of electronic works that could be freely shared with anyone. For thirty years, he produced and distributed Project Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of volunteer support. Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed editions, all of which are confirmed as Public Domain in the U.S. unless a copyright notice is included. Thus, we do not necessarily keep eBooks in compliance with any particular paper edition. Each eBook is in a subdirectory of the same number as the eBook's eBook number, often in several formats including plain vanilla ASCII, compressed (zipped), HTML and others. Corrected EDITIONS of our eBooks replace the old file and take over the old filename and etext number. The replaced older file is renamed. VERSIONS based on separate sources are treated as new eBooks receiving new filenames and etext numbers. Most people start at our Web site which has the main PG search facility: http://www.gutenberg.net This Web site includes information about Project Gutenberg-tm, including how to make donations to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks. EBooks posted prior to November 2003, with eBook numbers BELOW #10000, are filed in directories based on their release date. If you want to download any of these eBooks directly, rather than using the regular search system you may utilize the following addresses and just download by the etext year. http://www.ibiblio.org/gutenberg/etext06 (Or /etext 05, 04, 03, 02, 01, 00, 99, 98, 97, 96, 95, 94, 93, 92, 92, 91 or 90) EBooks posted since November 2003, with etext numbers OVER #10000, are filed in a different way. The year of a release date is no longer part of the directory path. The path is based on the etext number (which is identical to the filename). The path to the file is made up of single digits corresponding to all but the last digit in the filename. For example an eBook of filename 10234 would be found at: http://www.gutenberg.net/1/0/2/3/10234 or filename 24689 would be found at: http://www.gutenberg.net/2/4/6/8/24689 An alternative method of locating eBooks: http://www.gutenberg.net/GUTINDEX.ALL *** END: FULL LICENSE ***